Aufenthaltsrecht Exkurs: Darf ein sog. Gefährder zur Abschiebehaft in der JVA untergebracht werden?

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Können Gefährder vor der Abschiebung auch in Strafhaftanstalten untergebracht werden? 
Der BGH (Bundesgerichtshof, höchstes Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Zivil- und Strafrecht in Deutschland) hat diese Frage dem EuGH (Europäischer Gerichtshof) vorgelegt. 

Die Abschiebehaft:

Auf die Frage, ob es rechtmäßig ist, sogenannte Gefährder zu ihrer Abschiebehaft in Strafhaftanstalten zu bringen, haben die juristische Literatur und die Politik unterschiedliche Antworten. Der Bundesgerichtshof (BGH) möchte eine Klärung, und hat – wie nun bekannt wurde – dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschl. v. 22.11.2018, Az. V ZB 180/17). 

Es geht um den Fall von Haikel S., ein Gefährder mit tunesischer Staatsangehörigkeit, der im Mai 2018 nach Tunesien abgeschoben wurde. Er hatte sich bis dahin erfolglos versucht, sich gerichtlich gegen die Abschiebung zu wehren: Er scheiterte vor dem Bundesverwaltungsgericht, dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Nun will er festgestellt wissen, dass seine Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt Main I in der Zeit bis 23. Oktober 2017 rechtswidrig war. Das Amtsgericht Frankfurt hatte die Haft am 18. August 2017 auf Antrag der Ausländerbehörde angeordnet, um die Abschiebung zu sichern.

Hier liegt der Knackpunkt: Die Ausländerbehörde hatte in dem Haftantrag mitgeteilt, dass die Abschiebungshaft in der allgemeinen Justizvollzugsanstalt vollzogen werden solle.

Zwar ist die Abschiebungshaft nach § 62a Abs. 1 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen durchzuführen, also gerade nicht in üblichen Justizvollzugsanstalten. Nach Satz 2 der Norm gibt es aber Ausnahmen von diesem Grundsatz: 

Sind spezielle Hafteinrichtungen im Bundesgebiet nicht vorhanden oder geht von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus, kann sie in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden. Auch dann sind die Abschiebungsgefangenen getrennt von Strafgefangenen unterzubringen, heißt es im Gesetz. Die Ausländerbehörde hat sich auf eine von Haikel S. ausgehende Gefahr für die innere Sicherheit bezogen.

Der BGH fragt nun, ob diese Norm vereinbar ist mit Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie (RiLi) 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie). Der erste Satz der RiLi entspricht der Regelung in § 62a, dass die Inhaftierung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu erfolgen hat. Allerdings haben nicht alle Mitgliedsländer derartige Einrichtungen. Wenn also die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen muss, dann – so regelt es Art. 16 Abs. 1 S. 2 der RiLi – werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht. Eine darüber hinausgehende Regelung zu Gefährdern findet sich in der Richtlinie nicht.

Nach früherer Rechtsprechung des EuGHs ist die Ausnahme der gemeinsamen Unterbringung eng auszulegen (EuGH, Urt. v. 17.07.2014, Az. C-473/13, C-514/13, C-474/13). In einem föderalistischen Staat wie der Bundesrepublik müssen daher notfalls die Abschiebehäftlinge sogar in andere Bundesländer verlegt werden, um die Menschen, die auf eine Abschiebung warten, getrennt von rechtskräftig verurteilten Straftätern unterzubringen.

Nur wenn dies nicht möglich ist – eben, weil die Mitgliedsländer keine Abschiebehaftanstalten vorhalten – darf die Abschiebungshaft in einer gewöhnlichen Strafanstalt vollzogen werden. Doch auch dann müssen die Abschiebehäftlinge innerhalb der Anstalt getrennt von den anderen Inhaftierten untergebracht werden. Davon darf auch nicht abgewichen werden, selbst wenn der Betroffene eingewilligt hat (Urt. v. 17.07.2014, Az. C-473/13 u. a.).

Die Norm des § 62a AufenthG, daran erinnert auch der BGH in seinem Beschluss, hat der Gesetzgeber im Juli 2017 mit dem Gesetz zur besseren Durchsetzbarkeit der Ausreisepflicht eingeführt. Schon im Gesetzgebungsverfahren hatte die Sonderreglung für Gefährder Streit um dessen Rechtmäßigkeit ausgelöst, der bis heute andauert.

Einige meinen, die RiLi sehe eine derartige Ausnahme für Gefährder nicht vor, also sei sie auch nicht rechtmäßig. Der Gesetzgeber hingegen hielt die Sonderregel für rechtmäßig. Die Abschiebehaftanstalten seien nicht so ausgestattet, als dass sie die Sicherheitserfordernisse zur Unterbringung von Gefährdern erfüllen könnten. Gewöhnliche Abschiebehaftgefangene hätten etwa umfangreiche Kommunikationsmöglichkeiten und dürften sich relativ frei bewegen. Dies sei bei Sicherheitsgefährdern nicht angebracht.

Andere sehen die Rechtmäßigkeit der Norm darin begründet, dass mit der Rückführungsrichtlinie keine Regelung zur Inneren Sicherheit betroffen sei. Die RiLi sei also nicht abschließend und lasse damit Raum für weitere Regelungen zur Gefahrenabwehr

Nun kommt es darauf an, wie der EuGH die Sache sieht. Hält er die gemeinsame Unterbringung bei Gefährdern für rechtswidrig, dann war auch die Haftanordnung rechtswidrig. Denn die Ausländerbehörde hatte bereits im Haftantrag erklärt, dass Haikel S. in einer JVA untergebracht werden soll.

Der Haftrichter hätte die Sicherungshaft dann ablehnen müssen, weil die rechtswidrige Unterbringung absehbar gewesen wäre – so will es das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des EU-Rechts (BGH, Beschl. v. 25.07.2014, Az. V ZB 137/14). In dieser Entscheidung hatte der BGH auch klargestellt, dass auch eine Unterbringung von Abschiebehäftlingen in einem gesonderten Gebäude auf dem Gelände einer Justizvollzugsanstalt rechtswidrig wäre.

Nur wenn die Rückführungsrichtlinie die Ausnahme des Trennungsgebotes erlaubt, wäre die Abschiebehaft in der JVA rechtmäßig gewesen. Doch auch dann, das steht für den BGH bereits fest, müssen Straf- und Abschiebegefangene getrennt untergebracht werden, sonst wäre es ein Verstoß gegen Art. 16 der Rückführungsrichtlinie.

Während der BGH die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Norm nach Luxemburg gibt, will das Bundesinnenministerium neue Fakten schaffen. Es hat den Entwurf für ein zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vorgelegt. Vorgesehen ist, das Trennungsgebot von Abschiebe- und Strafhaft vorübergehend auszusetzen.

Quellen: u. a. dpa, reuters
 
Rechtsanwältin Vera Mueller-Lehnert


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