Erben und Vererben in der Türkei – häufige Fragen (Teil 1)

  • 7 Minuten Lesezeit

Wir erklären mit Praxisfragen, wie Sie im Erbfall schnell und sicher an Ihren Erbanteil in der Türkei kommen. Wenn Ihr Erblasser einen Nachlass bestehend aus Immobilien und Bankguthaben in der Türkei hinterlassen hat, können Sie hier in Erfahrung bringen, wie Sie am besten vorgehen sollten, um die Erbschaft anzutreten.

1. Wie muss ich im Erbfall starten? 

Im Erbfall müssen Sie nach einer anwaltlichen Beratung zunächst den Erbschein beantragen und das Erbvermögen auflisten. Zu empfehlen ist es, Banken und Grundbuchämter dringend über den Todesfall zu informieren, um eventuellen Missbrauch zu vermeiden.

2. Wo kann ich einen Erbschein für die Türkei bekommen?

Nach türkischem Recht kann man den Erbschein bei den Amtsgerichten oder bei Notaren in der Türkei beantragen. Ausländische Staatsangehörige oder Inhaber einer blauen Karte, d.h. Ausländer mit türkischer Herkunft, können den Erbschein ausschließlich von den Amtsgerichten erhalten. Im Gegensatz dazu können türkische Staatsbürger den Erbschein auch bei Notaren in der Türkei erhalten. Bei türkischen Konsulaten werden keine Erbscheine ausgestellt.

2. Gibt es eine Verjährungsfrist, um einen Erbschein zu beantragen?

Nein. Es gibt keine Verjährungsfrist, um einen Erbschein zu beantragen. Die Erbschaftssteuererklärung ist jedoch innerhalb von 3 Monaten nach dem Erbfall bzw. ab dem Datum des Todes abzugeben. Die Erben werden mit einer geringen Geldstrafe belegt, wenn die Erklärung nicht innerhalb dieser Frist abgegeben wird.

Darüber hinaus können die Erben die Erbschaft innerhalb von 3 Monaten ausschlagen; die Ausschlagungsfristen können in der Regel für wichtige Klagen bis zu 1 Jahr verlängert werden. Gelder auf Konten bei türkischen Banken gehen auf das Konto der jeweiligen staatlichen Einrichtung über, wenn diese Konten 10 Jahre lang nicht bearbeitet werden.

Aus diesem Grund empfehlen wir, dass man sich ohne viel Zeit zu verlieren, innerhalb von 2 Monaten nach dem Tod des Erblassers an einen Rechtsanwalt und im Rahmen der zu erhaltenden Informationen die erforderlichen Verfahren für die Aufteilung des Nachlasses einleitet.

3. Wie hoch sind die Erbschaftsteuern in der Türkei?

Der Steuersatz für die Erbschaftsteuer variiert und ist abhängig von der Höhe der verbleibenden Erbschaft. Abhängig vom Verwandtschaftsgrad des Erben zum Erblasser gibt es unterschiedliche Freibeträge. Die Steuerstufen und Freibeträge werden jährlich aktualisiert.

Erbschaftssteuersätze in der Türkei (01.01.2020)

Geldwert des geerbten ErbschaftsanteilsSteuersatz (%)
Für den Ausgangsbemessungsbetrag in Höhe von bis zu 350.000 TL1
Für den weiteren Betrag in Höhe von bis zu 850.000 TL3
Für den weiteren Betrag in Höhe von bis zu 1.800.000 TL5
Für den weiteren Betrag in Höhe von bis zu 3.300.000 TL7
Für den Teil des verbleibenden Anteils über 6.300.000 TL10

Für den Fall, dass der Ehegatte und die Abkömmlinge des Erblassers zusammen Erben sind, gibt es einen Steuerfreibetrag von 306.603 TL, der jedem Erben zusteht. Für den Fall, dass der überlebende Ehegatte allein Erbe ist, beträgt der Steuerfreibetrag 613.106 TL. Es gibt keine Befreiung für die übrigen Erben.

Bitte beachten Sie, dass die oben genannten Beträge inflationsbedingt jährlich angepasst werden.

4. Wer sind die gesetzlichen Erben im türkischen Recht und welche Erbrechte haben sie?

Im türkischem Erbrecht sind Kinder, Mutter, Vater, Großmutter, Großvater und auch überlebender Ehegatte als gesetzliche Erben bestimmt. Die gesetzlichen Erben werden in 3 Ordnungen eingeteilt, wobei der überlebende Ehegatte getrennt bleibt. Die Erben erster Ordnung sind die Kinder. Die Erben zweiter Ordnung sind Mutter und Vater. Die Erben dritter Ordnung sind die Großeltern (Großmutter und Großvater) des Erblassers. Gibt es einen Erben oder seine Abkömmlinge in der vorrangigen Ordnung so werden die nachrangigen Ordnungen nicht zum Erben. Zum Beispiel können Vater und ihre Mutter nicht Erben sein, wenn der Erblasser Kinder oder Enkel hat. Der überlebende Ehegatte wird gemeinsam mit jeder Ordnung Erbe.

Gesetzliche Erbschaftsanteile der gesetzlichen Erben in der Türkei:

OrdnungAnteil am NachlassEhegatte
1. AbkömmlingeDer nach dem Ehepartner verbliebene Anteil wird auf jeden Erben zu gleichen Teilen verteilt1/4 
2. Mutter und Vater 1/4 für jeden Erben1/2 
3. Großmutter und Großvater 1/8 für jeden Erben3/4 

Wenn der Erblasser in allen drei Ordnungen keine Erben hinterlassen hat, steht der ganze Nachlass dem überlebenden Ehegatten zu. Im Falle, dass kein Ehepartner vorhanden ist, wird der Staat zum Erben.

Der Ehegatte hat übrigens das Recht auf Zugewinn vor der Erbaufteilung seit 2002.

5. Kann der Erblasser in seinem Testament eindeutig bestimmen, dass seine Erbschaft nach seinem Wunsch auf bestimmte Personen verteilt wird?

Nach türkischem Erbrecht darf der Erblasser nicht sein gesamtes Vermögen durch ein Testament einer von ihm bestimmten Person hinterlassen. Die Erbrechte von gesetzlichen Erben sind zu einem gewissen Teil gesetzlich abgesichert. Diese garantierten Erbteile werden als Pflichtteil bezeichnet. Der Erblasser kann seinen Nachlass außer diesen Pflichtteilen an beliebigen Personen hinterlassen. 

Tabelle der Pflichtteile im türkischen Recht:

Personen Pflichtteilshöhe 
Nachkommen Die Pflichtteilshöhe beträgt für die Nachkommen des Erblassers jeweils die Hälfte (1/2) ihres gesetzlichen Erbteils.
Mutter und Vater Die Pflichtteilshöhe beträgt für die Eltern (Mutter und Vater) ein Viertel (1/4) ihres gesetzlichen Erbteils.
Ehegatte Die Pflichtteilshöhe beträgt für den Ehegatten den ganzen gesetzlichen Erbteil, soweit er den gesetzlichen Erbteil mit der Ordnung von Nachkommen (Kindern) oder Eltern des Erblassers zu teilen hat. Anderenfalls beträgt sie drei Viertel (3/4) des gesetzlichen Erbteils, wenn er mit anderen Ordnungen oder allein bleibt.

Die Pflichtteilshöhe beträgt für den Ehegatten den ganzen gesetzlichen Erbteil, soweit er den gesetzlichen Erbteil mit der Ordnung von Nachkommen (Kindern) oder Eltern des Erblassers zu teilen hat. Anderenfalls beträgt sie drei Viertel (3/4) des gesetzlichen Erbteils, wenn er mit anderen Ordnungen oder allein bleibt.

6. Können die vom Erblasser an einen Erben oder eine Dritte getätigten Scheinverkäufe der Immobilien später annulliert werden?

Die Verkäufe, die vom Erblasser vor seinem Tod beim Grundbuch zum Zwecke der Umgehung der Erbfolge getätigt wurden, können bei den türkischen Gerichten durch Erhebung einer Klage zur Annullierung der Übertragung und auf Rückübertragung der Immobilie im Grundbuch angefochten werden.

Um diese Klage zu erheben, muss man nicht unbedingt ein gesetzlicher Erbe oder Pflichtteilsberechtigter sein. Jeder Erbe kann diese Klage erheben. Diese Klage kann jederzeit erhoben werden. Dieser Weg kann jedoch nicht bei tatsächlichen Schenkungsgeschäften beschritten werden. Bei Schenkungen kann man eine Ausgleichsklage erheben.

7. Wie erfolgt die Aufteilung von Nachlassgegenständen? Wie kann das Geld auf der Bank abgehoben werden?

Die Aufteilung von Nachlassgegenständen erfolgt in der Regel durch Einigung der Erben. Wenn sich die Erben über die Aufteilung von Nachlassgegenständen nicht einigen können, so können die Nachlassgegenstände durch eine Erbteilungsklage aufgeteilt werden.

Die Erbteilungsklage kann durch einen einzelnen Erben erhoben werden. Das Gericht veräußert die Nachlassgegenstände und teilt den Erlös entsprechend unter den Erben auf. Da Gelder auf Bankkonten grundsätzlich teilbar sind, sollte die Zahlung im Prinzip auf Antrag irgendeines Erben erfolgen. Allerdings in der Praxis erfolgt die Auszahlung nur, wenn alle Erben persönlich oder durch einen Bevollmächtigten gemeinsam einen Antrag stellen.

In Fällen, in denen nicht alle Erben gemeinsam einen Antrag stellen, möchte die Bank, dass ein gerichtliches Urteil vorgelegt wird, nachdem eine Klage zur Beseitigung der Teilhaberschaft erhoben wurde.

8. Kann ich meinen Erbschaftsanteil später von den übrigen Erben fordern, wenn die Nachlassgegenstände unter den übrigen Erben bereits aufgeteilt wurden?

Im Falle, dass die Nachlassgegenstände ohne Einbeziehung eines Erben aufgeteilt wurden, kann die Person, die nicht berücksichtigt wurde, Klage erheben, um ihren Erbteil einzufordern. Der Erbe kann diese Klage innerhalb von 1 Jahr nach Kenntnisnahme der Erbschaftsaufteilung oder innerhalb von 10 Jahren, wenn die übrigen Erben gutgläubig waren, erheben. Im Falle, dass die anderen Erben böswillig waren, beträgt die Verjährungsfrist 20 Jahre.

9. Welche dringenden Maßnahmen sind im Todesfall zu ergreifen, wenn Streitigkeiten über die Aufteilung der Erbschaft zu erwarten sind?

Wenn bereits vor dem Tod des Erblassers Streit und Probleme unter den Erben bestehen, muss im Erbfall schnell gehandelt werden. Es ist notwendig, sofort alle Banken, Grundbuchämter usw., über den Tod zu informieren um eine mögliche Hinterziehung des Nachlasses zu verhindern. Gleichzeitig sollte man einen Anwalt beauftragen durch diesen bei Gericht die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherung des Nachlassvermögens und der Rechte der Erben gewährleisten, um jeden Zugriff auf die Güter des Erben zu verhindern. Erst danach können die übrigen gesetzlichen Maßnahmen ergriffen werden.

10. Kann ein Testament aufgehoben bzw. widerrufen werden? Wie?

Ein von dem Erblasser errichtetes Testament kann in der Türkei aufgehoben bzw. widerrufen werden, wenn es inhaltlich rechtswidrig ist oder wenn es ohne Einhaltung der gesetzlich festgelegten Form errichtet ist. 

Die Aufhebung bzw. der Widerruf des Testaments muss durch eine Klage erfolgen, die bei den türkischen Gerichten erhoben wird. Wenn das Testament ordnungsgemäß erstellt wird, sollte versucht werden, den gesetzlichen Pflichtteil zu erhalten.

Dr. Fatih Dogan (LL.M.-Freiburg)
Rechtsanwalt 

Stand 05.06.2020 


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