Können freie Mitarbeiter bei einer Kündigung des Vertragsverhältnisses eine Abfindung beanspruchen?

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Von Rechtsanwalt Prof. Dr. Michael Kaufmann

In vielen Berufsgruppen (z. B. bei Versicherungsvertretern, Journalisten, Künstlern, Musikern, Schauspielern, Architekten, Maklern und Ärzten) ist es heute üblich, dass Mitarbeiter als freie Mitarbeiter, auch Freelancer genannt, beschäftigt werden. Regelmäßig sind diese Mitarbeiter als Scheinselbstständige an sich Arbeitnehmer, also abhängig beschäftigt. Wird das Vertragsverhältnis vom Arbeitgeber gekündigt, genießen „echte“ Arbeitnehmer im Gegensatz zu echten freien Mitarbeitern Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Darüber hinaus tragen nur die echten freien Mitarbeiter ihre Sozialversicherung selbst. Für Arbeitnehmer hingegen übernimmt der Arbeitgeber den entsprechenden Anteil der Sozialversicherung.

Sinngemäßer Inhalt der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG): Bei echten feien Mitarbeitern wird grundsätzlich keine Abfindung gezahlt. Echte freie Mitarbeiter genießen auch keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Häufig sind diese Mitarbeiter jedoch als sogenannte Scheinselbstständige eigentlich als Arbeitnehmer einzuordnen.

  1. Wieso zahlen Arbeitgeber auch freien Mitarbeitern im Fall einer Klage nicht selten eine Abfindung?

Freie Mitarbeiter genießen keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Der Arbeitgeber kann unter Beachtung der vertraglich vereinbarten bzw. der gesetzlichen Kündigungsfrist unproblematisch das Vertragsverhältnis beenden. Deshalb wird er in der Regel auch keine Abfindung zahlen.

Häufig wird allerdings übersehen, dass viele in der Praxis als freie Mitarbeiter beschäftigte tatsächlich Arbeitnehmer sind. Erheben diese Mitarbeiter innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage vor dem zuständigen Arbeitsgericht, hat der Arbeitgeber in der Regel nur zwei Möglichkeiten: entweder er lässt sich auf einen für ihn riskanten Rechtsstreit ein, oder er zahlt eine Abfindung. Verliert der Arbeitgeber die Klage, muss er den Arbeitnehmer weiterbeschäftigen. Er muss ihm den Lohn für die Zeit des Verfahrens nachzahlen und rückwirkend für bis zu vier Jahre die Beiträge zur Sozialversicherung leisten. Da kommen schnell gewaltige Beträge zusammen. Um dieses Risiko zu vermeiden, wird der Arbeitgeber in der Regel eine Abfindung (Regelwert: ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr, häufig wesentlich mehr) anbieten.

Es macht also einen enormen Unterschied ob man als freier Mitarbeiter oder als Arbeitnehmer einzustufen ist.

  1. Was ist denn der Unterschied zwischen Arbeitnehmer und einem freien Mitarbeiter?

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. In diesem Zusammenhang sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen und in ihrer Gesamtheit zu bewerten. Die jeweilige Vertragsart – Arbeitnehmervertrag oder Freelancervertrag – ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt und nicht alleine aus seiner Bezeichnung. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch umgangen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung – einen anderen Namen – geben. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist Letztere maßgebend (vgl. BAG-Urteil vom 20.05.2009, Az.: 5 AZR 31/08).

  1. Tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses maßgeblich

Entscheidend ist immer die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses. Hier kommt es dann auf nachstehende Kriterien an: Je mehr Kriterien erfüllt sind, desto eher kann man von dem tatsächlichen Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses ausgehen.

Zeitliche Weisungsbindung

Zeitliche Weisungsbindung ist gegeben, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder wenn der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang auch ohne entsprechende Vereinbarung herangezogen wird, ihm also die Arbeitszeiten letztlich „zugewiesen“ werden (vgl. so LAG München, Urteil vom 11.6.2010, AZ.5 Sa 582/09).

Auch die Einbindung in Dienst- und Urlaubspläne ist ein klares Indiz für die zeitliche Weisungsgebundenheit.

Örtliche Weisungsbindung

Örtliche Weisungsbindung liegt vor, wenn der Mitarbeiter seine Arbeiten an einem bestimmten, vom Auftraggeber vorgegebenen Ort, z. B. im Büro des Auftraggebers verrichten muss. Örtliche Weisungsbindung kann aber auch bestehen, wenn der Arbeitnehmer zwar zu Hause arbeiten darf, jedoch dort aber auch stets anwesend sein muss.

Fachliche Weisungsbindung

Hier ist relevant, inwieweit sich der Auftraggeber in die inhaltliche Arbeit einmischt und wie konkret die Vorgaben für die Ausführung der Arbeiten im konkreten Fall sind. Insbesondere, wenn es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, die Arbeitsleistung zu erbringen, deuten strenge Vorgaben auf eine fachliche Weisungsgebundenheit und damit deutlich auf eine Arbeitnehmereigenschaft hin.

Kein eigenes Auftreten am Markt

Wenn der angeblich freie Mitarbeiter nicht in nennenswertem Umfang anderweitig tätig ist, spricht auch dies für eine Scheinselbstständigkeit.

Vorgesetzter von Arbeitnehmern

Vorgesetzte von Arbeitnehmern sind immer selbst Arbeitnehmer. Das Landesarbeitsgericht Köln hat in einem solchen Fall entschieden, dass Mitarbeiter mit Weisungsbefugnis für Arbeitnehmer ihre Leistung grundsätzlich nicht im Rahmen eines freien Dienstvertrages erbringen können, da es grundsätzlich nicht realisierbar sei, eine Führungsaufgabe, die den Stelleninhaber notwendigerweise in die Organisation des Arbeitgebers einbindet, weisungsunabhängig auszuüben. Ein Abteilungsleiter, der gegenüber der Belegschaft im Auftrag des Arbeitgebers dessen Direktionsrecht auszuüben hat, ist dessen Arbeitnehmer (vgl. Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 12.01.2010, Aktenzeichen: 12 Sa 429/09).

Vergleichbare Tätigkeiten werden im Betrieb von Arbeitnehmern erledigt

Werden vergleichbare Tätigkeiten im Betrieb von Arbeitnehmern erledigt, ist auch dies ein Indiz für eine Arbeitnehmereigenschaft.

  1. Beweisschwierigkeiten

In Zeiten digitaler Kommunikationsmittel lässt sich die Weisungsgebundenheit und damit die Arbeitnehmereigenschaft gut nachweisen, da Anweisungen, Arbeitspläne etc. häufig per E-Mail (Intranet, Mailverkehr) erfolgen. Vor allem, wenn die Arbeitsanweisungen deutlich ins Detail gehen, kann auf eine Weisungsgebundenheit des Mitarbeiters und damit auf seinen Status als Arbeitnehmer repliziert werden.

Prof. Dr. Michael Kaufmann, Rechtsanwalt, vertritt bundesweit Mitarbeiter und Unternehmen.


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