"Gläserner" Arbeitnehmer: Unzulässigkeit biometrischer Fingerabdrücke

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Worum ging es in dem Rechtsstreit?


Der Arbeitnehmer A ist seit mehr als zehn Jahren in einer radiologischen Praxis als Assistent beschäftigt. Die Arbeitszeiten und die gewünschten Einsätze wurden im Betrieb bislang von den Beschäftigten auf einem Dienstplan per Hand eingetragen. Die Beklagte führte dann eine elektronische Zeiterfassung mit einem Fingerprint-Terminal ein. Mit diesen Systemen erfolgt eine Identifikation über einen sogenannten biometrischen Fingerabdruck. Das System gespeichert zur Identifikation mittels Fingerabdruck die sogenannten "Minutien" (Koordination der Schnittpunkte) eines Fingerabdrucks. Die Mitarbeiter wurden einige Tage vor Einführung des Systems informiert. Der Arbeitgeber teilte mit, dass nicht die Fingerabdrücke, sondern die Minutien gespeichert würden, diese würden in einem zahlen Code umgewandelt. Daraus könne man keinen Fingerabdruck reproduzieren, der zahlen Code können nicht aus dem System ausgelesen werden. Ab dem Zeitpunkt der Einführung würden nur noch die dort erfassten Arbeitszeiten gelten. Über dieses System solle auch der Dienstplan erstellt werden. Arbeitnehmer A weigert sich, das System zu benutzen. Hierfür erhielt er einige Wochen später eine Abmahnung.

Das Arbeitsgericht Berlin verurteilte den Arbeitgeber, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.



Wie entscheidet das Gericht?


Die hiergegen eingelegte Berufung des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen, es hat damit die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin bestätigt. Die Revision hat das Landesarbeitsgericht nicht zugelassen.

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.06.2020 - 10 Sa 2130/19

Die Verwendung einer Zeiterfassung mittels biometrischen Fingerabdruck sei nicht "erforderlich"im Sinne des Bundesdatenschutzgesetzes. Geprüft werden müsse, ob die Verarbeitung biometrischer Daten des Klägers bei der Zeiterfassung „erforderlich" sei, damit die Beklagte bzw. der Kläger ihre Rechte ausüben oder ihren Pflichten nachkommen können. In der Gesetzesbegründung zu § 26 BDSG hat der deutsche Gesetzgeber festgehalten, dass im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung die widerstreitenden Grundrechtspositionen zur Herstellung praktischer Konkordanz abzuwägen seien. Dabei seien die Interessen des Arbeitgebers an der Datenverarbeitung und das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten zu einem schonenden Ausgleich zu bringen, der beide Interessen möglichst weitgehend berücksichtige (BT-Drs. 18/11325, S. 97). Zusätzlich zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Erforderlichkeit dürfe kein Grund zu der Annahme bestehen, dass die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Beschäftigten die Interessen des verantwortlichen Arbeitgebers an der Verarbeitung überwögen (BT-Drs. 18/11325, S. 98).

Dazu habe der Arbeitgeber im Prozess angegeben, man wünsche eine bundesweit einheitliche Erfassung der Anwesenheitszeiten durch Fingerabdruck- Erkennung. Dies sei auf Dauer preiswerter als die Pflege eines Chipkartensystems, welches bei Kartenverlust umständlich neue konfiguriert werden müsse. Auch bei Verlust von Chipkarten könne die Arbeitszeit nicht rekonstruiert werden. Zudem sei es wichtig, dass der Zugang zu dem Erfassungssystem limitiert werde, weil im Betrieb sensible Gesundheitsdaten verarbeitet würden. Hinzu komme, dass bei Infektionen, eine genaue Zeiterfassung erforderlich sei, um Infektionsketten aufklären zu können.

Darin sieht das Landesarbeitsgericht zwar ein nachvollziehbares Interesse des Arbeitgebers, jegliche Manipulation bei der Zeiterfassung auszuschließen.

Allerdings sei unter Berücksichtigung von § 26 Abs. 1 S. 2 des Bundesdatenschutzgesetzes, der eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten von Beschäftigten nur erlaube, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründeten, eine dauerhafte Speicherung besonders geschützter biometrischen Beschäftigten Daten ein Grundrechtseingriff von hoher Intensität und könne bereits unverhältnismäßig sein, wenn der Eingriffsanlass kein hinreichendes Gewicht aufweise. Deshalb habe der Arbeitgeber keine Tatsachen dargelegt, nach denen die Verarbeitung biometrischen Daten von Beschäftigten bei der Zeiterfassung erforderlich sei, damit die Beklagte bzw. der Kläger ihre Rechte ausüben oder ihren Pflichten nachkommen können.

Im Ausgangspunkt habe Arbeitnehmer A daher keine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt, indem er die biometrische Zeiterfassung nicht verwendet habe. Die Abmahnung müsse daher aus der Personalakte entfernt werden.



Welche Auswirkungen hat die Entscheidung auf die Praxis?


Natürlich müssen Arbeitnehmer, wenn Arbeitgeber Ihnen entsprechende Anweisung erteilen, ihre Arbeitszeit wahrheitsgemäß aufzeichnen. Vorliegend ging es darum, dass das Zeiterfassungssystem Arbeitszeiten ausschließlich dann erfasste, wenn Mitarbeiter die biometrischen Daten Ihres Fingerabdrucks von einem Erkennungsgerät auslesen lassen. Das erst- und zweitinstanzliche Gericht hat jeweils eine ausführliche Prüfung anhand der geltenden Regelungen zum Beschäftigten Datenschutz vorgenommen und in nachvollziehbarer Weise festgestellt, dass der Arbeitgeber vorliegend kein überwiegendes Interesse daran vorgetragen hat, weshalb er gerade eine Zeiterfassung mit einer Fingerprint- Erkennung nutzen wollte.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen. Das Bundesarbeitsgericht hat vor einiger Zeit entschieden, dass eine verdeckte Überwachung von Mitarbeitern mittels eines Keylogger-Aufzeichnungsprogramms, welches im Hintergrund jede Tastenbewegung auf der Tastatur eines Rechners gespeichert, um diese später auslesen und Missbrauch durch Beschäftigte feststellen zu können, unverhältnismäßig ist (BAG v. 27.07.2017 - 2 AZR 681/16). Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts fügt sich in diese neuere Entwicklung der Rechtsprechung ein. Zu Recht achten die Gerichte hier auf den Grundsatz der Daten Sparsamkeit und des Grundsatzes, dass die Grundrechte der Beschäftigten möglichst geschont werden müssen. Es gibt aber Möglichkeiten, Beschäftigte zu überwachen, und zwar auch und gerade bei konkretem Verdacht von Straftaten wie Diebstahl und Unterschlagung. Arbeitgeber sind daher nicht schutzlos gestellt.

Dr. Bert Howald
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel, Stuttgart

Foto(s): Gaßmann & Seidel

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