Die fristlose Kündigung des Schwerbehinderten

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Bei der Kündigung Schwerbehinderter oder gleichgestellter Arbeitnehmer benötigt der Arbeitgeber auch bei der außerordentlichen und gemeinhin so bezeichneten fristlosen Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts.

 Die Zweiwochenfrist

Hierbei ist der Arbeitgeber gehalten, die Kündigung binnen zwei Wochen ab dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt hat, auszusprechen (§ 626 Abs. 2 S. 1 BGB). Dem Arbeitgeber ist aber gestattet, auch nach Ablauf der Zweiwochenfrist die außerordentliche bzw. fristlose Kündigung zu erklären, wenn er binnen dieser zwei Wochen zumindest den Antrag auf Zustimmung des Integrationsamts gestellt hat (§ 174 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Hierbei soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn der Kündigungsgrund keinen Behinderungszusammenhang aufweist. Der Arbeitgeber muss und darf dann, auch nach Ablauf der Zweiwochenfrist, die fristlose Kündigung aussprechen, wenn er dies sodann unverzüglich tut (§ 174 Abs. 5 SGB IX ). Dies kann von den Umständen abhängend ein Zeitraum von 3 - 7 Tagen sein. Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht stets betont, dass es keine bestimmte Frist gibt.

 Bislang ist sowohl die Arbeits- wie auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit allerdings davon ausgegangen, dass das Integrationsamt formal prüft, ob der Antrag auf Zustimmung zur Kündigung binnen der Zweiwochenfrist überhaupt gestellt wurde und nicht, ob die Zweiwochenfrist im Sinne des §§ 626 Abs. 2 S. 1 BGB eingehalten worden ist, d.h. ob der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntwerden der Kündigungsgründe im Sinne des Gesetzes gestellt worden ist, was eine inhaltliche Prüfung darstellt. Diese Prüfung sollte stets den Arbeitsgerichten vorbehalten bleiben.

 Prüfung verschiebt sich vom Arbeitsgericht zum Integrationsamt bzw. dem Verwaltungsgericht

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.06.2020 nunmehr eine eine erhebliche Änderung und Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung eingeleitet. Danach ist die Einhaltung der zweiwöchigen Antragsfrist des §§ 174 Abs. 2 SGB IX allein vom Integrationsamt zu beurteilen und die Arbeitsgerichte sind daran gebunden. Diese prüfen dann lediglich noch, ob die Kündigung unverzüglich im Sinne des §§ 174 Abs. 5 SGB IX erklärt wurde, d.h. ohne schuldhaftes Zögern nach Erteilung der Zustimmung zur Kündigung durch das Integrationsamt. Damit wird den Arbeitsgerichten die originäre Prüfung entzogen, ob die Zweiwochenfrist für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung wegen eines wichtigen Grundes eingehalten ist, sodass die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Kündigung extrem verkürzt wird.

 § 626 Abs. 2 BGB enthält eine materiell-rechtliche Frist, die den wichtigen Grund entfallen lässt. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass wenn sich der Arbeitgeber für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung mehr als zwei Wochen Zeit lässt, der Grund nicht so schwer wiegen kann, als es dem Arbeitgeber unzumutbar wäre, das Arbeitsverhältnis bis zur Beendigung der regulären Kündigungsfrist fortzusetzen. Mit Versäumunmg dieser Frist „verwirkt“ der Arbeitgeber seine Möglichkeit zur außerordentlichen bzw. fristlosen Kündigung.

 Inhaltliche Prüfung durch die Verwaltung und die Verwaltungsgerichte

Nachde diese Prüfung beim Arbeitsgericht nicht mehr stattfindet, erlangt das Zustimmungsverfahren eine völlig neue und wesentlich größere Bedeutung. Es wird regelmäßig bereits im Antragsverfahren zu prüfen sein, ob die inhaltlichen Voraussetzungen für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung vorliegen, zumal bei Nichtentscheidung durch das Integrationsmat die Zustimmung als erteilt gilt, d.h. gestzlich fingiert wird. So wird das Integrationsamt konkret ermitteln müssen, zu welchem Zeitpunkt der Arbeitgeber von dem angeblichen Kündigungstatbestand bereits Kenntnis hatte und wann die Zweiwochenfrist damit in Lauf gesetzt wurde. Letztlich hat das Integrationsamt und damit auch in einem sich ggf. daran anschließenden Klageverfahren die Verwaltungsgerichtsbarkeit arbeitsrechtliche Fragen zu prüfen, auch wenn es sich insoweit um materiell-rechtliche, d.h. inhaltliche Fragen des Arbeitsrechts handelt. So wird zu prüfen sein, ob es sich um eine Tat- oder eine Verdachtskündigung handelt und unter welchen Umständen der Arbeitgeber überhaupt Kenntnis erlangt hat und vieles anderes mehr. Auf der anderen Seite ist bei einem entsprechenden Zustimmungsbescheid die Arbeitsgerichtsbarkeit daran gebunden, d.h. das Arbeitsgericht überprüft nicht mehr selbstständig, ob tatsächlich innerhalb der zwei Wochen der Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt gestellt wurde. Das Arbeitsgericht muss die Zustimmung und die Erfüllung der Erfordernisse bei der Zweiwochenfrist als gegeben hinnehmen und kann jedenfalls deswegen eine Kündigung nicht mehr für unwirksam erklären.

Prüft das Arbeitsgericht trotzdem noch zusätzlich?

Es bleibt abzuwarten, wie diese Entscheidung, die von der Praxis vielfach kritisch aufgenommen worden ist, sich in ihrer Umsetzung weiter auswirkt und wie letztlich die Arbeitsgerichte mit den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts umgehen. Genauso bedeutsam ist allerdings, wie das Integrationsamt als zuständige Behörde insoweit seinem Prüfungsauftrag nachkommt und ob es diesen überhaupt annimmt bzw. ob die Verwaltungsgerichte der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts folgend die Integrationsämter insoweit in der Pflicht sehen und ggf. selbst in die arbeitsrechtliche Prüfung eintreten oder ob dies die Verwaltungsgerichtsbarkeit letztlich ablehnt. Dies würde allerdings faktisch darauf hinauslaufen, dass das Gebot effektiven Rechtsschutzes des Art. 19 Abs. 4 GG verletzt würde und letztlich zu einer Rechtsverweigerung führte, da einerseits das Arbeitsgericht sich aufgrund der BAG-Rechtsprechung gehindert sehen wird, eine eigene Prüfung vorzunehmen und andererseits die Verwaltungsgerichte insoweit keinen Prüfungsauftrag sehen bzw. diesem ggf. nicht nachkommen. Dies würde ein untragbares Ergebnis darstellen.  

Unbedingtes Tätigwerden im Zustimmungsverfahren

Für die Praxis bedeutet dies, dass bereits im Zustimmungsverfahren und einem sich ggf. anschließenden Widerspruchs- und Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht ggf. umfangreich und eingehend diese Frage wird diskutiert werden müssen. Ein „Laufenlassen“des Zustimmungsverfahrens, weil bspw. kein Behinderungszusammenhang vorliegt, verbietet sich danach endgültig. Dies bedeutet für den Betroffenen aber wiederum, dass dieser möglichst frühzeitig, spätestens aber mit Erhalt des Antrags auf Zustimmung zur Kündigung, der ihm durch das Integrationsamt zugestellt wird, anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen muss, um sich bereits im Antragsverfahren gegen die Erteilung der Zustimmung zur Wehr setzen zu können.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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