Das Insolvenzrecht und die Corona-Pandemie

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Die Folgen der Corona-Krise führen bei vielen Gesellschaften zu erheblichen Liquiditätsengpässen und können unter Umständen dazu führen, dass die Vertretungsorgane der Gesellschaft (z. B. Geschäftsführer, Vorstand u. ä.) gesetzlich dazu verpflichtet sind, einen Insolvenzantrag zu stellen. Eine gesetzliche Insolvenzantragspflicht besteht, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist. In diesem Fall muss spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein Insolvenzantrag gestellt werden. Ist die Gesellschaft „nur“ drohend zahlungsunfähig – also nicht aktuell, sondern voraussichtlich in der Zukunft – kann ein Insolvenzantrag gestellt werden.

Zwar hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz angekündigt, dass ein Gesetz verabschiedet werden soll, welches die Insolvenzantragspflicht in Fällen, in denen der Insolvenzgrund allein auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie beruht, bis zum 30.09.2020 aussetzt. Da dieses Gesetz noch nicht existiert, sind die konkreten Voraussetzungen, unter denen eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht greift, allerdings noch nicht mit absoluter Sicherheit klar (wahrscheinlich erscheint eine ähnliche Regelung wie bei den Hochwasserkatastrophen in den Jahren 2002, 2013 und 2016). Vorrausetzung für eine solche Aussetzung soll in jedem Fall sein, dass aufgrund einer Beantragung öffentlicher Hilfen oder ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen des Antragspflichtigen begründete Aussichten auf eine Sanierung bestehen.

Es ist jedoch unklar, (1) wer (2) unter welchen Voraussetzungen und (3) in welcher Höhe einen Anspruch auf staatliche Hilfen haben wird, weil die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen ebenfalls noch geschaffen werden müssen. Ferner besteht ein weiteres, überragendes tatsächliches Problem darin, dass aufgrund der starken Überlastung der Ämter bei gleichzeitig verminderter Arbeitsleistung dieser (aufgrund eigener Corona-Schutzmaßnahmen), beantragte öffentliche Hilfen die in Schieflage geratenen Unternehmen nicht rechtzeitig erreichen.

So ist zu befürchten, dass eine Regelung dahingehend, dass eine Insolvenzantragspflicht für Gesellschaften, bei denen der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Folgen der Corona-Pandemie beruht, ausgesetzt wird, für die betroffenen Unternehmen keine echte Hilfestellung gibt. Insbesondere darf hierbei nicht übersehen werden, dass die zeitweilige Aussetzung der Insolvenzantragspflicht dazu führen kann, dass Gesellschaften, die nach Ablauf des 30.09.2020 (weiterhin) objektiv zahlungsunfähig oder überschuldet sind (was bei vielen der betroffenen Unternehmen der Fall sein wird), mit Ablauf des 30.09.2020 unverzüglich einen Insolvenzantrag stellen müssten. Die Problematik wäre in diesem Fall also letztlich nur aufgeschoben worden.

Vor dem Hintergrund von alledem ist Gesellschaften dringend anzuraten, eingehend zu prüfen, ob für deren Vertretungsorgane unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten zum jetzigen Zeitpunkt irgendwelche Handlungspflichten bestehen bzw. ob, auch wenn derzeit keine Pflicht zum Handeln besteht, unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten zweckmäßigerweise bereits zum jetzigen Zeitpunkt Maßnahmen ergriffen werden sollten. Das Insolvenzrecht beinhaltet nämlich nicht nur Pflichten und Haftungsrisiken, sondern – insbesondere in dem Fall, dass eine Gesellschaft „nur“ drohend zahlungsunfähig oder überschuldet, nicht hingegen zahlungsunfähig ist – durchaus auch Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Möglichkeit der Durchführung eines sog. „Schutzschirmverfahrens“ hinzuweisen. Hierzu nachfolgen:

1. Voraussetzungen für die Durchführung eines Schutzschirmverfahrens

Voraussetzung für die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens ist zunächst ein Antrag der Gesellschaft beim zuständigen Insolvenzgericht auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, welcher mit einem Antrag auf Eigenverwaltung sowie einem Antrag auf gerichtliche Bestimmung einer Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans verbunden wird.

Zugleich mit diesem Antrag ist dem Insolvenzgericht eine mit Gründen versehene Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation, vorzulegen, aus der sich ergibt, dass die Gesellschaft drohend zahlungsunfähig oder überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig ist und dass die angestrebte Sanierung nicht offenkundig aussichtslos ist.

Eine solche Bescheinigung kann beispielsweise von dem StB der Gesellschaft erstellt werden.

2. Vorteile des Schutzschirmverfahrens

Das Schutzschirmverfahren bietet gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren diverse Vorteile, von denen wir nachfolgend beispielhaft einige benennen und kurz erläutern möchten.

  • Gesellschaft behält die Kontrolle

Die Gesellschaft bzw. deren Vertretungsorgane können im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens in Eigenverwaltung weiterhin selbst agieren. Da die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bei der Gesellschaft verbleibt, behalten deren Vertretungsorgane die Kontrolle über ihr Unternehmen.

Die Interessen der Gläubiger werden dadurch geschützt, dass durch das Insolvenzgericht ein Sachwalter eingesetzt wird, welcher bspw. die Liquiditätsplanung, die Bestellvorgänge u. ä. intern überwacht.

  • Einfluss auf die Bestellung des Sachwalters bei Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschlusses

Auch im Eigenverwaltungsverfahren kann die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses erfolgen.

Ein vorläufiger Gläubigerausschuss ist von Gesetzes wegen einzusetzen, wenn die Gesellschaft im vorangegangenen Jahr mindestens einer der folgenden Voraussetzungen erfüllt hat: 6.000.000 Euro Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrags im Sinne des § 268 Absatz 3 des Handelsgesetzbuchs; mindestens 12.000.000 Euro Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag; im Jahresdurchschnitt mindestens fünfzig Arbeitnehmer.

Das Insolvenzgericht soll unabhängig davon bei einem entsprechenden Antrag der Gesellschaft einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, wenn Personen benannt werden, die als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen und dem Antrag Einverständniserklärungen der benannten Personen beigefügt werden. Bei frühzeitiger vorheriger Abstimmung mit den wesentlichen Gläubigern kann somit die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses auf entsprechenden Antrag hin erreicht werden.

Die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses ist insoweit von Vorteil, als das Insolvenzgericht, wenn der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig eine bestimmte Person zur Bestellung als Sachwalter vorschlägt, von diesem Vorschlag nur in begründeten Ausnahmefällen (bspw. weil die vorgeschlagene Person ungeeignet erscheint) abweichen darf. Die vorgeschlagene Person wird somit vom Insolvenzgericht quasi immer zum (vorläufigen) Sachwalter bestellt.

  • Möglichkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten; Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen

Auf entsprechenden Antrag beim Insolvenzgericht hin, kann die Gesellschaft bereits während der Dauer des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens Masseverbindlichkeiten begründen. Die Gesellschaft kann damit auch im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren weiterhin wie zuvor am Geschäftsverkehr teilnehmen, weil ihre Geschäftspartner nicht befürchten müssen, dass ihre Forderungen gegen die Gesellschaft nach Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens nur zur Insolvenztabelle angemeldet werden können.

Die Gesellschaft kann, sofern von Gläubigern Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet worden sind, beim Insolvenzgericht auch beantragen, dass die Vollstreckungsmaßnahmen eingestellt werden müssen.

  • Insolvenzgeld

Auch im Rahmen des Schutzschirmverfahrens sind eine Beantragung von Insolvenzgeld sowie eine Insolvenzgeldvorfinanzierung möglich. Erforderlich ist hierfür, dass die Agentur für Arbeit einer kollektiven Abtretung der Insolvenzgeldansprüche zustimmt, was davon abhängt, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten werden kann. Im Falle der Bewilligung von Insolvenzgeld übernimmt die Agentur für Arbeit die Zahlung der Gehälter der Arbeitnehmer der Gesellschaft für die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegenden drei Monate. Dies stellt einen erheblichen Liquiditätsvorteil für die Gesellschaft dar, weil die Agentur für Arbeit ihre diesbezüglichen Forderungen gegen die Gesellschaft nur im eröffneten Verfahren zur Insolvenztabelle anmelden kann.

  • Insolvenzplan

Ziel des Insolvenzplans ist eine bestmögliche quotale Befriedigung der zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen der Gläubiger der Gesellschaft. Ein Insolvenzplan kann ausschließlich durch die Gesellschaft selbst oder den Sachwalter vorgelegt werden. Die Gläubiger stimmen in einem von Seiten des Insolvenzgerichts anberaumten Abstimmungstermin über die Annahme dieses Insolvenzplans ab.

Der Insolvenzplan besteht aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil. Hierzu beraten wir Sie gern.

Bei Annahme des Insolvenzplans wird das Insolvenzverfahren aufgehoben. Somit kann das Schutzschirmverfahren in der Regel auch zu einer erheblichen Verkürzung der Dauer des Insolvenzverfahrens führen.

4. Zusammenfassung

Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, bietet das Insolvenzrecht nicht nur Plichten und Haftungsrisiken, sondern durchaus auch Chancen und Gestaltungsspielräume, welche genutzt werden sollten.

Gern stehen wir Ihnen für jegliche diesbezügliche Fragen oder auch eine eingehende persönliche Beratung im Hinblick auf die konkret für Sie bzw. Ihre Gesellschaft bestehenden Möglichkeiten zur Verfügung.



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