Coronavirus: Update I - Maskenpflicht und Befreiungsattest am Arbeitsplatz

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Seit einiger Zeit haben viele Arbeitgeber in Anbetracht der sich nach wie vor ausbreitenden Coronapandemie die Maskenpflicht in ihrem Betrieb angeordnet. Vermehrt legen nun Arbeitnehmer Befreiungsatteste vor, die ihnen bescheinigen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen keine Mund-Nase-Bedeckung tragen können. Doch nicht jeder Arbeitgeber akzeptiert die Befreiung ohne weiteres und so streiten sich derzeit viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Anforderungen, die an eine ärztliche Befreiung von der Maskenpflicht im Betrieb zu stellen sind. Ist für die Befreiung von der Maskenpflicht am Arbeitsplatz ein „aussagekräftiges Attest“ erforderlich (und muss der Arbeitnehmer damit seine Krankheitsdiagnose dem Arbeitgeber gegenüber offenlegen) oder genügt ein "einfaches“ Befreiungsattest? Hierüber scheiden sich derzeit in vielen Betrieben die Geister.

Mit dieser Frage habe ich mich bereits in meinem Artikel vom 21.10.2020 befasst, den Sie unter https://www.anwalt.de/rechtstipps/befreiung-von-der-maskenpflicht-am-arbeitsplatz-ist-ein-aussagekraeftiges-attest-erforderlich_181280.html abrufen können. Eine arbeitsgerichtliche Entscheidung stand damals noch aus.

In seiner Pressemitteilung 1/2021 vom 04.01.2021 veröffentlichte das Arbeitsgericht Siegburg nun eine der ersten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zur Maskenpflicht und der Vorlage eines Befreiungsattests im Arbeitsverhältnis. Über das neue Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 16.12.2020 (Aktenzeichen 4 Ga 18/20), das bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, berichte ich in meinem heutigen Artikel. 

I. Der Sachverhalt

Ausweislich der Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Siegburg ist der klagende Arbeitnehmer bei der beklagten Stadt als Verwaltungsmitarbeiter im Rathaus beschäftigt, also Angestellter im Öffentlichen Dienst.

Anfang Mai 2020 ordnete die Beklagte für Besucher und Beschäftigte ordnete das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung in den Räumlichkeiten des Rathauses an.

Der Arbeitnehmer legte daraufhin ein ärztliches Attest vor, das ihn ohne Angabe von Gründen von der Maskenpflicht befreite.

Der Arbeitgeber wies den Arbeitnehmer sodann an, ein Gesichtsvisier beim Betreten des Rathauses und bei Gängen über die Flure und in Gemeinschaftsräumen zu tragen.

Der Arbeitnehmer legte nun ein neues Attest vor, das ihn - wiederum ohne Angabe von Gründen - auch von der Pflicht zum Tragen von Gesichtsvisieren befreite. Der Arbeitgeber war jedoch weiterhin nicht bereit, den Arbeitnehmer ohne Gesichtsbedeckung im Rathaus zu beschäftigen.

Der Arbeitnehmer begehrte daraufhin im Eilverfahren seine Beschäftigung im Rathaus ohne Gesichtsbedeckung, hilfsweise im Homeoffice.

II. Die Entscheidung 

Das Arbeitsgericht Siegburg lehnte die Eilanträge des Arbeitnehmers ab. Der Gesundheits- und Infektionsschutz aller Mitarbeiter und Besucher des Rathauses überwiege das Interesse des Klägers an einer Beschäftigung ohne Gesichtsvisier oder Mund-Nase-Abdeckung. Zudem hatte das Gericht Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Atteste. Ein Befreiungsattest von der Maskenpflicht müsse konkrete und nachvollziehbare Angaben enthalten, warum der Arbeitnehmer keine Maske tragen könne. Das Arbeitsgericht Siegburg schloss sich insofern der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Bereich Schüler/Schule an, die bislang ebenfalls nur aussagekräftige Atteste für eine Befreiung von der Maskenpflicht akzeptiert. Auch der vor dem Arbeitsgericht Siegburg klagende Arbeitnehmer wolle, so das Arbeitsgericht Siegburg in der Pressemitteilung, mithilfe der ärztlichen Bescheinigungen einen rechtlichen Vorteil für sich erwirken, nämlich die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Betreten des Rathauses ohne Maske. Einen Anspruch auf Einrichtung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes verneinte das Arbeitsgericht ebenfalls.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt werden.

III. Kommentar

Die Verneinung eines Anspruchs auf Homeoffice überrascht nicht. Diesbezüglich hat bereits das Arbeitsgericht Augsburg mit Urteil vom 07.05.2020 unter dem Aktenzeichen 3 Ga 9/20 entschieden, dass bislang kein gesetzlicher Anspruch auf Erbringung der Arbeitsleistung im Homeoffice besteht.

Neu ist hingegen die Stellungnahme des Arbeitsgerichts Siegburg in Bezug auf die Anforderungen an ein ärztliches Befreiungsattest des Arbeitnehmers von der Maskenpflicht.

Das Arbeitsgericht Siegburg folgt insofern dem in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im Bereich Schüler/Schule zu beobachtenden Trend, strenge Anforderungen an eine ärztliche Befreiung von der Maskenpflicht zu stellen. Gefälligkeitsatteste sollen nach Möglichkeit ausgeschlossen werden. Mit der Forderung nach einem "aussagekräftigen Attest" auch im Arbeitsverhältnis setzt sich das Arbeitsgericht Siegburg mE jedoch in Widerspruch zu dem Grundsatz, dass der Arbeitnehmer von Gesetzes wegen grundsätzlich nicht zur Offenlegung seiner Krankheitsdiagnose gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet ist. Mit Spannung wird daher die ausführliche Urteilsbegründung erwartet.

Nicht übersehen werden darf zudem, dass es sich bei dem Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg um eine Entscheidung im Eilverfahren handelt (sog. einstweiligen Rechtsschutz). Ein Eilantrag ist nur begründet, wenn der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft machen kann. An die besondere Eilbedürftigkeit werden dabei hohe Anforderungen gestellt. Diese hielt das Arbeitsgericht Siegburg im vorliegenden Fall offenbar für nicht erfüllt.

Die Entscheidung wirft viele Fragen auf:

  • Wie verhalte ich mich als Arbeitnehmer/Arbeitgeber nun richtig?
  • Beansprucht die Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg generelle Geltung für sich oder ist sie den Besonderheiten des betreffenden Einzelfalles geschuldet? 
  • Gilt die Entscheidung nur für den Öffentlichen Dienst oder kann sie auch auf die Privatwirtschaft übertragen werden? 
  • Wird die Entscheidung rechtskräftig oder geht sie in die nächste Instanz? 
  • Wie werden die anderen Arbeitsgerichte, die Landesarbeitsgerichte und vor allem das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsfrage entscheiden?

Nicht zuletzt, weil auch die Corona-Verordnungen der Bundesländer unterschiedliche Regelungen in Bezug auf die Anforderungen an eine Maskenbefreiung enthalten, halte ich es für gut möglich, dass die Arbeitsgerichte anderer Bundesländer anders als das Arbeitsgericht Siegburg entscheiden werden. So werden im Bundesland Schleswig-Holstein bspw. ausdrücklich keine hohen Anforderungen an ein Befreiungsattest im Sinne von § 2a Abs. 1 Satz 3 der am 14.12.2020 verkündeten Ersatzverkündung (§ 60 Abs 3 Satz I LVwG) der Landesverordnung zur Bekämpfung des Coronaviraus SARS-CoV-2 des Landes Schleswig-Holstein gestellt. Dies stellt der Verordnungsgeber in seiner Begründung zu der betreffenden Verordnung explizit klar. Fordert der Verordnungsgeber vom Bürger schon kein „aussagekräftiges Attest“, kann der Arbeitgeber dies vom Arbeitnehmer mE erst recht nicht verlangen.

Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Es bleibt also spannend.

 

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