Entfällt der Anspruch auf Ausgleichszahlung, wenn der Flug wegen Pilotenstreik annulliert wird? Was sagt der EuGH?

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Mit Urteil vom 23. März 2021 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) entschieden, dass durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines Luftfahrtunternehmens eingeleitete Streikmaßnahmen, die zur Annullierung von Flügen führen, keine außergewöhnlichen Umstände darstellen.

Was war geschehen?

Ein Fluggast verfügte über eine bestätigte Buchung, die in berechtigte, mit dem beklagten Luftfahrtunternehmen (Scandinavian Airlines System – SAS) auf der Strecke von Malmö nach Stockholm befördert zu werden. Dieser Flug wurde wegen eines Pilotenstreiks in Dänemark, Schweden und Norwegen annulliert. Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob der rechtmäßige Streik, der auf der Kündigung des geschlossenen Tarifvertrages beruhte, zum Ausschluss des Anspruchs des Fluggastes auf die Ausgleichszahlung führt. Das schwedische Gericht, vor dem der Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von 250,00 € je Fluggast verhandelt wurde, legte den Rechtsstreit dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

Geklärt werden sollten folgende Fragen:

1. stellt ein Streik von Piloten, die bei einem Luftverkehrsunternehmen angestellt sind und für die Durchführung eines Fluges benötigt werden, einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nummer 261/2004 dar, wenn der Streik nicht aus Anlass einer Maßnahme stattfindet, die von dem Luftverkehrsunternehmen beschlossen oder mitgeteilt wurde, sondern von Arbeitnehmerorganisationen als Arbeitskampfmaßnahme angekündigt und rechtmäßig in der Absicht eingeleitet wurde, das Luftverkehrsunternehmen zu zwingen, Gehälter zu erhöhen, Vorteile zu gewähren oder Beschäftigungsbedingungen zu ändern, um den Forderungen der Arbeitnehmerorganisationen nachzukommen?

2. Welche Bedeutung ist gegebenenfalls der Angemessenheit der Forderung der Arbeitnehmerorganisationen beizumessen, insbesondere dem Umstand, dass die geforderten Lohn- und Gehaltserhöhungen deutlich über dem Lohn- und Gehaltserhöhungen liegen, die auf den maßgeblichen nationalen Arbeitsmärkten allgemein gewährt werden?

3. Welche Bedeutung ist gegebenenfalls dem Umstand beizumessen, dass das Luftverkehrsunternehmen zur Vermeidung eines Streiks einem Schlichtungsvorschlag einer staatlichen Schlichtungsstelle für Tarifstreitigkeiten zustimmt, während die Arbeitnehmerorganisationen dies nicht tun?

Das Urteil des EuGH

Der EuGH definiert außergewöhnliche Umstände als Vorkommnisse, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ sind und ihr Vorliegen von Fall zu Fall zu beurteilen ist. Es sei stets sicherzustellen, dass ein hohes Schutzniveau für die Fluggäste erreicht wird.

Der Aufruf einer Gewerkschaft zum Streik ist rechtmäßig, denn das Streikrecht ist in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert.

Der EuGH hat bereits in früheren Entscheidungen festgestellt, dass ein rechtmäßig angekündigter Streik, der sich nach den abgegebenen Erklärungen auch auf Bereiche erstrecken konnte, die die Tätigkeit eines zunächst nicht vom Streik betroffenen Unternehmens berühren würde, kein außergewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis darstellt.

Im vorliegenden Fall schien dem EuGH die Vorhersehbarkeit des Streiks bestätigt, da die Pilotengewerkschaft schon im Sommer 2018 den Tarifvertrag gekündigt hat. Damit war für SAS verdeutlicht, dass die Piloten beabsichtigten, Forderungen zu stellen.

Anders als bei einem Vogelschlag oder schlechten Witterungsbedingungen handelt es sich bei einem Streik um ein internes Ereignis des Unternehmens, auch wenn der Streik von einer Gewerkschaft ausgelöst wird. Der Europäische Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass dem Fluggast nach einer Annullierung eines Fluges infolge eines Pilotenstreiks die Ausgleichszahlung geleistet werden muss.

Nur am Rande ist zu verdeutlichen, dass die Ansprüche aus der Fluggastrechte-Verordnung in drei Jahren nachdem Flugereignis verjähren, sodass noch bis Ende des Jahres 2021 Ansprüche aus Flügen, die im Jahr 2018 oder später stattgefunden haben, geltend gemacht werden können.

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Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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