Aneurysma in CT übersehen: 120.000 Euro

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Mit Vergleich vom 06.08.2020 hat sich ein Radiologe verpflichtet, an meine Mandantin 120.000 Euro und Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.11.2015 zu zahlen. Gleichzeitig verpflichtete sich der Facharzt, meine kompletten außergerichtlichen Gebühren zu übernehmen.                 

Die 1958 geborene Selbständige ließ bei dem Radiologen zur Abklärung ihrer seit mehreren Tagen bestehenden Kopfschmerzen eine CT-Untersuchung des Kopfes durchführen. Die Computertomographie des Kopfes erfolgte unter Kontrastmittelgabe. Der Radiologe fertigte einen schriftlichen Bericht mit dem Ergebnis: "Keine Raumforderung, kein Infarkt, keine Blutung, Verdacht auf diskrete Kleinhirnatrophie ..."

Da ihr mitgeteilt wurde, die Untersuchung sei ohne Befund, veranlasste die Mandantin keine weiteren Untersuchungen zur Abklärung ihrer Kopfschmerzen. Neun Tage später brach sie bei Arbeiten vor ihrem Haus zusammen. Aus dem Notarztprotokoll ergab sich, dass die Patientin seit einigen Wochen Kopfschmerzen habe, sie sei somnolent. Die Pupillen seien ohne Befund, Kopfschmerzen, keine Migräne bekannt. Als Erstdiagnose vermerkte der Notarzt eine Migräne. Nachdem er der Patientin zunächst gegen die Kopfschmerzen eine Ampulle Novalgin verabreicht hatte, spritzte er ihr auf dem Weg ins Krankenhaus eine Ampulle des Präparates Aspisol intravenös. In der Klinik kam es während einer geplanten CCT-Untersuchung zu einer deutlichen Verschlechterung des Zustandes der Mandantin mit der Notwendigkeit der künstlichen Beatmung. Die Ärzte diagnostizierten eine akute Subarachnoidalblutung (SAB) aus einem Aneurysma und eine intracerebrale Blutung (ICB). In einer Notoperation versorgen die Ärzte das Aneurysma und die ICB operativ.

Ich hatte dem Radiologen vorgeworfen, es sei fehlerhaft gewesen, eine Kopf-CT mit Kontrastmittel durchzuführen. Der befundende Radiologe sei als allgemeiner Radiologe nicht qualifiziert gewesen, die Befundung durchzuführen. Er habe in der Bildgebung grob fehlerhaft das Aneurysma und die SAB nicht erkannt. Bei einer zutreffenden Befundung wäre durch eine sofortige operative Therapie die Blutung neun Tage später mit den massiven gesundheitlichen Folgen vermieden worden. Auch der Notarzt habe grob fehlerhaft gehandelt. Trotz entsprechender Symptome habe er nicht den Verdacht auf eine Hirnblutung gestellt und der Patientin grob fehlerhaft Aspisol gespritzt. Hierdurch sei die Blutung verstärkt und der gesundheitliche Schaden vergrößert worden.

Das Oberlandesgericht Hamm hatte in einem Grundurteil festgestellt: Dem Radiologen seien mehrere Behandlungsfehler vorzuhalten: Der gerichtliche Gutachter habe nachvollziehbar erläutert, dass bereits die Durchführung der CCT mit Kontrastmittel unverständlich sei. Bei den von der Patientin geklagten Kopfschmerzen hätte zum Ausschluss einer Blutung zunächst eine native CT gemacht werden müssen. Die Kontrastmittelgabe berge die Gefahr, dass eine Blutung in der Bildgebung übersehen werde. Darüber hinaus sei die Bewertung der mit Kontrastmittel gefertigten CCT grob fehlerhaft.

Nach Anhörung des Gutachters seien in dieser Aufnahme trotz der Kontrastmittelgabe sowohl die SAB als auch das Aneurysma bzw. jedenfalls ein Verdacht hierauf sichtbar. Der Radiologe habe diese beiden Auffälligkeiten in vorwerfbarer Weise diagnosefehlerhaft verkannt und die CT als unauffällig bewertet. Der Sachverständige habe im Termin keine Zweifel daran gelassen, dass dieses Verkennen gänzlich unvertretbar sei und eine gänzlich unverständliche Befundinterpretation darstelle, mithin als grober Diagnosefehler zu werten sei.

Diese Bewertung habe er nachvollziehbar untermauert, dass es sich nicht um eine elektive, sondern um eine Notfalldiagnostik gehandelt habe, die gerade zur Abklärung und zum Ausschluss einer Blutung diene. Die Auffälligkeiten hätten sich an klassischer Stelle befunden. Aufgrund des groben Behandlungsfehlers greife zu Gunsten der Patientin im Hinblick auf den Primärschaden, der in der neun Tage später aufgetretenen Zweitblutung zu sehen sei, die Beweislastumkehr ein.

Es stehe nach Anhörung der Gutachter fest, dass das Verkennen des Befundes dazu geführt habe, dass ein operativer Verschluss des Aneurysmas durch Clipping oder Coiling unterblieb. Das Unterlassen dieser zwingend notwendigen Operation sei geeignet gewesen, die Zweitblutung, die neun Tage später eintrat, herbeizuführen. Der Gutachter habe klargestellt, dass es sich eindeutig um eine zweites Blutungsereignis gehandelt habe. Die Patientin habe erklärt, dass sie selbstverständlich einer entsprechenden ärztlichen Empfehlung gefolgt wäre. Innerhalb von 72 Stunden wäre spätestens eine Versorgung durch Clipping oder Coiling nach der streitigen CCT erfolgt. Damit hätte eine operative Versorgung des Aneurysmas mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die schwere Nachblutung verhindert.

Zwar seien auch dem Notarzt schwere Behandlungsfehler vorzuwerfen. Aufgrund des Haftungsprivilegs des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB sei allerdings die kreisfreie Stadt, die für den Notarzt hafte, nicht in Anspruch zu nehmen.

Nach Zurückverweisung hat das Landgericht Dortmund folgenden Hinweis erteilt: Die Kammer sei überzeugt, dass sich das alltägliche Leben der Patientin durch den Behandlungsfehler in schwerwiegendem Maße nachteilig verändert habe. Sie sei nicht mehr in der Lage, außerhalb ihrer Wohnung Wegstrecken von mehr als nur wenigen Metern selbständig ohne Hilfe zurückzulegen. In der Wohnung müsse sie einen Rollator benutzen oder sich am Sofa festhalten oder an den Wänden abstützen. Sie sei bei allen Tätigkeiten des täglichen Lebens auf die Unterstützung ihres Ehemannes angewiesen.

Frühere Hobbys wie Radfahren, Tennisspielen, Spazierengehen, abenteuerorientierte Fernreisen oder leistungsorientiertes Schwimmen könne sie nicht mehr wahrnehmen. Auch das Lesen sei ihr aufgrund kognitiver Defizite nur in erheblich erschwertem Maße möglich. Es liege eine deutliche Beeinträchtigung der Fähigkeiten zum Multitasking vor. Die Klägerin könne ihrem Beruf nicht mehr nachgehen. Es bestehe eine Gesichtsfeldeinschränkung, die das Sehsystem der Mandantin in massiver Weise einschränke. Die Kammer halte auch die Zinszahlung seit Zustellung der Klage für angemessen, weil die Forderung einen beachtlichen Wert habe. Das liege daran, dass die Haftpflichtversicherung des Radiologen trotz Rechtskraft des Urteiles des Oberlandesgerichtes Hamm bis zur letzten mündlichen Verhandlung keinerlei Vorschusszahlungen erbracht habe.

(Landgericht Dortmund, Vergleich vom 06.08.2020, AZ: 4 O 34/13)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht und Verkehrsrecht



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