NRW – "Kontaktverbot" und Corona-Schutzverordnung (CoronaSchVO)

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Seit 23. März 2020 gilt in Nordrhein -Westfalen das Maßnahmenpaket zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2, kurz: Corona-Schutzverordnung (CoronaSchVO). Rechtsgrundlage sind §§ 32, 28 Abs.1 des bundesweiten Infektionsschutzgesetz (IFSG).

Das Paket ist umfangreich und enthält drastische Grundrechtseingriffe, wie sie in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos sind. Die anderen Bundesländer haben ähnliche Regelungen erlassen oder noch strengere, wie in Bayern und Sachsen, wo eine Ausgangssperre besteht.

Die wichtigsten Regelungen für „Corona-Schwerpunkt-Land“ NRW (die Infektionskette ging nach Karneval 2020 vom dortigen Kreis Heinsberg aus) werden zusammengefasst:

I. Was genau wurde verboten?

Kernmaßnahme ist neben Schließungen von Geschäften, Betrieben und Einrichtungen ein weitreichendes „Kontaktverbot“.

1. Kontaktverbot

Ein Kontaktverbot beinhaltet, dass Zusammenkünfte und Ansammlungen in der Öffentlichkeit von mehr als zwei Personen gemäß § 12 CoronaSchVO untersagt sind.

Dieses ist zwar keine Ausgangssperre, die das Verlassen der eigenen Wohnung nur in begrenzten Ausnahmefällen zulässt, aber gleichwohl eine Ausgangsbeschränkung. Die Rechte auf freien Umgang und Versammlung mit anderen Menschen werden erheblich eingeschränkt.

Derartige schwerwiegende Grundrechtseingriffe sind nur auf gesetzlicher Grundlage unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig. Eben wegen der Verhältnismäßigkeit haben die meisten Bundesländer, auch NRW, von Ausgangssperren (zumindest vorläufig bis 19. April 2020) abgesehen.

Je nach Entwicklung der epidemiologischen Situation wird die Nachfolgeregelung für die Zeit ab dem 20. April 2020 die Maßnahmen beibehalten, lockern oder verschärfen. Ersatzloser Wegfall ist nach jetziger Abschätzungsmöglichkeit unwahrscheinlich.

Die sich bereits zur jetzigen Verordnung aufdrängenden Fragen, ob die Regelungen erforderlich, angemessen und verhältnismäßig, überhaupt verfassungsgemäß sind, werden sich alsdann noch dringender stellen.

2. Ausnahmen

Ausnahmen gelten für Verwandte in gerader Linie, Ehegatten, Lebenspartner sowie in häuslicher Gemeinschaft lebende Personen, Begleitung minderjähriger bzw. unterstützungsbedürftiger Personen, zwingend notwendige Zusammenkünfte aus geschäftlichen, beruflichen, dienstlichen sowie aus prüfungsbedingten oder betreuungsbedingten Gründen.

Interpretationsraum gibt der Begriff „Lebenspartner“. Nach hiesiger Auffassung meint dieser nicht nur zusammenwohnende Partner, sondern auch getrennt wohnende Paare. Wann eine Lebenspartnerschaft vorliegt, wirft Fragen auf, etwa, wie lange die Partnerschaft bestehen muss. Der Begriff dürfte weit auszulegen sein.

3. Öffentliche Verkehrsmittel

Der Öffentliche Personen-Nahverkehr (ÖPNV) darf weiterhin genutzt werden, § 12 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO.

4. Übernachtung und Tourismus

Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken, nicht nur gewerbliche (Hotels), sondern auch private (Pensionen, Online-vermittelte Mietangebote) sowie Reisebusreisen sind untersagt, § 8 CoronaSchVO.

5. Grillen und Picknick in der Öffentlichkeit

Dies ist künftig überall in NRW untersagt (bisher nur durch Ortssatzung lokal). Die zuständigen Behörden können weitere Verhaltensweisen zur Umsetzung des Kontaktverbots generell untersagen, § 12 Abs. 2 CoronaSchVO.

6. Zusammenkünfte und Ansammlungen

Problematisch könnte sein, wann eine Zusammenkunft oder Ansammlung vorliegt. Hiermit sind nicht etwa Veranstaltungen oder Versammlungen gemeint (dazu unten).

Für eine unzulässige Zusammenkunft bzw. Ansammlung reicht das bloße Beisammensein in der Öffentlichkeit von mindestens drei Personen. Das ist nur dann zulässig, wenn die Personen einen Mindestabstand von 1,5 m zueinander einhalten.

Liegt eine Versammlung (Definition des BVerfG, Urteil vom 22.02.2011, Aktenzeichen 1 BvR 699/06: „Örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen Erörterung oder Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung“) oder Veranstaltung vor, ist diese auch ohne Verstoß gegen die Mindestabstände grundsätzlich verboten.

Allerdings können die zuständigen Behörden eine Versammlung (bei Sicherstellung des Infektionsschutzes durch den Veranstalter, Einhaltung der Mindestabstände) zulassen, § 11 Abs 2 CoronaSchVO.

II. Welche Beschränkungen gelten für den Gesundheitssektor?

Übergeordnetes Schutzziel ist der Erhalt der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Insoweit wurde Folgendes geregelt:

1. Stationäre Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen

Besuche in stationären Einrichtungen sind gemäß § 2 Abs. 2 CoronaSchVO generell unzulässig, wenn sie nicht der medizinischen oder pflegerischen Versorgung dienen oder rechtlich erforderlich sind. Ausnahmen sollen unter Schutzmaßnahmen und nach Hygieneunterweisung von der jeweiligen Einrichtungsleitung zugelassen werden, soweit medizinisch oder ethisch-sozial geboten (Geburts- und Kinderstationen, Palliativpflege).

2. Arztpraxen und Zahnarztpraxen

Ausdrückliche Regelung trifft die Verordnung hierzu nicht. Mangels Verbotsregelung und nach dem Verordnungszweck dürfen niedergelassene Ärzte und Zahnärzte unproblematisch weiter praktizieren.

3. Heilpraktiker

Umstritten ist die Rechtslage für Heilpraktiker. Ausdrückliche Regelung besteht auch hier nicht. Die Handhabung der Behörden ist lokal unterschiedlich. Die Bandbreite reicht von „unzulässig“ über „nur im Rahmen des medizinisch Notwendigen zulässig“ und „nur bei ärztlicher Verordnung zulässig“ bis „generell zulässig“ (Quelle: https://freieheilpraktiker.com/fortbildung/fortbildung-aktuell/352-corona-praxisausfall-praxisschliessung-und-quarantaene).

Nach hiesiger Auffassung bleibt mangels gesetzlicher Beschränkung die Tätigkeit uneingeschränkt erlaubt (ein Verbot verstieße womöglich gegen die Berufsfreiheit). Die Gerichte könnten dies auch anders bewerten.

4. Apotheken, Sanitätshäuser und Drogerien

Apotheken, Sanitätshäuser und Drogerien dürfen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 CoronaSchVO offenbleiben.

5. Physio- und Ergotherapeuten

Therapeutische Berufsausübungen, die Verordnung zählt insbesondere Physio- und Ergotherapeuten auf, bleiben gemäß § 7 Abs. 3 S. 2 CoronaSchVO nur gestattet, soweit die medizinische Notwendigkeit der Behandlung durch ärztliches Attest nachgewiesen wird und strenge Schutzmaßnahmen vor Infektionen getroffen werden.

III. Welche Beschränkungen gelten für die Wirtschaft?

Einschneidend – und vielfach hinsichtlich der Unternehmerfreiheit bedenklich – sind u. a. folgende Beschränkungen für die freie Wirtschaft:

1. Handwerk

Handwerker dürfen gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 CoronaSchVO ihre Arbeit mit Vorkehrungen zum Schutz vor Infektionen weiterhin ausüben. Der Verkauf von nicht mit handwerklichen Leistungen verbundenen Waren jedoch ist Handwerkern mit Geschäftslokal verboten außer notwendiges Zubehör, § 7 Abs. 2 CoronaSchVO. 

2. Dienstleistungen und freie Berufe

Für Dienstleister gilt das zu 1. Gesagte entsprechend, § 7 Abs. 1 CoronaSchVO. Dies betrifft freie Berufe (z. B. Steuerberater, Architekt) und Erbringer sonstiger Dienstleistungen.

3. Friseure, Nagelstudios, Tätowierer, Massagesalons

Da bei diesen Dienstleistungen der Mindestabstand vom Anbieter zum Kunden nicht eingehalten werden kann, sind sie untersagt, § 7 Abs. 3 S. 1 CoronaSchVO.

4. Gastronomie und Vergnügungsstätten

Der Betrieb von Restaurants, Gaststätten, Kneipen, Imbissen, Mensen, Kantinen (ausgenommen sind Betriebskantinen) und anderen gastronomischen Einrichtungen ist verboten, § 9 Abs. 1 CoronaSchVO.

Zulässig bleibt die Belieferung mit Speisen und Getränken sowie der Außer-Haus-Verkauf, wenn die Mindestabstände eingehalten werden. Jedoch ist der Verzehr im Umkreis von 50 m um die Gastronomie untersagt, § 9 Abs. 2 CoronaSchVO.

Verboten ist der Betrieb von Bars, Clubs, Diskotheken, Spielhallen, Spielbanken, Bordellen sowie die Prostitution, § 3 Abs.1 Nr. 1, 6 und 7 CoronaSchVO.

5. Handel, Banken und allgemeiner Lebensbedarf

Zulässig bleiben gemäß § 5 Abs. 1 CoronaSchVO der Lebensmittel-Einzelhandel, Hofläden, Kurierdienste sowie Getränkemärkte, Tierbedarfs-Märkte, Banken und Sparkassen, Tankstellen, Poststellen, Reinigungen und Waschsalons und Kioske.

Der Großhandel hat zu beachten, dass die Anzahl gleichzeitig anwesender Kunden eine Person pro 10 Quadratmeter zugängliche Lokalfläche nicht übersteigen darf, § 5 Abs. 1 Nr. 7 CoronaSchVO.

Der Betrieb von Baumärkten und Gartenbaumärkten sowie von Wochenmärkten bleibt zwar grundsätzlich zulässig, jedoch nur mit den sich aus § 5 Abs. 2 und 3 CoronaSchVO ergebenden Einschränkungen.

Der Betrieb nicht in § 5 Abs. 1 bis 3 CoronaSchVO genannter Verkaufsstellen ist untersagt. Zulässig bleiben insoweit der Versandhandel und die Auslieferung bestellter Waren.

IV. Welche Beschränkungen gelten in Bildung, Kultur, Religion und im öffentlichen Leben?

Kindertagesstätten, Schulen, Hochschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen sind aufgrund Ministererlasses schon seit 16. März 2020 durchweg geschlossen (keine Neuregelung in CoronaSchVO).

Für Volkshochschulen und Musikschulen ist dies in § 3 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO geregelt.

Kulturelle Einrichtungen wie Museen, Theater, Opernhäuser und Kinos sind zu schließen, § 3 Abs. 1 Nr.1 CoronaSchVO. Bibliotheken dürfen den Zugang nur unter strengen Schutzauflagen gestatten, § 4 CoronaSchVO.

Versammlungen zur Religionsausübung, v.a. Gottesdienste, unterbleiben, § 11 Abs. 3 CoronaSchVO. Entsprechende Erklärungen haben Kirchen, Islam-Verbände und jüdische Verbände abgegeben.

Was Beerdigungen angeht, sind zulässig Erd- und Urnenbestattungen sowie Totengebete nur im engsten Familienkreis, § 11 Abs. 4 CoronaSchVO.

V. Wie werden die Verbote durchgesetzt und welche Sanktionen drohen bei Verstößen?

Verstöße werden als Ordnungswidrigkeiten (§73 IFSG) mit Geldbuße bis zu 25.000 Euro oder sogar als Straftaten (§§ 74, 75 IFSG) gemäß mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren verfolgt.

Siehe den Straf- und Bußgeldkatalog vom 24. März 2020 (https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/stk_24.03.2002_anlage_bussgeldkatalog_zur_rechtsverordnung_22.03.2020.pdf).



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