Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in Russland

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Gemäß 2015 QMUL International Arbitration Survey beurteilen 65 Prozent von Respondenten Vollstreckbarkeit von Schiedsspüchen als die wertvollste Eigenschaft von Schiedsverfahren (http://www.arbitration.qmul.ac.uk/docs/164761.pdf). Diese Eigenschaft ist für Russland von besonderer Bedeutung, weil, abgesehen von ehemaligen sozialistischen und GUS-Ländern, Russland nur noch an den wenigen Rechtshilfeabkommen über gegenseitige Vollstreckung von Handelsurteilen, einschließlich Griechenland, Zypern, Spanien, Argentinien und Indien, beteiligt ist. 

Ein Schiedsspruch ist, unabhängig davon, in welchem Land er erlassen ist, als bindend anzuerkennen und auf schriftlichen Antrag an das zuständige Gericht zu vollstrecken. Die Frist für die Inkraftsetzung eines Schiedsspruchs ist häufig durch die anwendbare Schiedsordnung festgelegt. 

Ein russ. MKAS-Schiedsurteil gilt z. B. ab dem Datum seiner Verabschiedung als endgültig und bindend und ist unverzüglich zu erfüllen, sofern eine andere Frist durch den Schiedsspruch bestimmt wird (§ 42 der MKAS-Schiedsordnung für internationale Handelsstreitigkeiten vom 11.01.2017; vgl. auf Englisch: https://mkas.tpprf.ru/en/documents/), was selten in der Praxis vorkommt. 

Nach § 38 der deut. DIS-Schiedsgerichtsordnung 2018 ist der Schiedsspruch endgültig und hat unter den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils. 

Ein Vollstreckungskläger kann zunächst einem russischen Vollstreckungsschuldner ein Schreiben, mit dem er freiwillige Erfüllung eines Schiedsspruchs auffordert, weiterleiten. Nach dem erfolglosen Ablauf der von ihm bestimmten Frist kann er einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung vor einem zuständigen Wirtschaftsgericht stellen. Fehlt eine entsprechende Parteivereinbarung, besteht keine Pflicht des Vollstreckungsklägers zur vorgerichtlichen Aufforderung. 

Zuständigkeit und Frist

Das zuständige Gericht ist das Wirtschaftsgericht [Arbitrazhnyi sud] einer föderalen Region, in der der Schuldner seinen (Wohn-)Sitz hat. Wenn seine Sitzadresse unbekannt ist, kann die Vollstreckbarerklärung vor dem Wirtschaftsgericht am Ort, an dem eine dem Schuldner gehörende Sache belegen ist. 

Die Frist für Erlass des Vollstreckungserklärungsbeschlusses beträgt einen Monat. Die Verfahrensgebühr ist gering. 

Gegen einen Beschluss des erstinstanzlichen Wirtschaftsgerichts über die Vollstreckbarerklärung wird ein Rechtsmittel direkt vor dem Kassationsgericht eingelegt. Eventuell kann der Beschluss des Kassationsgerichts noch vor dem Obersten Gericht Russlands angefochten werden. Das gesamte Verfahren vor den drei Instanzen beläuft sich auf ca. 10-12 Monate.

Versagungsgründe

Russland ist am New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.06.1958 (UNÜ) beteiligt. Die Gründe für Versagung der Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs nach russischem Recht widerspiegeln den Wortlaut von Artikel V UNÜ.

Bei den Versagungsgründen nach Art. 36 Ziff. 1 des Gesetzes der Russischen Föderation „Über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit“ vom 07.07.1993 Nr. 5338-1 („IHS-Gesetz“) ist zwischen zwei Fallgruppen zu unterscheiden:

1.  Die erste Fallgruppe schließt die Versagungsgründe ein, bei deren Vorlage das Gericht von Amts wegen – ex officio – das Schiedsurteil aufheben soll. Zu ihnen zählen zwei Fälle – die Verletzung der öffentlichen Ordnung durch die Anwendung von ausländischen Vorschriften und die Unklagbarkeit der Forderungen nach russischem Recht im Schiedsverfahren. 

2.  Die zweite Fallgruppe umfasst die Versagungsgründe, die der Antragsteller nachzuweisen hat, und schließt insbesondere die folgenden Fälle ein: 

2.1  Eine der Parteien der Schiedsvereinbarung war geschäftsunfähig;

2.2  Diese Vereinbarung ist ungültig;

2.3  Eine Partei wurde nicht vorschriftsmäßig über die Ernennung eines Schiedsrichters oder über das Schiedsverfahren informiert oder konnte aus anderen Gründen keine Erklärungen abgeben. 

2.4  Ein Schiedsurteil ist in einer Streitangelegenheit ergangen, die nicht Bestandteil der Schiedsvereinbarung war oder nicht unter diese fiel, oder trifft Anordnungen zu Fragen, die über die Schiedsvereinbarung hinausgehen. 

2.5  Die Bildung des Schiedsgerichts oder das Schiedsverfahren weichen von der Parteivereinbarung ab oder verstoßen gegen das Föderale Gesetz (wie das IHS-Gesetz oder die WPO). 

2.6  Der Schiedsspruch ist für die Parteien noch nicht verbindlich geworden oder ist im Herkunftsland aufgehoben oder einstweilen gehemmt worden.

Das Gericht darf gem. § 243(4) russ. Wirtschaftsprozessordnung (WPO) über die Streitsache neu nicht verhandeln und in die Beweisaufnahme nicht eintreten. Obwohl sich das durch § 243(4) WPO verankerte Verbot von revision au fond ausdrücklich nur auf ausländische staatliche Gerichtsurteile bezieht, wird diese Vorschrift in der Praxis auch hinsichtlich ausländischer Schiedssprüche analog angewandt. 

2013 stellte das höchste Wirtschaftsgericht der RF eine Übersicht über die Rechtsprechung im Bereich von ordre public Verstößen aus. Nach dieser Übersicht lassen sich die Verletzungen, wie z. B. die übertriebenen Vertragsstrafen, die fehlende Gesellschafterzustimmung für den Streitvertrag, die fehlenden russischen Vorschriften, die mit dem angewandten ausländischen Rechtsinstitut vergleichbar wären (wie z. B., über liquidated damages), die Verbindung zwischen einem Schiedsrichter und einer Partei, die offengelegt und rechtzeitig nicht gerügt ist, nicht als ein Verstoß gegen die russische öffentliche Ordnung einstufen. 

Ein ordre public Verstoß würde definitiv bei Verurteilung aufgrund eines strafrechtsrelevanten Vertrags vorliegen. In einer Sache wurde die Vollstreckung aus einem Schiedsspruch versagt, dem ein Auftrag, der mit der urteilsmäßig nachgewiesenen Bestechung des Direktors des russischen Auftraggebers verbunden war, zugrunde lag. 

Aussetzung eines Vollstreckungsverfahrens

Das russische Vollstreckungsgericht kann das Verfahren aussetzen, bis ein Aufhebungsantrag vor einem ausländischen Gericht am Schiedsort anhängig ist. Auf Antrag eines Vollstreckungsgläubigers kann das Gericht für die Aussetzungsdauer eine Sicherungsmaßnahme gegen die Aktiva des Vollstreckungsschuldners anordnen. 

Anerkennung von Feststellungsschiedssprüchen

Internationale Schiedsgerichtsübereinkommen schweigen von der Befugnis eines Schiedsgerichts, einen Feststellungsschiedsspruch (declaratory award) zu erlassen. Ungeachtet der Gesetzeslücke wurden die ausländischen Feststellungsschiedssprüche auf Antrag von Interessenten in Russland anerkannt. 

So hat z. B. ein Schiedsspruch des Schiedsgerichts der Handelskammer Islands festgestellt, dass ein russischer Käufer ordnungsgemäß 24.300 Aktien an einer russischen AO bezahlt hat und somit ab dem 15.05.2006 ihr Eigentümer aufgrund von zwei Aktienkaufverträgen geworden ist, was ein Gericht in St. Petersburg 2009 anerkannte. 

Nach Art. 35(3) des IHS-Gesetzes kann eine Partei, gegen die ein Schiedsspruch, der keiner Vollstreckbarerklärung bedarf, verabschiedet ist, eine Einrede gegen seine Anerkennung erheben. Die Einrede kann innerhalb eines Monats ab dem Bekanntwerden eingereicht werden. Mangels der Einrede wird ein Feststellungsspruch ohne besondere Verfahren anerkannt. Hat ein Spruchsgegner keinen (Wohn-)Sitz oder Vermögen in Russland, ist das Wirtschaftsgericht der Stadt Moskau für die Einrede zuständig. 



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