BVerfG – Begleiteter Selbstmord hat Verfassungsrang

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1984 entschied der BGH, ein Hausarzt sei verpflichtet, seinen Patienten nach einem Suizidversuch zu retten (Urteil v. 04.07.1984, AZ.: 3 StR 96/84). Von dieser Rechtsprechung rückte der Bundesgerichtshof schon ab. Dies hat das Bundesverfassungsgericht nun bestätigt.

Recht auf selbstbestimmtes Sterben

Das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 26. Februar 2020 2 BvR 2347/15, 2 BvR 2527/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 651/16) verlautbarte in seiner Presseerklärung vom 26.02.2020:

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Klage gegen § 217 StGB

§ 217 StGB ist verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht auf selbstbestimmtes Sterben unabhängig von schweren Erkrankungen zum Verfassungsrang erhoben. Dies ist vergleichbar mit den Rechten auf informationelle Selbstbestimmung oder dem Sozialstaatsprinzip, die ebenfalls aus dem Grundgesetz abgeleitet wurden. Der BGH hatte über zwei Fälle zu entschieden (BGH, Urteile v. 03.07.2019, Az.: 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18).

Es ging jeweils um nicht todkranke Suizidenten, die an nicht lebensbedrohlichen, aber ihre Lebensqualität und persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten litten. Dabei ist völlig klar, dass es Menschen gibt, die fremde Hilfe in Anspruch nehmen müssen.

Gewerbsmäßige Sterbehilfe

Gewerbsmäßiges Handeln bezieht sich hier nur darauf, dass die Beihilfeperson die Tat mehrfach an verschiedenen Personen begangen hat. Auf die Rechtsform des Beihelfenden kommt es darauf nicht an.

Beihilfe zum Selbstmord

Da es an einer Haupttat fehlt (Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen), ist Beihilfe zum Suizid stets straffrei. Entscheidend ist, ob der Suizident zum Zeitpunkt des Todes die Tatherschafft innehatte.

Vorrang des Selbstbestimmungsrechts des Suizidenten

Durch diese Entscheidungen wird das Selbstbestimmungsrecht des auch lebensmüden, nicht kranken Menschen zementiert. Dies war überfällig. Das BVerfG stellt damit den Willen des Suizidenten an die erste Stelle. Diesem Willen hat sich jeder unterzuordnen. 

Damit wird verhindert, dass der Lebensmüde zu illegalen oder ggf. gefährlichen oder unsicheren Mitteln greifen muss, die evtl. schweres Siechtum und Entfall der eigenen Entscheidungsmöglichkeiten zur Folge haben können (Schusswaffengebrauch, Ertrinken, Erhängen, Autounfall usw.).

Dieses Urteil ist natürlich für die lukrative „Lebenserhaltungsindustrie“ (Intensivmedizin, Pflegeheime, Pflegedienste usw.) ein Schlag ins Gesicht.

Für den Betroffenen ist es ein Segen. Das gilt für den Kranken/Lebensmüden, wie für denjenigen, der diesen begleitet.

Im vorliegenden Fall ging es um die Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB. Grundsätzlich geklärt wurde das Thema schon vom BGH (siehe oben).

Rechtsanwalt Holger Hesterberg, Wolfratshausen, München

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im Deutschen Anwaltverein.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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