Die Entziehung des Pflichtteils - scharfe Waffe oder nur ein stumpfes Schwert? Hinweise zur Rechtspraxis

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Das Erbrecht erkennt gewissen Personengruppen eine Art Mindesteilhabe am Nachlass des Erblassers zu: Wird z.B. ein Abkömmling, der Ehegatte oder ein Elternteil des Erblassers von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, so steht diesem - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - grundsätzlich ein Pflichtteilsanspruch zu. Der Berechtigte kann dann Zahlung in Höhe der Hälfte seines gesetzlichen Erbteils verlangen.

Wenn ihm der Erblasser den Pflichtteil nicht zuvor wirksam entzogen hat.

Die Voraussetzungen regelt § 2333 BGB, dessen Abs.1 wie folgt lautet:

1. wer dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet,

2. wer sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in Nummer 1 bezeichneten Personen schuldig macht,

3. wer die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt oder


4. wer wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird.

Der Katalog ist abschließend, die Gründe, die für eine Entziehung des Pflichtteils sind klar und deutlich in einem Testament auszuführen.

Eine Begründung oder die Anordnung der Entziehung außerhalb des Testamentes genügt nicht!

Unklarheiten oder Beweisschwierigkeiten, ob etwa Vorstrafen im Sinne von Ziff.1 zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorlagen, trägt grundsätzlich derjenige, der sich auf die Entziehung des Pflichtteils berufen möchte, also regelmäßig dem Erben. 

Unabhängig davon, finden sich auch heute noch in vielen Testamenten die Klausel, wonach einem Abkömmling der Pflichtteil  wegen dessen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel wider den Willen des Erblassers entzogen wird.

Findet sich eine entsprechende Klausel in einem Testament eines nach dem 31.12.2009 verstorbenen Erblassers, so ist dieser Entziehungsgrund regelmäßig unwirksam (Art. 229 § 23 Abs. 4 EGBGB), was in der Praxis häufig übersehen wird. 

Findet sich in einem Testament kein weiterer wirksam und ausreichend begründeter Entziehungsgrund, verbleibt es bei der Pflichtteilsberechtigung.

Ein Erblasser, der seine Verhältnisse neu ordnen möchte, sollte statt der Unsicherheiten fraglicher Anwendungsfälle der Pflichtteilsentziehung auf andere Gestaltungsmittel zurückgreifen.

Ein Pflichtteilsberechtigter, der noch zu Lebzeiten von der testamentarisch verfügten Pflichtteilsentziehung sichere Kenntnis erlangt, sollte diese angreifen, um das Fehlen der Voraussetzungen für die Pflichtteilsentziehung feststellen zu lassen.

Joachim Marcel Stehle, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht bei LEGALIS.Anwälte Partnerschaft in Bad Waldsee und Biberach

Foto(s): LEGALIS.Anwälte Partnerschaft. Biberach und Bad Waldsee

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