Lockdown überstehen, jetzt keine Insolvenz!

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Seit dem Frühjahr werden die Kreise, die die Pleitegeier ziehen immer enger und tiefer. Inzwischen haben viele Selbständige ihre Finanzpolster aus guten Tagen aufgebraucht, leben von der sprichwörtlichen Hand in den Mund. Und wenn auch das nicht mehr ausreicht? Dann würde ich zur Insolvenz raten. Eigentlich. Derzeit wäre das nämlich genau die falsche Idee. 

Sophie R. (36) ist seit rund sechs Jahren als Textildesignerin selbständig. Sie hat ein kleines Ladengeschäft in einer Seitenstraße von Dresdens Neustadt, ihren Kunden*innen stammen aus der Veranstaltungsbranche, Messeoutfits, Mottopartys, so etwas. Zudem verkauft sie eigene Kreationen in ihrem abends geöffneten Laden. Hierfür gönnt sie sich sogar eine Mitarbeiterin.

Rücklagen aufgebraucht?

Vor zwei Jahren hatte Sophie harte Konkurrenz bekommen. Eine international agierende Firma bietet exakt ihren Service - im Internet. Design nach eigenen Wünschen, Beratung, Herstellung. Sophie versuchte ebenfalls im Netz aktiv zu werden, mit mäßigem Erfolg. „Gerade die persönliche Beratung ist doch mein Kapital“, meint sie. Als im Frühjahr ihre Veranstaltungskunden, die Theater sowie ein Großteil der Privatkunden wegfielen, schmolzen ihre Rücklagen. Seit dem zweiten Lockdown ist nichts mehr davon da. Sophie fühlt sich inzwischen wie in ein tiefes, kaltes Loch gefallen, sagt sie. 

Insolvenzverschleppung?

„Nachher mache ich mich noch strafbar wegen Insolvenzverschleppung!“, mutmasst die agile, modebewusste Frau. Da konnte ich sie beruhigen, für Klein-Unternehmer*innen wie sie ist das kein Thema. Dass sie die Sozialabgaben ihrer Mitarbeiterin jedoch nicht mehr zahlt, das kann durchaus strafrechtliche Folgen haben. Von einer Insolvenz rate ich zum jetzigen Zeitpunkt ab.  

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat bereits Anfang Juli erklärt:

„Die Coronakrise hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, wie schnell und unerwartet man in finanzielle Schwierigkeiten geraten kann.“ Lambrecht kündigte da eine deutliche Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens an, also die Umsetzung der EU-Richtlinie über 'Restrukturierung und Insolvenz' zu Anfang Oktober - was aber noch nicht geschehen ist. Laut der Richtlinie muss es unternehmerisch tätigen Personen ermöglicht werden, sich künftig innerhalb von drei Jahren zu entschulden. Anders als bisher wird es dabei nicht mehr erforderlich sein, Verbindlichkeiten in einer bestimmten Höhe zu tilgen (derzeit 35 Prozent). Die Insolvenz wird damit für Schuldner*innen deutlich attraktiver.

Und in der Zwischenzeit? 

Sophie - sowie anderen in ähnlicher Lage - ist zunächst dringend zu einer umfangreichen Kostenreduzierung zu raten. Für die Mitarbeiterin sollte schnellstens Kurzarbeitergeld beantragt werden - mindestens, vielleicht wäre auch die Trennung für beide das Beste. Oder sie stürzen sich gemeinsam nochmals auf die Beratung und den Verkauf im Netz, das kann inzwischen durchaus klappen. Zudem müssen die Mietkosten und Verbindlichkeiten reduziert werden. Auf der Haben-Seite hingegen gibt es derzeit diverse Zuschüsse für Selbständige vom Bund und den Ländern. 

Vieles von alldem kann ein guter Anwalt für Insolvenzrecht erfolgreich abarbeiten. Wenn es gut läuft, kann eine Insolvenz sogar vermieden werden. Oder aber wir bereiten den Antrag vor, so dass er bei geänderter Gesetzeslage sofort eingereicht werden kann.

Ich wünsche allen Selbständigen und Freiberuflern, dass sie die Krise gut überstehen, ja vielleicht sogar nutzen. „Nichts ist so schlecht, dass es nicht zu irgendetwas gut ist“, sagte neulich eine Freundin von mir. Na denn: Auf geht's, hinaus ans Licht! 

Herzlichst, 

Gerhard Rahn (Fachanwalt für Insolvenzrecht) 

Foto(s): Pixabay


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