Organisationsfehler im Krankenhaus – „Der Täter hinter dem Täter“

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Strafrechtliche Haftung der Krankenhausgeschäftsleitung für unterbesetzten Nachtdienst

Der Fall: Unser Mandant befand sich zur postoperativen Überwachung nach einer Nasenoperation in stationärer Behandlung im Krankenhaus. Als er nachts mit plötzlich aufgetretenem Schwindel, Herzrasen und Unwohlsein wach wurde, rief er nach der Nachtschwester. Da diese nicht reagierte, machte er sich auf den Weg zum Stationszimmer, wo er die Nachtschwester allein und zeitunglesend antraf. Die Nachtschwester ließ ihn im Flur Platz nehmen und maß den Blutdruck. Der obere Messwert lag bei 60 mmHg (Normwert: 110 – 130), der untere war nicht mehr messbar (Normwert: 80 – 90 mmHg). Da kein Arzt für den Nachtdienst eingeteilt war, schickte sie unseren Mandanten zurück ins Bett. Als er ihr mitteilte, dass er aufgrund des wegsackenden Kreislaufs nicht selbstständig aufstehen und gehen könne und stattdessen sitzenblieb, entfernte sich die Nachtschwester, um einen Arzt zu suchen. Kurz darauf verlor er das Bewusstsein, kippte vornüber vom Stuhl und zog sich schwere Kopfverletzungen zu. Nun bittet er in unserer Kanzlei bei einem Patientenanwalt um Rat und fragt, ob er Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadenersatz aufgrund des Verhaltens der Krankenschwester hat und gegebenenfalls auch eine strafrechtliche Haftung in Betracht kommt.

Haftet die Nachtschwester?

Auf den ersten Blick scheint die Nachtschwester sich richtig verhalten zu haben. Aufgrund des viel zu niedrigen Blutdruckes beschloss sie, einen Arzt hinzuzuziehen. Die Nachtschwester hätte allerdings dafür sorgen müssen, dass unser Mandant sich hinlegt, um sich nicht zu gefährden. Dass kein diensthabender Arzt zur Verfügung stand, kann der Nachtschwester persönlich nicht vorgeworfen werden. Sie hätte lediglich vor Dienstantritt verweigern können, die Nachtschicht auf der Station alleine zu übernehmen. Insofern trifft sie ein zivilrechtliches Übernahmeverschulden aus dem mit dem Krankenhaus geschlossenen Behandlungsvertrag, § 630a Abs. 2 BGB. Strafrechtlich scheitert eine Haftung an der kaum nachweisbaren subjektiven Schuld (Verweis https://www.anwalt.de/rechtstipps/arzthaftung-bei-behandlungsfehlern-strafanzeige-gegen-den-behandelnden-arzt-fuehrt-selten-zum-erfolg_085338.html).

Haftet ein Arzt?

Da ein Stationsarzt offensichtlich nicht für den Nachtdienst eingeteilt war, kommt dessen Haftung nicht in Betracht. Der für die Station verantwortliche Chefarzt muss sich jedoch vorwerfen lassen, nicht für eine dem medizinischen Standard entsprechende ärztliche Präsenz und Überwachung auf der Station gesorgt zu haben. Er wird regelmäßig von der Geschäftsleitung mit der Besetzung der Dienste beauftragt. Der Chefarzt haftet somit zivilrechtlich aufgrund eines voll beherrschbaren Organisationsfehlers nach den §§ 630a Abs. 2, 630h Abs. 1 BGB, möglicherweise auch strafrechtlich.

Haftet die Krankenhausleitung?

Die Krankenhausgeschäftsleitung trägt die Hauptverantwortung für die Sicherheit der Patienten. Sie muss organisatorisch gewährleisten, dass dem Standard entsprechende Dienstpläne erstellt und auch umgesetzt werden. Zwar kann diese Verantwortung auf den fachlich zuständigen Chefarzt der Abteilung übertragen werden, allerdings trifft die Geschäftsleitung letztendlich die Organisations- und Überwachungsverantwortung. Ohne entsprechende Dienstanweisungen und Kontrollen der Umsetzung, haftet auch der Geschäftsführer für ein sogenanntes Organisationsverschulden (§§ 630a Abs. 2, 630h Abs. 1 BGB). Neben der zivilrechtlichen Haftung, bei der in der Regel die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses die Schadenregulierung übernimmt, kommt auch eine persönliche Strafbarkeit des Geschäftsführers in Betracht (§§ 227, 13 StGB).

Fazit

Die organisatorische Zuständigkeit für die Einhaltung des medizinischen Standards liegt regelhaft beim ärztlichen Direktor, der Pflegedirektion sowie bei Chef- und leitenden Abteilungsärzten. Obwohl es in der Praxis bisher selten zu persönlichen Verurteilungen der Führungsorgane im Krankenhaus gekommen ist, wenn diese nicht unmittelbar an der Behandlung beteiligt waren, wird dieses Thema aufgrund der Ökonomisierung der Medizin und den erforderlichen (personellen) Einsparmaßnahmen weiter an Aktualität gewinnen.

Sollten Sie aufgrund eines Organisationsfehlers durch eine Standartunterschreitung, auf die Sie nicht im Vorfeld hingewiesen wurden, Opfer eines Behandlungsfehlers geworden sein, ist eine Beratung bei einem spezialisierten Patientenanwalt unumgänglich. Dieser wird Sie in Ihrem individuellen Fall auf alle infrage kommenden Haftungsgegner hinweisen und Sie bei der Durchsetzung von Schadenersatz und Schmerzensgeldansprüchen unterstützen.

Anne Schunack, Dipl. Wirtschaftsjuristin (FH)

Tätigkeitsschwerpunkt Medizin- & Arzthaftungsrecht


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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