Veröffentlicht von:

Ein Plädoyer für die Abschaffung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)

  • 6 Minuten Lesezeit

Ein Plädoyer für die Abschaffung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) oder: „Was Allgemeine Geschäftsbedingungen mit Penizillin und den guten Sitten verbindet“.

Wir kennen alle diese Situation. Im Urlaub, beispielsweise auf den Kanaren, wir mieten den Mietwagen und unterzeichnen dafür – wohl rechtsgültig – einen Mietvertrag nebst beiliegender oder umseitig abgedruckter AGB (Allgemeine Geschäftsbedingungen). Niemals habe ich (als gestandener Jurist) oder kämen wir auf die Idee, dieses Vertragswerk jetzt erstmal in aller Ruhe durchzulesen oder gar auf eine irgendwie auch immer geartete Richtigkeit zu überprüfen.

Dennoch unterzeichnen wir dieses Dokument und dennoch ist es gültig mit all seinen Verklausulierungen und all dem Kleingedrucktem! Ist es nicht eigenartig, dass wir es dennoch und ungesehen unterzeichnen? Das würden wir doch sonst auch nicht tun. 

Wir unterzeichnen es, weil wir wissentlich, instinktiv oder auch einfach durch gewohntes Verhalten Aller wissen, dass wir Gerichte in unserem Land und in Europa haben, die alles in diesen AGB, was uns zu Unrecht, überraschend, intransparent oder sonst irgendwie dubios über den Tisch ziehend benachteiligt, für unwirksam erklären werden. Das fühlt sich erstmal gut an.

Hipp, hipp, hurra! Es lebe der Verbraucherschutz … oder doch nicht?

Sie fragen sich nun auch: Weshalb dient dann eigentlich noch die Unterzeichnung von unzähligen Seiten, die man niemals gelesen hat, irgendwem?

Weil wir eine verdammt heuchlerische Gesellschaft geworden sind und weil wir so sein wollen, wie die US-amerikanische Gesellschaft.

Wir tun so, als hätten wir Verständnis für den Verbraucher, für den „kleinen Mann“ und würden uns das Einverständnis von diesem schließlich einholen. Wir erklären unserem Vertragsgegenüber alles fein säuberlich in einer kaum leserlichen 4-Punkte-Schrift und fragen anschließend ganz freundlich „Stimmst Du zu?“ 

Wir wissen sehr wohl, unser Kunde bzw. Vertragspartner hat es weder gelesen noch verstanden. Tatsächlich führen solche Klauseln zu einem Vortäuschen von Verständnis und Einverständnis. Aber wir sollten bedenken: Wo kein Verständnis kann auch kein wahres Einverständnis vorhanden sein.

Aber Schritt für Schritt. Fangen wir von vorne an:

Anfangs steht meist die Frage nach dem „Warum“. Warum haben wir überhaupt so etwas wie Allgemeine Geschäftsbedingungen? Die AGB und ihr folgend die AGB-Kontrolle der Gerichte waren anfangs gedacht als heilendes Mittel (Penizillin) in der Vertragsgestaltung.

Man hatte erkannt, dass die sogenannte Vertragsfreiheit, was meint, dass jeder mit jedem alles vereinbaren kann, was jeder mit jedem möchte, an Ihre Grenze gestoßen war. Man merkte, dass aufgrund der strukturellen Unterschiede in manchen Vertragsverhältnissen, wie insbesondere in Miet- und Arbeitsverhältnissen, der von Natur aus Unterlegene, kraft fehlenden Besitzes Schwache, dem kraft Besitzes Starken gegenüber steht und nunmehr ohnmächtig aus sich selbst heraus erst gar nicht in der Lage ist, den Vertrag so zu verhandeln, dass etwas anständig faires für beide Seiten herauskommt.

Und so dachte man sich, streng getreu der Stein-Hardenbergschen Reformen, „da muss dem ‚kleinen Mann‘ (damals war es der Bauer) geholfen werden. Da machen wir ein Gesetz! Ein Gesetz, welches die AGB kontrolliert“. 

Und seither richten es unsere Richter in unserem gerechten Land. Sie erklären reihenweise AGB-Klauseln für unwirksam und verhelfen dem Verbraucher, Mieter oder auch Arbeitnehmern zu ihren Rechten. Welchen Rechten? Den Rechten, die sie auch hätten ohne AGB. Die Rechte, die sich aus unserer normativen Rechtsordnung ergeben.

Als kleiner Exkurs sei erläutert: Der Richter macht nicht das Recht. Es ist das Volk, dass das Recht macht, unser Parlament. Der Richter spricht nur Recht entsprechend der Gesetze. Und das nennen wir dann normative Gerechtigkeit, auch wenn es einmal ungerecht sein sollte. Sollte so ein Fall der ungerechten Gerechtigkeit auftreten, kann man sich dann noch an das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof wenden, um diese ungerechte Gerechtigkeit überprüfen zu lassen. 

Das unterscheidet uns von Diktaturen oder von weniger vollkommenen Staatsformen. Im Idealfall ist dann am Ende alles gerechte Gerechtigkeit, aber dennoch relativ gerechte Gerechtigkeit. Denn die absolute – das wissen bereits unsere Kinder – gibt es nur im Himmel.

Na ja. Da darf man sich dann schon fragen: Weshalb verwenden denn dann alle noch AGB?

Um diese Frage, wenn auch vielleicht abschlägig, zu beantworten, brauchen wir den Begriff der guten Sitten. Unser aller ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo di Fabio, hat dieses Beispiel aufgebracht. Im vorletzten und noch anfangs des letzten Jahrhunderts entsprach es den guten Sitten, dass man während des Essens und an einem Esstisch nicht rauchte. 

Die Jungs, die rauchen wollten, warteten das Essen ab und begaben sich dann anschließend in ein separates Raucherzimmer (die Geschichte mit der Gleichberechtigung und der rauchenden Frauen lasse ich bewusst an dieser Stelle außen vor). Dort wurde geraucht und man unterhielt sich. Keiner fühlte sich vom anderen gestört.

Nun kamen später aber diese Jungs, die sich jetzt so recht mächtig cool fühlten, dass sie sich, wenn nicht gar während des Essens so aber just nach dem Essen, dem Frohgenuss der Pfeife, der Zigarre oder ganz profan der Zigarette direkt im gleichen Raum hingaben. Und dann zick, zack hurra. Wenige Jahrzehnte später schrien alle nach einem Rauchverbot in öffentlichen Restaurants und Kneipen. 

Und es kam wie es kommen muss. Das Verbot! Das Gesetz! Das alles wieder richtet und gerecht macht. Die Fabio hat in einer schönen Art und Weise aufgezeigt, dass Verbote oftmals nur die Folge der Aufgabe der guten Sitten sind, wobei Verbote aber immer in unsere Freiheit eingreifen. Das Verbot bedeutet die Aufgabe von Freiheit. Die Aufgabe der guten Sitten bedeutet Verbot.

Bezüglich unserer oben genannten Thematik könnte man nun in diesem Wissen zwei Lösungsmöglichkeiten aufzeigen:

1.
Man verbietet AGB ganz und gar. Grundsätzlich und allgemein. Das will keiner, da es ein zu großer Einschnitt in die prinzipiell grundrechtlich gewährte Vertragsfreiheit wäre. Man hat erkannt, dass Verbot Aufgabe von Freiheit ist und das will keiner.

2.
Man könnte aber auch als weniger ein schneidende Maßnahme – sozusagen im Wege der freiwilligen Selbstverpflichtung – andenken, dass man AGB zukünftig synoptisch aufbauen muss. In der linken Spalte wären die Regelungen in grüner Schrift aufgelistet, die positiv, also zu Gunsten des Verbrauchers vom allgemeinen Gesetz abweichen; in der rechten Spalte alle Regelungen, die in Rot gekennzeichnet, zu Lasten des Verbrauchers abweichen.

Das wäre für uns Verbraucher eine tolle, übersichtliche Geschichte, insbesondere dann, wenn man die negativ abweichenden Punkte auf maximal 5 oder 10 beschränken würde.

Und bereits hieran kann man die Folgen einer solchen synoptischen Darstellung recht leicht erkennen. Da rechts, die rote Spalte, überwiegen würde, würden die AGB-Verwender (die also, die die AGB uns Verbraucher stellen) auf eine umfangreiche rote Spalte verzichten (Argument: Sieht ja nichts aus). Damit käme die synoptische Darstellung in der Wirkung einem Verbot gleich. Nur eben freiwillig. Weil man ja in der Synopse, dem geliebten Verbraucher alles richtig und gut darstellen möchte.

Und jetzt noch einen kleinen Gedankenschritt weiter. Wenn nun der AGB-Verwender aufgrund dessen zur Einsicht käme, dass er das gleiche Ergebnis bereits jetzt – ohne jegliche Gesetze oder freiwilliger Selbstverpflichtung – erzielen könnte, in dem er keinerlei AGB verwendet und durch diese Nutzung seiner Freiheit zur Unterlassung gänzlicher AGB zu mehr allgemeiner Freiheit führen würde. Ganz ohne staatliche Mitwirkung.

Er hätte die Einsicht gewonnen, dass die Deregulierung unseres überregulierten Staates jeder Aufrechte und den guten Sitten Verpflichtete selbst herstellen kann. Eine Art Naturkraut gegen die Auswüchse der AGB ganz ohne gerichtliches Penicillin. Im Sinne von Hermann Hesses Glasperlenspiel:

„Wohl an denn Herz! Nimm Abschied und gesunde!“

Ihr

Markus Czech


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Rechtsanwalt Markus Czech ist von 13.04.2024 bis 22.04.2024 nicht verfügbar.

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Markus Czech

Beiträge zum Thema