Bundesarbeitsgericht entscheidet über Schadensersatz wegen unterlassener Arbeitszeiterhöhung

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Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald, Partner der Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB aus Stuttgart, berichtet im Folgenden über eine bevorstehende und überaus bedeutsame Entscheidung, die das Bundesarbeitsgericht zur Frage der Aufstockung der Arbeitszeit voraussichtlich noch im Januar 2021, voraussichtlich am 21. Januar 2021, wird.

Worum geht es?

Kommen Arbeitgeber einem Arbeitszeiterhöhungsverlangen von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern entgegen ihrer Verpflichtung zur vorrangigen Berücksichtigung nach § 9 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes nicht nach, können sie sich schadensersatzpflichtig machen (BAG vom 18.07.2017, Aktenzeichen 9 AZR 259/16 und BAG vom 16.09.2008, Aktenzeichen 9 AZR 781/07).

Die Nichtberücksichtigung kann sich darüber hinaus als Benachteiligung  § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes erweisen, wenn wegen eines in § 1 AGG genannten Benachteiligungsmerkmals, z. B. wegen des Alters, eine Ungleichbehandlung festgestellt wird.

Was war geschehen?

Die Klägerin ist 1954 geboren und seit 05.01.2007 beim Arbeitgeber im Umfang von 50% einer Vollzeitarbeitskraft beschäftigt. Später wurde die Arbeitszeit mehrfach vorübergehend aufgestockt. Die Klägerin gab an, dass sie die Erhöhung wegen der Unterhaltsverpflichtung für Ihre Tochter benötige. Ab September 2012 wurde sie nicht mehr über 50% der Arbeitszeit hinaus beschäftigt. Der Arbeitgeber stellte in der Folgezeit mehrere Vollzeitbeschäftigte ein, reagierte aber auf die weiteren Aufstockungsverlangen der Klägerin nicht oder lehnte diese wegen angeblich fehlender Eignung ab.

Wie lief das gerichtliche Verfahren bisher ab?

Die Klägerin wehrt sich hiergegen und begehrt Schadensersatz für die entgangene Erhöhung ihrer Arbeitszeit sowie angemessene Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Benachteiligung wegen ihres Lebensalters. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht waren der Auffassung, dass die Klage begründet sei. Hiergegen wendet sich der Arbeitgeber mit der Revision zum Bundesarbeitsgericht. Diese ist dort unter folgendem Aktenzeichen anhängig:

Bundesarbeitsgericht - 8 AZR 195/19

Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG Köln) hat er unter anderem ausgeführt, dass die Klägerin zunächst dem Arbeitgeber ihren Verlängerungswunsch korrekt angezeigt habe.

Bescheide der Arbeitgeber den Verlängerungswunsch ablehnend, sei diese aber nicht automatisch erledigt. Dies sei zwar umstritten, das Gericht gelangt aber zu der Auffassung, dass auch bei einer Ablehnung unter bestimmten Voraussetzungen weiter davon auszugehen sei, dass der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin weiter über offene Stellen nach § 7 Abs. 2 TzBfG zu informieren sei. Ließen die „Anzeige des Arbeitnehmers und sein begleitendes Gesamtverhalten erkennen, dass er dauerhaft an einer Aufstockung der Arbeitszeit interessiert“ sei, so werde der nach § 9 TzBfG geäußerte Wunsch mit dem erstmaligen ablehnenden Bescheid des Arbeitgebers eben nicht obsolet.

Es habe beim Arbeitgeber auch „entsprechende freie Arbeitsplätze“ im Sinne von § 9 TZBFG gegeben. Ein entsprechender Arbeitsplatz sei regelmäßig dann gegeben, wenn die zu besetzende Stelle inhaltlich dem Arbeitsplatz entspreche, auf dem der Arbeitnehmer, der den Verlängerungswunsch angezeigt habe, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit ausübe. Die Stelle müsse vergleichbar sein. Das sei zu bejahen, wenn es sich um gleiche oder zumindest ähnliche Tätigkeiten handle. Beide Tätigkeiten müssten in der Regel „dieselben Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung des Arbeitnehmers stellen“.

Die Klägerin erfülle hier auch das Merkmal der „gleichen Eignung“ im Sinne von § 9 TzBfG. Bei der Eignung sei zwischen fachlicher und persönlicher Eignung zu unterscheiden. Der Arbeitgeber habe der Klägerin zu Unrecht in beiderlei Hinsicht eine gleiche Eignung wie den neu eingestellten Mitarbeitern abgesprochen. Auch wenn die Klägerin vom Arbeitgeber persönlich als eher „schwierige“ Mitarbeiterin angesehen worden sei, habe dieser keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Schwelle zur „charakterlichen Nicht-Eignung“ für die betroffene Tätigkeit überschritten gewesen sei.

Schließlich hätten einer Verlängerung der Arbeitszeit der Klägerin auf einem der betroffenen Arbeitsplätze auch keine dringenden betrieblichen Gründe im Sinne von § 9 TzBfG entgegen gestanden. Entgegenstehende dringende betriebliche Gründe seien nur anzunehmen, wenn sie gleichsam zwingend seien. Erforderlich sei danach ein „betrieblicher Grund von ganz besonderem Gewicht, welcher das grundsätzlich vorrangige Interesse des teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers zurücktreten“ lasse.

Der Arbeitgeber habe keinen ausreichenden betrieblichen Grund angeführt. Er habe insbesondere kein dringendes betriebliches Erfordernis dafür, die freien Stellen mit jungen Nachwuchskräften zu besetzen, um das Durchschnittsalter zu senken. Das Ziel der Senkung des Durchschnittsalters einer Belegschaft stelle keinen Selbstzweck dar. Der Arbeitgeber habe das Durchschnittsalter der Belegschaft im Zweifel in gleicher Weise auch dann hätte senken können, wenn er dem Aufstockungsbegehren der Klägerin gefolgt wäre. Als dringender betrieblicher Grund komme nur ein Kriterium von ganz besonderem Gewicht in Frage. Die von dem Arbeitgeber befürchtete Beeinträchtigung seines Konzepts der Nachwuchsgewinnung und Senkung des Durchschnittsalters der Belegschaft erschienen so marginal, dass ihnen „ein ganz erhebliches Gewicht“ nicht zuerkannt werden könne.

Der Arbeitgeber habe seine Pflichten gegenüber der Klägerin in verantwortbarer Weise verletzt.

Der Arbeitgeber habe auch gegen das Benachteiligungsverbot des§ 7 AGG verstoßen, indem er der Klägerin die Aufstockung ihrer Arbeitszeit u. a. mit der Begründung versagt hat, die Stellen sollten zur Schaffung oder Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur mit jungen Nachwuchskräften besetzt werden. Der Arbeitgeber habe der Klägerin dadurch wegen des Lebensalters den geltend gemachten Anspruch auf Aufstockung der Arbeitszeit versagt. Dabei reiche es aus, dass der Arbeitgeber neben dem Lebensalter der Klägerin auch andere Gründe wie einen angeblich fehlenden Antrag, fehlende Entsprechung der Arbeitsplätze oder mangelnde Eignung benannt habe, die ihn zur Versagung des Anspruchs auf Aufstockung der Arbeitszeit veranlasst hätten. Die wegen des Alters erfolgte Benachteiligung sei auch nicht ausnahmsweise zulässig gewesen. Die unterschiedliche Behandlung müsse dazu objektiv gerechtfertigt gewesen sein. Dabei komme es darauf an, ob das verfolgte Interesse auf tatsächlichen und nachvollziehbaren Erwägungen beruhe und ob die Ungleichbehandlung nicht nur aufgrund von bloßen Vermutungen oder subjektiven Einschätzungen vorgenommen werde. Sie müsse ferner angemessen gewesen sein, was eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordere. Diese Voraussetzungen seien vom Arbeitgeber nicht dargelegt worden.

LAG Köln vom 06.12.2018, gerichtliches Aktenzeichen: 7 Sa 217/18

Welche Auswirkungen wird die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts haben?

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, meint Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald, könnte die Position vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken, die sich - möglicherweise auch schon seit langer Zeit - vergeblich um eine berufliche Entwicklung, verbunden mit der entsprechenden Vergütung, bemühen, hierbei aber auf sprechenden Widerstand beim Arbeitgeber stoßen. Ausgangspunkt für viele Beschäftigte ist dabei die Veränderung ihrer Lebenssituation (Wiedereinstieg nach Erziehungszeiten, vor allem bei Müttern, bessere zeitliche Verfügbarkeit nach der Pflege von Familienangehörigen etc.).

Nach Einschätzung von Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald müssen die Anforderungen für einen solchen Schadensersatzanspruch dabei aber nach wie vor aber sorgfältig geprüft werden und sämtlich auch vorliegen. So bedarf es insbesondere eines ordnungsgemäßen und hinreichend konkreten Wunsches des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin nach Arbeitszeitverlängerung. Im Einzelfall muss dann geprüft werden, ob der Arbeitgeber bei einer Ablehnung des Verlängerungswunsches möglicherweise auch anerkennenswerte, betriebliche Gründe ins Feld führen kann. Dies alles sollte gegebenenfalls durch einen erfahrenen und arbeitsrechtlich spezialisierten Anwalt bewertet und geprüft werden.

Dr. Bert Howald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Stuttgart

 

 

Foto(s): Bert Howald

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