Feste „Verwirkungsfrist“ (Jahresfrist) für beamtenrechtliche Konkurrentenklage?

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Diese Frage hat das BVerwG in seinem Beschluss zur Nichtzulassung einer Revision v. 15.1.2020 verneint und den Rechtssatz aufgestellt, dass die Festsetzung einer festen zeitlichen Grenze, bei deren Überschreitung die jeweilige prozessuale Befugnis oder das materielle Recht verwirkt ist und die den Kenntnisstand des Berechtigten hinsichtlich der ihm zustehenden Rechte unberücksichtigt lässt, nicht möglich sei (BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 2020 – 2 B 38/19 –, juris).

 Sachverhalt und Verfahrensgang

Hintergrund war das Klageverfahren eines Beamten, der im Dienst einer Universität als Akademischer Oberrat nicht von einer zum 1.1.2013 erfolgten Ernennung eines anderen Beamten zum Akademischen Direktor informiert worden war (a. a. O). Eine Ausschreibung war ebenfalls unterblieben, obgleich zumindest der Personalrat beteiligt wurde (a. a. O.). Der Kläger hatte dies, nachdem er den Rektor im Juni 2015 von seiner Kenntnis unterrichtet hatte, ab September 2015 erfolglos im Vorverfahren angegriffen und u.a. im Wege der Drittanfechtung die Aufhebung der Ernennung beantragt (a. a. O.).

Sein Begehr setzte der Kläger im Klageverfahren im Rahmen der Drittanfechtungsklage (sog. echte Konkurrentenklage) am Verwaltungsgericht fort und stützte dies insbesondere auf die Rechtsschutzvereitelung und einen Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG, wonach der Grundsatz der sog. „Ämterstabilität“ in diesen Fällen keine Geltung habe (a. a. O.).

Das Konkurrentenschutzverfahren war im Klageverfahren 1. Instanz vor dem Verwaltungsgericht erfolglos (a. a. O.). Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) der Konkurrentenklage stattgegeben und die Ernennung des Beigeladenen zum Akademischen Direktor mit Wirkung ab Rechtskraft seines Urteils aufgehoben (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Juni 2019 – 6 A 1133/17 –, juris).

Die Revision zum BVerwG wurde nicht zugelassen (a. a. O.).

 Entscheidung des BVerwG

Das BVerwG hat nun mit o. g. Beschluss vom 15.1.2020 (BVerwG, a. a. O.) auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten und des Beigeladenen die Beschwerden zurückgewiesen (a. a. O.).

Die Beschwerde hatte sich auf tragende Rechtssätze des BVerwG in dem Revisionsverfahren 2 C 10/17 (BVerwG, Urteil vom 30. August 2018 – 2 C 10/17 –, BVerwGE 163, 36-49) gestützt und davon ausgehend im Verhältnis zur Entscheidung des OVG Divergenz bzw. grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 132 Abs. 2 VwGO gerügt (a. O. O.).

Dies sah das BVerwG anders. Die Begründetheit einer Anfechtungsklage gegen die Ernennung eines Mitbewerbers nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO setze im Gegensatz zu der Auffassung der Beklagten bzw. des Beigeladenen auch nach dem Revisionsurteil vom 30.8.2018 nicht das Verschulden des Amtswalters des Dienstherrn voraus; das Erfordernis betreffe allein einen Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs eines Bewerbers und nicht die - ausnahmsweise zulässige - Anfechtung der Ernennung eines Konkurrenten (BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 2020).

Die Festsetzung einer festen zeitlichen Grenze, bei deren Überschreitung die jeweilige prozessuale Befugnis oder das materielle Recht verwirkt sei und die den Kenntnisstand des Berechtigten hinsichtlich der ihm zustehenden Rechte unberücksichtigt lasse, sei ebenfalls nicht möglich (a. a. O.).

In diesem Zusammenhang sei es der Beklagten und dem Beigeladenen weder gelungen, im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO darzulegen, inwieweit die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung aufweise bzw. liege diese nicht vor (a. a. O.). Noch sei im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eine Divergenz im Verhältnis zu den Rechtssätzen des BVerwG im Revisionsurteil vom 30.8.2018 hinreichend dargelegt (a. a. O.).

 Rechtliche Bewertung

Der vorliegende Nichtzulassungsbeschluss des BVerwG vom 15.1.2020 bringt (wenn auch nicht im Range eines Revisionsurteils) durchaus Klarheit zu einigen Fragen, die zuletzt insbesondere das Revisionsurteil des BVerwG vom 30.8.2018 (2 C 10/17) aufgeworfen hatte.

Konkurrentenverfahren - Rechtsschutz regelmäßig im Eilverfahren

Gewöhnlich wird in Auswahlverfahren zur Besetzung von öffentlichen Ämtern insbesondere unter Verweis auf Art. 33 Abs. 2 GG i. V .m. Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG von der Ausschreibungs-, Informations- und Wartepflicht des Dienstherrn vor Vollzug einer Auswahlentscheidung ausgegangen. Davon ausgehend hat sich in der fachgerichtlichen Rechtsprechung eine 2-wöchige Wartepflicht (und Ausschlussfrist) etabliert, innerhalb derer der nicht ausgewählte Beamte nach der Information von der Ablehnung einstweiligen Rechtsschutz (im Wege der einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO) in Anspruch nehmen könne/müsse, bevor der Grundsatz der sog. „Ämterstabilität“ zum Tragen komme.

Das BVerfG hat bislang keine Zweifel an dieser besonderen fachgerichtlichen Ausgestaltung des Konkurrentenschutzes im Zusammenhang mit der Besetzung öffentlicher Ämter/Stellen im öffentlichen Dienst und an der damit zusammenhängenden „Ämterstabilität“ geäußert, soweit dadurch effektiver Rechtsschutz zur gerichtlichen Überprüfung der Auswahlentscheidung gemäß Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet sei.

Keine "Ämterstabilität" bei Rechtsschutzvereitelung

Aufgrund der zwischenzeitlich geänderten Rechtsprechung des BVerwG im Urteil vom 4.11.2010 (BVerwG, Urteil vom 04. November 2010 – 2 C 16/09 –, BVerwGE 138, 102-122) konnte der in diesem Zusammenhang („richterrechtlich“) etablierte Grundsatz der „Ämterstabilität“ in Konstellationen der Rechtsschutzvereitelung jedenfalls grds. keine Geltung haben (a. a. O.). Dieser Grundsatz stehe der Klage auf Aufhebung der Ernennung eines unterlegenen Bewerbers vielmehr wegen der Rechtsschutzvereitelung nicht entgegen (a. a. O.).

Das BVerwG hatte dann in dem (damals von unserer Kanzlei betreuten) Revisionsverfahren mit Urteil vom 30.8.2018 im Falle der echten beamtenrechtlichen Konkurrentenklage (Drittanfechtung) festgehalten, dass das Recht des in einem Beförderungsverfahren nicht berücksichtigten Beamten, eine Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs durch Anfechtung der Ernennung des ausgewählten Beamten geltend zu machen, der Verwirkung unterliege (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 2018, a. a. O.).

Die Verwirkung könne anzunehmen sein, wenn der Beamte hinreichende Kenntnis vom Umstand regelmäßig stattfindender Beförderungen in seinem Verwaltungsbereich hatte (Anstoßwirkung), während es der positiven Kenntnis gleich stehe, wenn sich eine solche Kenntnis hätte aufdrängen müssen und er etwa fehlendes Wissen über nähere Einzelheiten des Beförderungsverfahrens durch einfache Nachfrage beim Dienstherrn oder beim Personalrat hätte erlangen können (a. a. O.).

Die zeitliche Grenze, ab der das Anfechtungsrecht in derartigen Fallkonstellationen verwirkt sein könne, sei in Anlehnung an die gesetzliche Wertung in § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO regelmäßig mit einem Jahr ab der jeweiligen Ernennung anzusetzen (vgl. hierzu insbesondere den amtlichen Leitsatz Nr. 3 zu BVerwG, Urteil vom 30. August 2018 – 2 C 10/17 –).

Hintergrund dieses in die amtliche Sammlung am BVerwG aufgenommen Revisionsurteils waren Beförderungen, die im Freistaat Thüringen (im Kultusbereich) unter (systematischer bzw. schuldhafter) Rechtsschutzvereitelung ohne Ausschreibung sowie auch unter Verstoß gegen die Informations-/Mitteilungs- und Wartepflichten (jedenfalls i. d. R. zu bestimmten „Stichtagen“) erfolgten.

Insbesondere aus dem Leitsatz Nr. 3 des BVerwG war nun vielfach eine starre Ausschlussfrist für derartige Fallkonstellationen, nämlich eine Jahresfrist innerhalb derer die (im Zweifel unbekannte) Ernennung angegriffen werden müsse, geschlossen worden (vgl. u. a. Stuttmann, NVwZ 2018, 1870-1872). Diese Wertung lag durchaus nahe, da das BVerwG ähnliche Ausschlussfristen beispielsweise im Falle des Rechtsschutzes gegen den Abbruch einer Auswahlentscheidung aufgestellt hatte (vgl.  BVerwG, Urteil vom 3.12.2014 – 2 A 3/13 in NVwZ 2015, 1066, beck-online). Gerade wegen der in der Sachverhaltskonstellation zum Urteil vom 30.8.2018 systematischen/schuldhaften Rechtsvereitelung und deshalb durchaus fragwürdiger Annahme des Instituts der Verwirkung war die Entscheidung des BVerwG vom 30.8.2018 in der Literatur auch auf durchaus berechtigte Kritik gestoßen (vgl. Hauck-Scholz, öAT 2019, 114, beck-online). Stattdessen sei dies Aufgabe des Gesetzgebers (a. a. O.).

Daher ist zu begrüßen, dass das BVerwG mit dem hier besprochenen Beschluss vom 15.1.2020 versucht, weitere Klarheit in dem mangels gesetzlicher Regelungen und aufgrund der überwiegenden Ausgestaltung im Eilverfahren äußerst unübersichtlichen/uneinheitlichen Recht des Konkurrentenschutzes im öffentlichen Dienst zu schaffen. Zumindest hat das BVerwG festgestellt, dass das Verschulden des Amtswalters nicht Voraussetzung für die Begründetheit der Anfechtungsklage gegen die Ernennung eines Mitbewerbers ist (a. A. noch Stuttmann, NVwZ 2018, 1870-1872) und auch (zumal ohne Berücksichtigung des Kenntnisstands) keine starre Verwirkungsfrist existiert bzw. gerichtlich (z.B. im Interesse des Rechtsfriedens) konstruiert werden kann.

Es kommt daher bezüglich der Erfolgsaussichten eines Konkurrentenverfahrens und der Drittanfechtung weiter auf den jeweiligen Einzelfall an.

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