Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters in Österreich: Anspruchsgrundlage und Berechnung

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Die Regelungen zum Ausgleichsanspruch sind bei Beendigung der Vereinbarung zwischen Unternehmer und Handelsvertreter besonders wichtig. Hier erfahren Sie, wie die österreichischen Gesetze das Thema regeln.

Egal ob Sie Unternehmer sind, der Handelsvertreter einsetzt, oder ob Sie Handelsvertreter sind, der für Unternehmer tätig ist – der Ausgleichsanspruch ist ein wichtiger Bestandteil der Beziehung zwischen den beiden Partnern. Und da es beim Ausgleichsanspruch um viel Geld gehen kann, sollte man sich mit diesem Thema eingehend beschäftigen.

Wer ist Handelsvertreter nach der österreichischen Rechtslage?

Gemäß § 1 Handelsvertretergesetz (HVertrG) ist Handelsvertreter, wer von einem anderen mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften, ausgenommen über unbewegliche Sachen, in dessen Namen und für dessen Rechnung ständig betraut ist und diese Tätigkeit selbstständig und gewerbsmäßig ausübt.

Entscheidend für die Beurteilung der Tätigkeit ist nicht die Bezeichnung der Vereinbarung, sondern wie der Vertrag in der Praxis tatsächlich „gelebt“ wird.

Im Lichte der österreichischen Judikatur ist unter „Vermittlung“ zu verstehen, dass der Handelsvertreter durch seine mittelbare oder unmittelbare Einwirkung auf den potenziellen Geschäftspartner des Unternehmens (z. B. durch Informieren, Beraten, Besprechen etc.) den Abschluss des Geschäftes fördert. Neukunden sind jedenfalls diejenigen Kunden, mit denen der Unternehmer zu Beginn des Handelsvertreterverhältnisses noch nicht in Geschäftsbeziehung gestanden ist.

Warum gibt es einen Ausgleichsanspruch?

Der Grundgedanke des Ausgleichanspruchs ist die Überlegung, dass ein Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mit einem Handelsvertreter ja noch weiterhin Umsatz und Gewinn aus dem Kundenstamm zieht, den der Handelsvertreter für ihn aufgebaut und gepflegt hat. Demgegenüber wäre es unfair, wenn der Handelsvertreter auf einmal keine Abgeltung mehr für seine geleistete Arbeit erhalten würde.

Dies gilt ganz besonders dort, wo ein Handelsvertreter einen Kundenstamm erst über lange Zeit aufbauen musste, bis er Einnahmen erzielt. Er hat also viel Arbeit in zukünftige Einnahmen investiert, und diese Investition soll nicht plötzlich und ohne Ausgleich verloren gehen.

Der Ausgleichsanspruch dient also in erster Linie dem Schutz des Handelsvertreters und ist in Österreich im §24 des Handelsvertretergesetzes geregelt.

Dort heißt es:

„(1) Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses gebührt dem Handelsvertreter ein angemessener Ausgleichsanspruch, wenn und soweit
 1. er dem Unternehmer neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat,
 2. zu erwarten ist, dass der Unternehmer oder dessen Rechtsnachfolger aus diesen Geschäftsverbindungen auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen kann, und
 3. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den betreffenden Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht.“

Ein Ausgleichsanspruch entsteht also, wenn der Handelsvertreter dem Unternehmer neue Kunden oder neue Umsätze gebracht hat und wenn der Unternehmer auch weiterhin daraus Nutzen ziehen wird.

Bei einer unbegründeten Kündigung durch den Handelsvertreter (außer dies war eine begründete Reaktion auf dem Unternehmer zurechenbare Umstände) oder bei einer Vertragsauflösung wegen eines Fehlverhaltens des Handelsvertreters besteht kein Ausgleichsanspruch. Dem Handelsagenten steht allerdings auch bei eigener Kündigung ein Ausgleichsanspruch zu, wenn er aus begründetem Anlass kündigt oder aus Gründen des Alters, bei Krankheit oder Gebrechen ausscheidet. Auch in den Fällen der ordentlichen Kündigung durch den Prinzipal oder einer einvernehmlichen Beendigung steht dem Grunde nach ein Ausgleichsanspruch zu.

Diese Regelung ist zwingend und kann nicht durch eine anderslautende Vereinbarung ausgeschlossen werden.

Ausgleichanspruch auch bei anderen Vertriebsarten

Der Grundgedanke des Ausgleichsanspruchs wird heute durch die Rechtsprechung auch auf andere Formen der vertrieblichen Zusammenarbeit als Handelsvertretungen angewendet. Der Schutz, den der Handelsvertreter genießt, wird somit auf andere Personen und Unternehmen ausgedehnt.

Ein Beispiel dafür sind sogenannte Vertragshändler, wie sie unter anderem im Fahrzeughandel häufig vorkommen. Wenn diese ein fester Bestandteil der Vertriebsstruktur des Herstellers waren und zu diesem ein Verhältnis hatten, das dem eines Handelsvertreters ähnlich war, dann steht auch diesen Vertragshändlern bei Beendigung der Geschäftsbeziehung mit dem Hersteller ein Ausgleichsanspruch zu.

Auch bei Franchisenehmern, wie zum Beispiel bei Tankstellenhaltern, wird die Regelung des Ausgleichsanspruches analog angewendet. Wenn ein Franchisenehmer also über viele Jahre seine Region gepflegt und einen Kundenstock aufgebaut hat, so wäre es nicht angemessen und fair, diese Aufbauarbeit nicht durch einen finanziellen Ausgleich zu honorieren.

Ähnliches gilt übrigens auch bei Versicherungsvertretern.

Wie hoch ist der Ausgleichsanspruch?

Die genaue Berechnung des Ausgleichsanspruchs ist eine komplizierte Angelegenheit. Es sind dabei viele Faktoren zu berücksichtigen und es gibt keine fixe Formel. Aber es gibt dennoch einige Regeln, die sich im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung der Gerichte herauskristallisiert haben.

Die Höhe des Ausgleichsanspruches berechnet sich üblicherweise nach den in den letzten Vertragsjahren gemachten Umsätzen („Rohausgleich“). Das heißt, die Ausgleichszahlung sorgt dafür, dass der Handelsvertreter (oder Franchisenehmer etc.) finanziell in etwa so gestellt wird, als hätte er seine Tätigkeit noch ein weiteres Jahr ausgeübt.

Dabei werden verschiedene Positionen in Abzug gebracht, wie Entgelte für verwaltende Tätigkeiten, Provisionen aus Geschäften, die sich nicht wiederholen werden, oder erwartete Abwanderung von Kunden.

Die maximale Höhe des Ausgleichanspruchs wird als Jahresdurchschnittsvergütung wie folgt bestimmt: Wenn ein Handelsvertreter in den vorangegangenen fünf Jahren Provisionen von 50.000, 60.000, 80.000, 70.000 und 90.000 Euro erhalten hat, so beträgt der Durchschnitt 70.000 Euro. Dies ist dann auch die maximale Höhe des Ausgleichsanspruchs.

Man sieht, die genaue Berechnung hängt von zahlreichen Faktoren ab, weshalb es sich empfiehlt, hier einen erfahrenen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.

Ein Ausgleichanspruch muss übrigens innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertrages geltend gemacht werden. Am besten geschieht dies schriftlich und so, dass sich die Übermittlung des Schreibens beweisen lässt (z. B. per Einschreiben).

Falls der Ausgleichsanspruch bei Gericht durchgesetzt werden soll, muss dies innerhalb von drei Jahren nach Beendigung des Vertrages geschehen. Ansonsten verjähren alle Ansprüche. Hier ist zu beachten, dass die 3-jährige Verjährungsfrist vertraglich aber verkürzt werden kann. Es muss daher immer der individuelle Vertrag geprüft werden.

Interessante Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (OGH) in Österreich zum Ausgleichsanspruch:

Verwirkung des Ausgleichsanspruches (9ObA38/08s; 6Ob88/11a)

Für die Beurteilung der Voraussetzungen des Vorliegens eines Ausgleichsanspruchs kommt es nicht auf den Ausspruch oder den Zugang der Kündigung, sondern darauf an, wie und wodurch das Vertragsverhältnis tatsächlich beendet wurde. Der Ausgleichsanspruch besteht daher, wenn der Unternehmer trotz ausgleichsanspruchschädlicher Eigenkündigung des Handelsvertreters das Vertragsverhältnis während der Kündigungsfrist ohne einen dem Handelsvertreter zurechenbaren schuldhaften wichtigen Grund vorzeitig auflöst.

Wahrung des Ausgleichsanspruchs

Zur Wahrung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nach § 24 HVertrG genügt die rechtzeitige Mitteilung an den Unternehmer, dass ein Ausgleichsanspruch geltend gemacht werde, eine Bezifferung dieses Anspruchs ist zu diesem Zeitpunkt nicht nötig. Auch ist für die Geltendmachung keine bestimmte Form vorgeschrieben, eine gerichtliche Geltendmachung ist nicht erforderlich (OGH zu 9ObA91/08k).

Tankstellenbetreiber und Ausgleichsanspruch

Der Tankstellenbetreiber, der im Namen und auf Rechnung der Mineralölfirma deren Produkte vertreibt, unterliegt dem HVertrG. Dass er im Hinblick auf seine wirtschaftliche Abhängigkeit als arbeitnehmerähnlich einzustufen ist, ändert daran nichts (8 ObA 299/01f).

Ausgleichsanspruch und Europäische Union

Einem Handelsvertreter, der überwiegend im Gebiet der Europäischen Union tätig war, steht auch dann ein unabdingbarer Anspruch auf Ausgleichszahlung zu, wenn der Unternehmer seinen Sitz außerhalb der EU hat und der Vertretervertrag die Anwendung außereuropäischen Rechts vorsieht, in dem ein derartiger Anspruch nicht anerkannt wird. Einer darauf lautenden Schiedsklausel ist daher die Anerkennung zu versagen (5Ob72/16y).

Ausgleichsanspruch und Stammkunden sowie Provisionsberechnung:

Prinzipiell sind (unbeschadet der nachträglichen Berücksichtigung allfälliger Abschläge) jene Stammkunden des Handelsvertreters zu berücksichtigen, die bereit sind, beim veräußerten Nachfolgeunternehmen zu bleiben oder zu einem gleichartigen anderen Unternehmen des Unternehmers zu wechseln. Es ist für den Ausgleichsanspruch daher nicht schädlich, wenn der Unternehmer auf diese (potentiellen) Kunden freiwillig verzichtet, indem er deren Übernahme ablehnt oder sie durch eine nunmehr geänderte Preispolitik abschreckt (8ObA9/15d).

Ausgleichsanspruch, analoge Anwendung und Beweiserleichterung des Handelsvertreters

Die Beweiserleichterung des Handelsvertreters (RIS-Justiz RS0106003) beschränkt sich auf die Verdienstchancen in jenem Unternehmensteil (Betrieb), in dem der Handelsvertreter neue Kunden zugeführt hat. Im Fall der (analogen) Anwendung des § 24 HVertrG auf Tankstellenpächter gilt sie daher nur für jene Tankstelle, die vom jeweiligen Pächter, der den Ausgleichsanspruch begehrt, betrieben wurde.



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