Fortsetzung: SARS-CoV-2-Virus – Fallbeispiele als erste Leithilfe – Teil 2

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III. Fallbeispiele

Corona legt die Wirtschaft lahm und wirft – vor allem für Unternehmen – viele Rechtsfragen auf, die bislang in Rechtsprechung und Literatur in der Form nicht abgehandelt wurden. Die sich im Zusammenhang mit dem Coronavirus stellenden Rechtsprobleme lassen sich nicht nach Schema-F lösen. Die Umstände eines jeden Einzelfalles müssen einer wertenden Betrachtung unterzogen werden, um so zu einem möglichst treffsicheren und belastbaren Ergebnis zu kommen.

Für eine erste Sensibilisierung nachfolgend diverse Fallbeispiele, wobei die rechtliche Einschätzung ausschließlich auf die eigene Rechtsauffassung des Autors beruht:

1. Fallbeispiel „Hotel/Veranstaltungs-Package“:

Sachverhalt:

Ein Auftraggeber hat bei einem Hotel für eine Veranstaltung an einem bestimmten Tag ein Veranstaltungs-Package (Übernachtung, Catering, Vermietung von Konferenzräumen usw.) gebucht. Aufgrund einer Allgemeinverfügung (Veranstaltungsverbot und Versammlungsverbot) darf die Veranstaltung jedoch zu dem vertraglich vereinbarten Zeitpunkt nicht durchgeführt werden.

Frage:

Wie verhalten sich die Ansprüche der Vertragsbeteiligten? Bekommt der Auftraggeber (Kunde) seine Anzahlung vom Auftragnehmer (Hotel) zurück?

Lösung:

Die Pflicht des Hotels, die vertraglich vereinbarten Leistungsbestandteile zu erbringen, ist dem Hotel objektiv und rechtlich unmöglich geworden.

Lässt sich die Veranstaltung – nach der vernünftigen Interessenlage beider Parteien – nicht sinnvoll verschieben, liegt Unmöglichkeit vor. Es entfällt der Leistungsanspruch des Kunden (§ 275 Abs. 1 BGB); im gleichen Zuge entfällt auch der Gegenleistungsanspruch des Hoteliers (§ 326 Abs. 1 Satz 1 BGB). Konsequenz dieser wechselseitigen Leistungsausschlüsse ist, dass der Auftraggeber (Kunde) vom Vertrag zurücktreten kann (§ 326 Abs. 5 BGB). Soweit der Auftraggeber in Vorleistung getreten war, kann er seine Anzahlung zurückverlangen (§ 326 Abs. 4 BGB).

Lässt sich die Veranstaltung – nach der vernünftigen Interessenlage beider Parteien – sinnvoll verschieben, liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor (§ 313 BGB), mit der Konsequenz, dass beide Parteien einen Anspruch auf Vertragsanpassung haben (§ 313 Abs. 1 BGB). Der Anspruch auf Vertragsanpassung wird in einem solchen Fall in der Regel darin liegen, den Veranstaltungszeitpunkt einvernehmlich zu verschieben. Im Übrigen bleibt der Vertrag bestehen. Der Anspruch auf Vertragsanpassung kann auch bis zu einer ersatzlosen Vertragsaufhebung gehen (§ 323 Abs. 3 S. 1 BGB). Um im Rahmen einer Vertragsanpassung zu einem gerechten Ergebnis zu kommen, wird die Frage gestellt, was die Parteien redlicher und vernünftigerweise vereinbart hätten, wenn sie den eingetretenen Umstand, oder zumindest eine Eventualität hierfür, im Vorfeld bedacht hätten.

2. Fallbeispiel „Gastronomie / Miete“:

Sachverhalt:

Ein Gastronom darf wegen einer Allgemeinverfügung nicht mehr gemäß seinen üblichen Geschäftszeiten öffnen, sondern wird in den Öffnungszeiten stark beschränkt. Die beschränkten Öffnungszeiten betragen insgesamt 50 % seiner sonst üblichen Öffnungszeiten. Zum Zwecke der einfachen Betrachtung lassen wir mit der Beschränkung der Öffnungszeiten einen Umsatzrückgang von gleichfalls 50 % einhergehen.

Frage:

Muss der Mieter / Gastronom trotzdem die volle Miete an seinen Vermieter bezahlen, oder darf er die Miete reduzieren?

Lösung:

Zwar dürften die meisten Mietrechtsspezialisten argumentieren, dass der Mieter in so einem Falle keinen Anspruch auf Mietreduzierung habe, der Autor schließt sich jedoch dieser Meinung – in der hier ausnahmehaften Situation – nicht an: Diese in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einzigartige Allgemeinverfügung führt zu einer Sondersituation, die sich nach den üblichen, sonst bewehrten Rechtsgrundsätzen („Mangel haftet nicht der Mietsache an“) und Parallel-Argumentationen („Umweltbeziehung“) aus dem Mietrecht nicht interessengerecht lösen lässt. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gingen beide Vertragsparteien davon aus, dass der Mieter den Mietgegenstand im Rahmen der üblichen Geschäftszeiten für eine Gastronomie an dem betreffenden Standort wird nutzen können.

Der unvorhergesehene und vorübergehend durch die hohe Hand implementierter Rechtszustand ist im Ergebnis zweifellos eine Leistungsstörung. Denn der Mieter kann die Mietflächen nicht in dem Maße, wie es dem Mietvertrag immanent ist, nutzen. Dieses durch die staatliche Hand verursachte Risiko nur dem Mieter oder nur dem Vermieter aufzubürden, wäre nicht interessengerecht. Wenn die Vertragsparteien den unvorhergesehenen Umstand bei Vertragsschluss, wenigstens als Eventualität, bedacht hätten, hätten sie als vernünftig denkende Vertragsparteien das Risiko – wohl hälftig – gequotelt. Denn weder der Mieter noch der Vermieter können etwas für die Nutzungseinschränkung.

Es liegt mithin eine objektive und von beiden Parteien unverschuldete Leistungsstörung nach § 313 BGB vor, die für die Dauer der Allgemeinverfügung eine Vertragsanpassung erfordert. Liegt ein Umsatzrückgang von 50 % vor, ist die Warmmiete um 25 % zu reduzieren. Liegt eine komplette Schließung des Restaurants bzw. Cafes durch Allgemeinverfügung vor, ist die Warmmiete um 50 % zu reduzieren. Lediglich die Kaltmiete zu reduzieren, würde den Interessen nicht gerecht werden; schließlich hat auch der Mieter nichts davon, wenn die Heizung für die betreffenden Mietflächen oder für das gesamte Objekt weiterläuft und dies Kosten verursacht. Die weiterhin anfallenden Nebenkosten sind für beide Vertragsparteien unnütz.

Entsprechendes gilt, wenn eine allgemeine und flächendeckende Betriebsschließung erfolgt.

3. Fallbeispiel „Hochzeitspaar/Feier“:

Sachverhalt:

Ein Hochzeitspaar hatte vor, im Anschluss an die kirchliche Trauung eine Hochzeitsfeier mit 100 Teilnehmern zu werfen. Betreffend die Hochzeitsfeier wurde für einen bestimmten Tag ein Veranstaltungsraum mit Catering-Leistungen gebucht. Kurz vor dem besagten Tag werden jedoch durch eine Allgemeinverfügung jedwede Veranstaltungen und Versammlungen versagt.

Frage:

Sind die Parteien weiterhin an den Raumüberlassungs- und Cateringvertrag gebunden oder kann eine Partei vom Vertrag zurücktreten? Wie ist die Risikoverteilung?

Lösung:

Verschiebt das Hochzeitspaar die kirchliche Trauung und/oder die Hochzeitsfeier, ist die gestörte Geschäftsgrundlage durch eine Vertragsanpassung dahingehend zu kompensieren, dass lediglich der Veranstaltungszeitpunkt verschoben wird, es im Übrigen bei dem einst abgeschlossenen Vertrag bleibt.

Führt das Hochzeitspaar die kirchliche Trauung zu dem geplanten Zeitpunkt durch, sieht aber von der Hochzeitsfeier (und eben auch von einer Nachfeier) endgültig ab, liegt nach der zu akzeptierenden Interessenlage des Hochzeitspaares eine endgültige Unmöglichkeit der Leistungserbringung vor. Es kann von dem Vertrag vollständig zurücktreten und eine etwaige Anzahlung zurückverlangen.

4. Fallbeispiel „Tennislehrer“:

Sachverhalt:

Ein Tennislehrer hat ein Abo mit seinem Tennisschüler. Aufgrund einer Allgemeinverfügung werden alle Sporteinrichtungen, einschließlich Tennisplätze, gesperrt, sodass das Tennistraining für acht Wochen ausfallen muss.

Frage:

Kann der Tennislehrer trotzdem seine Trainingsgebühr verlangen? Kann der Schüler die Nachholung der ausgefallenen Trainingseinheiten verlangen?

Lösung:

Hier liegt ein klassischer Fall der Störung der Geschäftsgrundlage vor, sodass eine Vertragsanpassung erfolgen muss, die unter Berücksichtigung der vernünftigen Interessen beider Parteien grundsätzlich darin liegen wird, die Trainingseinheiten nach der Verbotszeit nachzuholen. D. h.: Der Trainer kann für eine ausgefallene Trainingseinheit keine Entschädigung verlangen. Der Schüler kann eine ggf. bereits geleistete Anzahlung nicht zurückfordern. Beide Parteien müssen den Vertrag wie vereinbart erfüllen, eben nur zu einem anderen Zeitpunkt.

Anders läge das Ergebnis aber, wenn speziell die Vorbereitung auf ein bestimmtes Turnier gebucht gewesen wäre und eine Nachholung nach der Verbotszeit als Turniervorbereitung eben nicht mehr in Betracht käme. In diesem Fall läge Unmöglichkeit vor, sodass das der Trainer keine Vergütung für die Trainingseinheiten erhielte und der Schüler eine etwaige Anzahlung zurückfordern könnte. Der Auftrag wäre mithin insgesamt hinfällig.

IV. Resümee

Die im Zusammenhang mit dem Coronavirus auftretenden Sachverhalte sind äußerst facettenreich und grundsätzlich sehr individuell geprägt. Die Grenzziehung ist in vielen Fällen nicht einfach vorzunehmen und erfordert in jedem Einzelfall eine wertende Betrachtung aller Umstände. Nach dem Motto „im Detail liegt der Teufel“ bedarf jeder Einzelfall einer sorgfältigen Prüfung. Die oben stehenden Ausführungen erstrecken sich auf die sog. Primärleistungen. Die sog. Sekundäransprüche hingegen (also mitunter Schadensersatzansprüche, entgangener Gewinn u. ä.) kommen bei einer Verfügung von hoher Hand, was jedes staatliche Verbot darstellt, wechselseitig nicht in Betracht.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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