Einwendungen gegen geplante Bauvorhaben – welche Möglichkeiten hat der Nachbar? (Update 2024)

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dargestellt am Beispiel der Rechtslage in Baden-Württemberg.

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Christian Thome, Diplom-Verwaltungswirt (FH)


1. Einschränkung der Nachbarbenachrichtigung im baurechtlichen Verfahren ab November 2023

Im Baunachbarecht in Baden-Württemberg gibt es seit Ende November 2023 eine sehr praxisrelevante Änderung, welche die Nachbarbeteiligung im baurechtlichen Verfahren deutlich einschränkt.


a) Einordnung der Gesetzesänderung

§ 55 Abs. 1 Satz 1 Landesbauordnung Baden-Württemberg in der bis 24.11.2023 gültigen Fassung lautete: Die Gemeinde benachrichtigt die Eigentümer angrenzender Grundstücke (Angrenzer) innerhalb von fünf Arbeitstagen ab dem Eingang der vollständigen Bauvorlagen von dem Bauvorhaben. 


Diese bislang geltende Rechtspflicht der Gemeinden wurde nun – zulasten der betroffenen Nachbarn – deutlich eingeschränkt. Denn seit dem 25.11.2023 ist die Gemeinde nicht mehr in jedem Fall verpflichtet, die Angrenzer von dem Bauvorhaben zu informieren


Gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 LBO Baden-Württemberg in der ab dem 25.11.2023 gültigen Fassung gilt nun: Soll eine Abweichung, Ausnahme oder Befreiung von Vorschriften des öffentlichen Baurechts, die auch dem Schutz des Nachbarn dienen, erteilt werden, benachrichtigt die Gemeinde auf Veranlassung und nach Maßgabe der Baurechtsbehörde die Eigentümer angrenzender Grundstücke (Angrenzer) innerhalb von fünf Arbeitstagen ab dem Eingang der vollständigen Bauvorlagen über das Bauvorhaben.


Durch diese gesetzliche Änderung soll die Angrenzerbenachrichtigung auf Fälle von Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen von nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Rechts beschränkt werden. Dabei gibt die Baurechtsbehörde der Gemeinde vor, ob und welche Angrenzer zu benachrichtigen sind (LT-Drucksache 17 / 5422, S. 12).


b) Bewertung der Gesetzesänderung

In der Gesetzesbegründung wird zu der Änderung ausgeführt (LT-Drucksache 17/5422, S. 12): „Gleichzeitig führt die Änderung zu keiner Beschneidung der Angrenzerrechte, da sie im Falle einer möglichen Berührung ihrer schutzwürdigen Interessen am Verfahren zu benachrichtigen sind.“


Entgegen der Auffassung des Gesetzgebers führt die Gesetzesänderung aber durchaus zu einer Einschränkung der Position der Nachbarn. Denn diese werden nicht mehr – wie bisher – in jedem Fall frühzeitig über das Bauvorhaben zumindest informiert, sondern nur noch dann, wenn Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen von nachbarschützenden Vorschriften erteilt werden. Dies ist in der Praxis aber nur sehr selten der Fall. Die Gesetzesänderung dürfte daher dazu führen, dass in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Nachbarn von einem Bauvorhaben nicht mehr gemäß § 55 LBO informiert werden müssen. Allein dies bedeutet schon eine faktische Einschränkung der Rechte des Nachbarn. Die Gesetzesänderung könnte darüber hinaus auch dazu führen, dass baurechtliche Nachbarstreitigkeiten lediglich in das nachfolgende Widerspruchsverfahren gegen die erteilte Baugenehmigung „verlagert“ werden.


Für die verbleibenden Fälle, in denen die Angrenzer benachrichtigt werden, gilt weiterhin folgendes:


2. Das Wichtigste zuerst: Fristen im Blick behalten!

Einwendungen sind gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 LBO innerhalb von vier Wochen (also nicht innerhalb eines Monats, das ist ein Unterschied!)nach Zustellung oder sonstiger Bekanntgabe der Benachrichtigung bei der Gemeinde elektronisch in Textform oder zur Niederschrift vorzubringen.


3. Rechtsfolgen bei nicht / nicht fristgerecht vorgebrachten Einwendungen

Hier drohen erhebliche Rechtsnachteile für den betroffenen Angrenzer.


a) Gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO gilt: Die vom Bauantrag benachrichtigten Angrenzer werden mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die im Rahmen der Beteiligung nicht fristgemäß geltend gemacht worden sind und sich auf von der Baurechtsbehörde zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften beziehen (materielle Präklusion). Auf diese Rechtsfolge ist in der Benachrichtigung hinzuweisen.


b) Materielle Präklusion bedeutet, dass die betreffenden Personen nicht nur ihren Anspruch auf Behandlung ihrer Einwendungen (vgl. § 58 Abs. 1 LBO) verlieren, sondern dass sie sie auch in einem nachfolgenden Verfahren in der Sache (Widerspruchs- und Klageverfahren) nicht mehr geltend machen können.


c) Mit Ablauf der Einwendungsfrist verliert der 

Angrenzer also seine Abwehrrechte gegen das konkret beantragte Bauvorhaben endgültig. Er kann daher auch im Falle einer wiederholten Angrenzerbenachrichtigung innerhalb der neu eröffneten Einwendungsfrist nur noch insoweit Einwendungen erheben, als die Änderung des Bauantrags zusätzliche oder andersartige Beeinträchtigungen zur Folge hat.


d) Der mit der materiellen Präklusion nach § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO einhergehende Verlust des materiellen Abwehrrechts erfordert allerdings die exakte Einhaltung der zur materiellen Präklusion führenden Verfahrensvorgaben. Hier kann also in seltenen Fällen möglicherweise noch etwas „zu retten“ sein.


4. Rechtsfolgen bei unzureichend / unvollständig vorgebrachten Einwendungen

Auch hier drohen erhebliche Rechtsnachteile für den betroffenen Angrenzer.


a) Praktisch relevant wird dieser Punkt vor allem dann, wenn rechtliche Laien Einwendungsschreiben verfassen und die Einwendungen nicht alle verletzten Rechtsgüter aufzeigen und/oder die im Einzelnen befürchteten Beeinträchtigungen unvollständig und/oder nicht hinreichend substantiiert vortragen werden.


b) Auch hier ist also bei Fehlern in aller Regel „nichts mehr zu retten“. Zu möglichen Ausnahmen bei Verstößen gegen Verfahrensvorgaben siehe bereits oben.


c) Ein Beispiel für unzureichend vorgebrachte Einwendungen: Erhebt ein Nachbar gegen ein Stellplatzvorhaben nur Einwendungen wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsfläche, so ist er in einem nachfolgenden Rechtsmittelverfahren mit Einwendungen wegen unzumutbarer Lärmimmissionen gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO ausgeschlossen, wenn solche nicht ausdrücklich und fristgerecht vorgebracht wurden.


5. Wie muss also das Einwendungsschreiben gestaltet werden, um rechtssicher zu sein?

  • Einwendungen im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO müssen inhaltlich hinreichend substantiiert sein. 
  • Der Einwender muss die nach seiner Auffassung gefährdeten Rechtsgüter bezeichnen und zumindest grob die im Einzelnen befürchteten Beeinträchtigungen darlegen. Er muss mit anderen Worten seine Betroffenheiten zumindest „thematisieren“.
  • pauschale Einwände, etwa man sei mit dem Nachbarbauvorhaben „nicht einverstanden“ oder dieses stelle eine „erhebliche Last“ dar, sind keinesfalls ausreichend. Derartige Einwendungsschreiben sind praktisch wertlos.
  • Auch die – nicht näher erläuterte – Äußerung einer bloßen Mutmaßung, das Vorhaben könne bestimmten, im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu prüfenden Vorschriften nicht genügen, reicht deshalb nicht aus.


6. Bedenken bei Vorhaben im Kenntnisgabeverfahren (§ 55 Abs. 3 LBO in der bis zum 24.11.2023 anwendbaren Fassung)

Die Angrenzerbenachrichtigung im Kenntnisgabeverfahren wurde abgeschafft (vgl. LT-Drucksache 17/5422, S. 1, 13).


7. Hinweise zum praktischen Vorgehen 

a) Ein Nachbar, der sich mit einem qualifizierten Einwendungsschreiben gegen ein Nachbarbauvorhaben zur Wehr setzen will, sollte sofort nach Erhalt der Angrenzerbenachrichtigung aktiv werden. Die 4-Wochen Frist läuft schneller ab, als man denkt.


b) Hinzu kommt in der Praxis, dass der Bauantrag und die Bauvorlagen zu dem Vorhaben (vgl. § 53 LBO, § 2 LBOVVO) erst bei der Gemeinde (bzw. Baurechtsbehörde) eingesehen werden müssen, wofür in der Praxis regelmäßig ein Termin vereinbart wird. In der Angrenzerbenachrichtigung selbst ist das Vorhaben in aller Regel nämlich nur stichwortartig umschrieben (z. B. „Bau eines Mehrfamilienhauses mit 6 Wohneinheiten“).


c) Es empfiehlt sich regelmäßig folgendes Vorgehen:


  • 1. Schritt: vollständige und chronologisch geordnete Kopien des vollständigen Bauantrages und der vollständigen Bauvorlagen bei der Gemeinde (bzw. Baurechtsbehörde) beschaffen.
  • 2. Schritt: mit der Gemeinde klären, ob es für den Bereich des Nachbarbauvorhabens Bebauungspläne oder sonstige Pläne gibt (es kann mehrere gleichzeitig geben!). Falls ja, vollständige Kopien (in Farbe!) aller Planunterlagen (sog. „zeichnerische“ und „textliche“ Festsetzungen sowie sämtliche Begründungen) beschaffen.
  • 3. Schritt: ein rechtssicheres Einwendungsschreiben unter Beachtung der o. g. Punkte abfassen und mit Zustellungsnachweis (wichtig!) fristgerecht bei der Gemeinde einreichen.
  • 4. Schritt: Eine Kopie des Einwendungsschreibens sowie den Zustellungsnachweis zu den eigenen Unterlagen nehmen.


Kontakt:

Wenn Sie zu der rechtssicheren Abfassung von Einwendungsschreiben oder einem anderen baurechtlichen Thema Fragen bzw. Beratungs- und Vertretungsbedarf haben, können Sie sich gerne über das Kontaktformular oder unter den bei anwalt.de angegebenen Kontaktdaten an mich wenden. Ich freue mich auf Ihre Anfrage.




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