Darf ein Täter härter bestraft werden, wenn er sich wahrheitswidrig auf die Notwehr beruft?

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Grundsätze der Strafzumessung 

Wenn das Gericht von der Schuld des Angeklagten zweifelsfrei überzeugt ist, so muss es die Frage beantworten, wie die Tat zu bestrafen ist. Dabei ist das Gericht einzig an das Gesetz gebunden.

Das Gesetz macht für die Strafzumessung in § 46 StGB mehr oder weniger eindeutige Vorgaben. Es schreibt dabei die (persönliche) Schuld des Täters als Grundlage der Strafzumessung fest, da unser Strafrechtssystem am Schuldmaßprinzip ausgerichtet ist. Jede Strafe muss sich demnach an der Schuld des Täters orientieren und zu ihr in einem angemessenen Verhältnis stehen. Unter „Schuld“ ist in diesem Sinne die persönliche Vorwerfbarkeit zu verstehen.  

Bei der Strafzumessung wägt das Gericht dann die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab, um den Strafrahmen auszufüllen und das Strafmaß festzusetzen.  

Dabei kommen gem. § 46 StGB die folgenden Umstände in Betracht:

  • Beweggründe des Täters
  • die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille
  • das Maß der Pflichtwidrigkeit
  • die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat
  • das Vorleben des Täters und seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
  • sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen

Darf eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung straferschwerend berücksichtigt werden?

In seiner Entscheidung vom 19. Dezember 2018 (3 StR 391/18) musste sich der Bundesgerichtshof  mit der Frage auseinandersetzen, ob auch eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung des Angeklagten bei der Strafzumessung berücksichtigt werden kann, insbesondere, ob sie dem Angeklagten straferschwerend zur Last gelegt werden darf.

Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde:

Der Angeklagte schuldete dem Geschädigten noch 20 € aus dem Kauf einer Hose, weshalb der Geschädigte den Angeklagten daher am 15. September 2017 zur Rede stellte und ihn aufforderte, den restlichen Kaufpreis zu bezahlen. Als sich der Angeklagte jedoch weigerte, seine Schulden zu begleichen oder die Hose herauszugeben, ärgerte sich der Geschädigte sehr darüber und rangelte mit dem Angeklagten, dem es aber gelang, den Geschädigten wegzuschubsen. Aus Verärgerung versetzte der Geschädigte dem Angeklagten dann eine schmerzende Ohrfeige. Obwohl der Geschädigte zu keinem weiteren Angriff ansetzte, stieß der Angeklagte diesem daraufhin sein Klappmesser in den Oberbauch und durchtrennte innerhalb der Wunde willentlich mit einer weiteren Schnittbewegung den linksseitigen Bauchmuskel. Bei seiner Vernehmung gab der Angeklagte dann wahrheitswidrig an, der Geschädigte habe ihn zuvor unter der Vornahme mehrerer Schläge körperlich verletzt.

Die Ansicht des Landgerichts Duisberg

Das Landgericht Duisberg hatte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt.

Bei der Strafzumessung hatte das Landgericht die Voraussetzungen eines minder schweren Falles gemäß § 213 Alt. 1 StGB analog abgelehnt. Nach § 213 Alt. 1 StGB kann von einem minder schweren Fall ausgegangen werden, wenn der Täter ohne eigene Schuld durch eine ihm zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem Opfer zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden ist. Der § 213 StGB bezieht sich unmittelbar zwar auf den Totschläger, jedoch kann er bei einer gefährlichen Körperverletzung entsprechend angewendet werden. Das Landgericht ging jedoch nicht davon aus, dass der Angeklagte „ohne eigene Schuld“ i.S.d. § 213 Alt. 1 StGB analog handelte, da der Angeklagte durch seine Ankündigung, den Kaufpreis nicht zu bezahlen, die Ohrfeige herausgefordert haben soll.

Auch hatte das Landgericht nach einer Abwägung der strafmildernden Umstände mit den straferschwerenden Gründen keinen minder schweren Fall nach § 224 Abs. 1 Hs. 2 StGB angenommen. Bei dieser Abwägung hatte es insbesondere die wahrheitswidrige Notwehrbehauptung zu Lasten des Angeklagten gewürdigt.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof schloss sich der Entscheidung des Landgerichts jedoch nicht an.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs begegne bereits die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei nicht ohne eigene Schuld in die Auseinandersetzung mit dem Geschädigten geraten, so dass § 213 Alt. 1 StGB analog nicht anwendbar sei, durchgreifenden Bedenken. Die Ohrfeige sei hier gerade nicht als eine angemessene Reaktion des Geschädigten auf die Leistungsverweigerung des Angeklagten anzusehen. Es sei vielmehr überzogen und nicht mehr verständlich, dass der Geschädigte zum Durchsetzen seiner Forderung Gewalt ausübte. Die Ohrfeige sei daher als ausreichend schwere Provokation i.S.d. § 213 StGB analog zu werten und bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Weiter sei es einem Angeklagten grundsätzlich nicht verwehrt, sich gegen einen Vorwurf der Körperverletzung mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Auch wenn damit Anschuldigungen gegen Dritte verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch noch nicht überschritten. Erst wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt, könne eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung straferschwerend gewertet werden.

Vorliegend enthalte die unzutreffende Behauptung des Angeklagten jedoch keine über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende, herabwürdigende Ehrverletzung des Geschädigten. Auch eine über das zulässige Verteidigungsverhalten hinausgehende rechtsfeindliche Gesinnung sei der Aussage nicht zu entnehmen. Die Falschbelastung hätte mithin nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden dürfen.

Das Urteil des Landgerichts Duisburg wurde daher auf die Revision des Angeklagten im Strafausspruch aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafrechtskammer zurückverwiesen.

Fazit

Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung bei der Strafzumessung erst dann straferschwerend gewertet werden darf, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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