Als Angeklagter vor Gericht – Teil II: Die Anfangsphase der Verhandlung

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Die Verhandlung vor Gericht ist das Kernstück eines Strafverfahrens. Zwar kann ein guter Strafverteidiger die richtigen Weichen schon lange vorher im Ermittlungsverfahren stellen.

Wie Sie als Beschuldigter bereits während des Ermittlungsverfahrens dafür sorgen können, dass Sie bei einem eventuellen Prozess gute Karten haben, habe ich im ersten Teil bereits erläutert.

Kommt es dann zur gerichtlichen Hauptverhandlung, muss man in dieser aber noch einmal alle Tatsachen auf den Tisch legen, damit das Gericht sie auch wirklich bei seinem Urteil berücksichtigt.

Der Strafprozess ist in der (logischerweise auch so benannten) Strafprozessordnung geregelt. Diese behandelt aber darüber hinaus das gesamte Strafverfahren, von den ersten polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen über die Verhandlung und das Rechtsmittelverfahren bis hin zur Strafvollstreckung. Die Abläufe der mündlichen Hauptverhandlung beschränken sich dabei nur auf einige wenige Vorschriften.

Heute stelle ich Ihnen die Vorschriften vor, die den Beginn der Hauptverhandlung skizzieren. Da am Anfang vor allem Sie als Angeklagter das Wort haben, ist es hier besonders wichtig, dass Sie gut vorbereitet sind und wissen, was Sie erwartet.

§ 243 Gang der Hauptverhandlung

 (1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache.

Das ist ein lediglich technischer Vorgang. Das Verfahren wird also quasi offiziell eröffnet.

Tipp: Zum Beginn der Hauptverhandlung sollten Sie unbedingt pünktlich sein. Denn zum einen macht es einen denkbar schlechten Eindruck, gleich zu spät zu erscheinen. Zum anderen bringen Sie, nachdem Sie hektisch durch die Flure geirrt sind, auf diese Weise vielleicht noch zusätzlichen Stress mit in den Gerichtssaal, der Sie daran hindert, zur nötigen Ruhe zu kommen.

Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

Auch das ist rein technisch zu sehen. Der vorsitzende Richter überprüft, ob das Verfahren durchgeführt werden kann.

 (2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal.

Dies dient dazu, dass die Zeugen nichts vom übrigen Prozessverlauf und den Aussagen der anderen Zeugen mitbekommen. Vor der Entlassung werden die Zeugen in der Regel gemeinsam auf ihre Wahrheitspflicht und auf die Strafbarkeit falscher Aussagen hingewiesen.

Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

Dieser Satz ist sehr missverständlich formuliert. Tatsächlich wird der Angeklagte nicht über die Informationen vernommen, die man gemeinhin als „persönliche Verhältnisse“ (also seine Biographie, siehe unten) bezeichnet.

Vielmehr geht es hier nur um die Personalien – Name, Anschrift, Geburtsdatum und Geburtsort, Beruf, Familienstand, Staatsangehörigkeit. Der Angeklagte ist hier auch zur Aussage verpflichtet.

Entweder liest der Richter diese Daten aus den Akten vor und fragt nur, ob diese so stimmen, oder er lässt den Angeklagten alle Angaben persönlich machen.

Tipp: Nutzen Sie diese kurze Aufnahme Ihrer Personalien dazu, langsam in das Verfahren „hereinzukommen“. Antworten Sie höflich und sachlich auf die Fragen des Richters.

 (3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. (...)

Der Staatsanwaltschaft trägt hier entweder die Anklageschrift oder, wenn ein solcher vorausgegangen ist, den Strafbefehl vor. Diese Ausführungen klingen so als seien sie feststehende Tatsachen, so heißt es z. B. „Der Angeklagte schlug dem Zeugen X mit der Faust ins Gesicht.“ Das gibt aber nur die Ansicht der Staatsanwaltschaft wieder. Diese ist von Ihrer Schuld überzeugt, sonst wäre es ja gar nicht zur Anklage gekommen.

Was hier vorgetragen wird, sind also keine schon bewiesenen Tatsachen, sondern eher ein Prüfungsprogramm. Die Staatsanwaltschaft muss im Prozess all das beweisen, was in der Anklageschrift behauptet wird. Ob ihr das bis zum Ende der Verhandlung gelingen wird, ist noch völlig unklar.

Sich das anzuhören, wird für Sie häufig schwer zu ertragen sein. Ihre Sicht der Dinge ist meistens eine ganz andere. Trotzdem müssen Sie jetzt Ruhe bewahren. Am Anfang hat nur der Staatsanwalt das Wort, nicht Sie.

Tipp: Hier sollten Sie nicht protestieren, zynisch lachen oder gar den Staatsanwalt bei seinem Vortrag unterbrechen. Allenfalls können Sie, wenn Sie so gar nicht mit dem Vorgetragenen einverstanden sind, bedächtig den Kopf schütteln.

 (4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. (...)

Diese Verständigung bezeichnet man in der Regel weniger formell als „Deal“. Dabei wird zwischen Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidiger eine Absprache getroffen, welche Rechtsfolgen herauskommen werden. Dies dient teils der Prozessökonomie, dass also die Verhandlung schneller zu einem Ende gebracht werden kann, teils aber auch der Vermeidung allzu überraschender Urteile.

Die Absprache findet meist im Beratungszimmer neben dem Gerichtssaal statt, ist also nichtöffentlich. Das Ergebnis der Besprechung muss dann aber öffentlich mitgeteilt werden, damit die Transparenz gewahrt bleibt. Dieses Vorgehen ist das Ergebnis einer gesetzlichen Regelung, nachdem diese Deals vorher ungeregelt waren und immer mehr in die Kritik gekommen sind.

Kernstück des Deals ist ein (Teil-) Geständnis des Angeklagten, denn nur dann ist eine direkte Betrachtung der Rechtsfolgen möglich.

Meistens erfolgt eine Verständigung erst nach der Beweisaufnahme, da das Gericht sich zunächst ein Bild über die Sachlage machen will. Möglich sind aber auch Verständigungen ganz am Anfang des Prozesses oder sogar noch vorher, wenn man der Verhandlung bereits eine gewisse Richtung geben will.

Tipp: Die Anregung einer solchen Verständigung sollten Sie unbedingt Ihrem Anwalt überlassen. Ihnen muss dabei aber klar sein, dass es bei einem Deal zu keinem Freispruch kommen wird – denn sonst bräuchte es keine Verständigung. Die Rechtsfolgen können aber u. U. erheblich abgemildert werden.

 (5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, dass es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen.

Das Recht der Angeklagten, nicht aussagen zu müssen, ist eine ganz fundamentale Garantie des Rechtsstaats. Nicht nur darf kein Zwang zu einer Aussage ausgeübt werden, vielmehr darf der Richter auch keine negativen Schlüsse aus dem Schweigen ziehen.

Das Recht, nicht auszusagen, gilt übrigens auch dann, wenn zuvor im Ermittlungsverfahren (z. B. bei der Polizei) bereits ausgesagt wurde.

Tipp: In aller Regel ist es positiv für den Angeklagten, wenn er aussagt. So können Sie Ihre Sicht der Dinge darstellen und der Richter hört nicht nur die Seite der Staatsanwaltschaft. Fatal ist es aber, wenn Sie nur teilweise aussagen und auf bestimmte Fragen schweigen. Dies darf dann durchaus zu Ihren Lasten gewertet werden. Was in Ihrem konkreten Fall die beste Taktik ist, besprechen Sie mit Ihrem Verteidiger.

Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. (...)

Im Rahmen Ihrer Äußerung, auch als Einlassung bezeichnet, dürfen Sie grundsätzlich alles sagen, was Ihnen in den Sinn kommt. Trotzdem sollten Sie Ihre Worte weise wählen.

Beginnen Sie Ihre Ausführungen nicht mit Vorwürfen an Staatsanwaltschaft oder Gericht, dass es überhaupt zum Prozess kam. Die Entscheidung, Anklage zu erheben bzw. diese zuzulassen, ist nun einmal gefallen, daran können Sie nichts mehr ändern. Zweifeln Sie die Rechtsstaatlichkeit des Ganzen nicht an und ziehen Sie keine NS- oder DDR-Vergleiche. Damit erreichen Sie gar nichts, das wirkt sich eher negativ für Sie aus.

Die „Vernehmung zur Sache“ bedeutet zum einen, dass Sie erzählen können, was passiert ist. Sie schildern Ihre Sicht der Dinge zu dem Geschehen, das in der Anklage beschrieben ist. Erzählen Sie, soweit wichtig, auch die Vorgeschichte dieser Geschehnisse und das, was danach passiert ist.

Schildern Sie das alles so sachlich wie möglich. Dazu gehören die objektiven Geschehnisse, aber auch Ihre Eindrücke, Ihre Absichten usw. Beleidigen Sie niemanden und beschuldigen Sie niemanden zu Unrecht. Machen Sie keine Ausführungen zu angeblichen Verschwörungen gegen Ihre Person – wenn Sie der Meinung sind, dass Belastungszeugen voreingenommen sind, dann teilen Sie das ganz nüchtern mit.

Das ist Ihre große Chance, einen guten Eindruck zu machen. Der Richter kennt Sie bisher nur aus der Akte und dort stehen die Ermittlungsergebnisse, nach denen Polizei und Staatsanwaltschaft Sie – das muss man so deutlich sagen – für einen Straftäter halten. Zwar hat ein guter Strafverteidiger normalerweise schon einen Schriftsatz für Sie eingereicht – aber Papier alleine kann einen Menschen nicht ausreichend darstellen.

Zeigen Sie dem Gericht, dass Sie ein ordentlicher Mensch sind. Machen Sie in jedem Fall klar, dass Sie die Situation ernst nehmen – egal, ob die Vorwürfe zutreffen oder nicht. Sehr oft ist die Glaubwürdigkeit der Beteiligten für das Urteil entscheidend und Ihre eigene Glaubwürdigkeit können Sie hier herstellen.

Tipp: Bereiten Sie sich einen Stichwortzettel vor, damit Sie nichts Wesentliches vergessen. Dieser sollte aber nicht ausformuliert sein – Sie sollen sich authentisch präsentieren und nicht stur etwas verlesen.

Tipp: Wenn Sie die Tat begangen haben, zeigen Sie dem Gericht, dass Sie sich von Ihrem Handeln distanzieren. Wenn Sie von Anfang an Reue bekunden, kann das nur zu Ihrem Vorteil sein. Geizen Sie auch nicht mit Ausführungen dazu, dass Sie sich über sich selbst ärgern, dass Ihre Handlung dumm oder unüberlegt war, dass Sie unter dem ganzen Verfahren leiden.

Zur Vernehmung zur Sache gehören auch die persönlichen Verhältnisse im eigentlichen Sinne. Diese gehen über die Personalien, die Sie schon am Anfang angeben mussten, deutlich hinaus. Hierzu gehört zum Beispiel:

  • Kindheit
  • Ausbildung
  • beruflicher Werdegang
  • Gesundheitszustand
  • familiäre Situation

Diese Tatsachen können für die Strafzumessung eine Rolle spielen, weil sie dem Gericht helfen, den Angeklagten kennenzulernen.

Da es sich dabei um Vernehmung zur Sache handelt, müssen Sie sich dazu nicht äußern. Viele Menschen sind auch eher zurückhaltend, ihre Biographie und sehr private Details dazu gegenüber fremden Menschen offenzulegen.

Tipp: Ich kann aus meiner Erfahrung nur empfehlen, sich hier zu äußern und sich ausführlich vorzustellen. Die meisten Dinge aus Ihrem Leben sind eher strafmildernd als -verschärfend.

Dieser Teil der Vernehmung wird aber oft hinter die Beweisaufnahme, also ganz an den Schluss der Verhandlung verschoben.

Den weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, von der Beweisaufnahme bis zum Urteil, finden Sie hier.


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