Internationale Schiedsverfahren in Russland

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Die Schiedsgerichtsbarkeit etablierte sich in Russland als anerkannte Streitschlichtungsinstitution nicht zuletzt aufgrund des Tätigwerdens des Internationalen Handelsschiedsgerichts (russ. Abkz.: MKAS) bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) der Russischen Föderation.

Mit etwa 250–300 international gelagerten Fällen jedes Jahr ist MKAS heutzutage die führende Schiedsinstitution im Bereich der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit in Russland und im osteuropäischen Raum. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde MKAS der Rechtsnachgänger der Schiedsgerichtskommission für Außenhandel (VTAK, Vneschnetorgowaja Arbitrazhnaja Komissija), die 1932 durch die Industrie- und Handelskammer der UdSSR gegründet wurde.

Statistiken zeigen, dass interessanterweise die größte Ausländergruppe die Deutschen sind, die Schiedsverfahren vor dem MKAS dazu nutzen, um Streitigkeiten beizulegen. Nach der MKAS-Statistik für den Zeitraum 2014–2015 wiesen beispielweise die Schiedsverfahren unter Beteiligung deutscher Unternehmen 8 % (40 Fälle) der Gesamtanzahl internationaler Schiedsverfahren in Moskau (495 Sachen) auf. Stärker vertreten sind nur die Verfahren unter Beteiligung von Parteien aus Zypern (65 Sachen), Ukraine (63) und Weißrussland (53).

Am 11.01.2017 erließ das MKAS neue Schiedsordnungen, einschließlich der MKAS-Schiedsordnung für internationale Handelsstreitigkeiten (MKAS-Schiedsordnung; vgl. auf Englisch: https://mkas.tpprf.ru/en/documents/), die am 27.01.2017 in Kraft getreten ist.

Folgende Fragen werden in diesem Rechtstipp erörtert: 

  • die Erhebung einer Schiedsklage vor MKAS;
  • die Zahlung von Schiedsgebühren;
  • die Bildung des Schiedsgerichts;
  • die Ablehnung eines Schiedsrichters;
  • die Bestimmung der Verfahrensregeln;
  • die Fristen des Schiedsverfahrens; 
  • die Mehrheit von Forderungen und Schiedsparteien.

Die Erhebung einer Schiedsklage vor MKAS

Ein Schiedsverfahren vor dem MKAS beginnt mit:

  1. der Erhebung der schriftlichen Schiedsklage; und
  2. der Bezahlung einer formalen Registrierungsgebühr von USD 1.000.

Mit Eintritt der Schiedshängigkeit wird die Verjährung gehemmt.

Schiedsklagen müssen Pflichtangaben wie die Ansprüche des Klägers, die ihnen zugrunde liegenden Umstände, ihre rechtliche Begründung, den Streitwert usw. enthalten. Eine Erhebung der Schiedsklage per Mail ist unzulässig. Grundsätzlich zulässig ist die Erhebung einer Schiedsklage via Eilboten, Post bzw. Kurierdienst.

Prozessvollmachten und andere Anlagen sind in sechsfacher Ausfertigung (für die Schiedsakte, den Schiedsbeklagten, die drei Schiedsrichter und den evtl. beiwohnenden Schiedssekretär) der Schiedsklage beizufügen. Eventuelle Mängel der Schiedsklage sind innerhalb von 15 Tagen ab Erhalt einer Aufforderung von MKAS zu beheben.

Die Zahlung von Schiedsgebühren

Die Kosten des schiedsrichterlichen Verfahrens vor dem MKAS – eine Schiedsgebühr, die zur Zahlung der Schiedsrichterhonorare, der Bearbeitungsgebühren der MKAS-Geschäftsstelle und der Vergütungen der MKAS-Organmitglieder verwendet wird – sind auf Grundlage des Streitwerts berechnet.

Die Höhe der Schiedsgebühr variiert vor allem je nach dem Streitwert. Aus einem Streitwert von USD 50.000 bis zu USD 100.000 ergibt sich eine Verfahrensgebühr von USD 8.000 + 11 % des Streitwerts.

Die Bildung des Schiedsgerichts

Die MKAS-Schiedsordnung für internationale Handelsstreitigkeiten bestimmt als Regelfall ein Dreierschiedsgericht, es sei denn, dass der Gesamtstreitwert USD 50.000 nicht übersteigt (beschleunigtes Schiedsverfahren). Bei letzterem Fall wird nur ein Einzelschiedsrichter bestellt (30 % der Fälle).

Das Recht auf Ernennung eines Schiedsrichters ist innerhalb von 15 Tagen nach der Aufforderung der MKAS-Geschäftsstelle auszuüben.

In Anlehnung an den bekannten ICC-Fall Dutco Consortium Construction Company Ltd. v. BKMI Industrieanlagen GmbH and Siemens (Cour de cassation – 07.01.1992 – 1re chambre civile No. 89-18.708, No. 89-18.726, abrufbar bei dalloz.fr) sollten sich evtl. mehrere Verfahrensbeteiligte aufseiten des Schiedsklägers bzw. der Schiedsbeklagten jeweils auf einem Schiedsrichter zu einigen. Unterfällt eine Einigung, wird der Schiedsrichter durch den MKAS-Ernennungsausschuss bestellt, der u. a. auch einen Schiedsrichter für eine andere Partei bestellen darf.

Die Ablehnung eines Schiedsrichters, eines Schiedssekretärs und eines Sachverständigen

Schiedsrichter, Schiedssekretär, Sachverständiger und Dolmetscher haben unparteilich und unabhängig zu sein.

Jede Partei ist berechtigt, einen Schiedsrichter abzulehnen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit entstehen lassen, nicht entspricht.

Der schriftliche Ablehnungsantrag ist innerhalb von 15 Tagen zu stellen, nachdem die Partei von der Bildung des Schiedsgerichts oder von den die Ablehnung begründenden Umständen Kenntnis erlangt hat. Befangenheitsgründe, die in Ziff. 5 Geschäftsordnung über Unparteilichkeit und Unabhängigkeit von Schiedsrichtern, die in der Anlage zur Weisung des Präsidenten der IHK vom 30.09.2021 Nr. 110 bestätigt wurde („Unparteilichkeitsordnung“), aufgelistet sind, können grundsätzlich jederzeit vor Fällung eines Schiedsspruchs geltend gemacht werden. Zuständig für die Entscheidung über eine eventuelle Befangenheit ist der MKAS-Ernennungsausschuss.

Bei der Annahme des Schiedsrichteramtes unterzeichnet ein jeder Schiedsrichter eine Annahmeerklärung anhand eines Musterformulars, in welcher er bestätigt, dass er gemäß der Unparteilichkeitsordnung unparteilich und unabhängig ist. Dies gilt auch für einen Schiedssekretär. Obwohl die Regelungen der Unparteilichkeitsordnung als empfehlende Rechtsnormen (soft law) konzipiert sind, werden sie seit 8 Jahren in der MKAS-Praxis als eine verbindliche Referenzunterlage und somit als ein Bestandteil des vereinbarten Schiedsverfahrens angewandt. Als Modell für die Checkliste von Ablehnungsgründen dienten Guidelines on Conflicts of Interest in International Arbitration, die die International Bar Association erlassen hat.

Als Orientierungsstandard gilt die Unparteilichkeitsordnung auch hinsichtlich eines Sachverständigen, der ebenso neutral sein muss. Jede Partei darf einen befangenen gerichtlich bestellten Sachverständigen (tribunal appointed expert) ablehnen. Zuständig ist das Schiedsgericht. Gutachten von Parteisachverständigen (party appointed expert) kommen in der Praxis häufiger vor. Die Verwertung von offensichtlich befangenen Parteigutachten wird auf Rüge der anderen Partei gemäß den allgemeinen Grundsätzen über Beweiserhebung ausgeschlossen.

Bestimmung der Verfahrensregeln

Der vorsitzende Schiedsrichter kann in Einvernehmen mit anderen Schiedsrichtern und den Parteien einen Zeitplan für das Verfahren (procedural timetable) erstellen, in dem das Verfahren und Fristen zur Einreichung zusätzlicher schriftlicher Erklärungen durch die Parteien und von Beweisen bestimmt werden.

Die Fristen

Regelmäßig beträgt die Dauer eines Schiedsverfahrens ab der Bildung des Schiedsgerichts bis zur Fällung eines Schiedsspruchs 180 Tage.

In einem komplexen Schiedsverfahren kann der Erlass eines Schiedsspruchs aus unserer Praxis allerdings auch bis zu 9 Monate nach der mündlichen Verhandlung in Anspruch nehmen. Das beschleunigte Schiedsverfahren beschränkt die Verfahrensfrist bis auf 120 Tage.

Mehrheit von Forderungen und Schiedsparteien

Mit der Wahl einer neuen MKAS-Schiedsordnung vereinbaren die Parteien die Anwendung der Neuregelungen über Mehrvertragsverfahren, Mehrparteienverfahren (consolidation) und die Einbeziehung zusätzlicher Parteien und Dritter (joinder).

Beispielsweise können Forderungen, die sich aus mehreren Verträgen ergeben oder gegen mehrere Personen gerichtet sind, jetzt in einer Schiedsklage vor dem MKAS geltend gemacht werden, sofern die Schiedsvereinbarungen nach ihrem Inhalt miteinander vereinbar und materiellrechtlich verbunden sind.

Die Erfüllung dieser Voraussetzung ist nicht immer selbstverständlich, selbst wenn es sich um Verträge zwischen den gleichen Parteien handelt. In einem jüngst verhandelten Verfahren erhob ein Bauherr zwei Klageforderungen auf Einziehung von nicht verwerteten Vorauszahlungen aus einem Bauvertrag und einem Projektierungsvertrag. Gemäß der Schiedsklausel aus dem ersten Vertrag war der vorsitzende Schiedsrichter von den zwei Parteischiedsrichtern zu wählen, währenddessen im zweiten Vertag hierfür der MKAS-Ernennungsausschuss zuständig war. Bezugnehmend auf die Unvereinbarkeit der Schiedsklauseln schlug die MKAS-Geschäftsstelle dem Kläger vor, zwei getrennte Schiedsklagen einzureichen. Nachdem der Kläger zwei Schiedsklagen erhob, beantragte er die Verbindung der beiden Verfahren. Die MKAS kam dem Antrag nach.

Eine der ersten MKAS-Verfahrensverbindungen betraf ein großes Bauprojekt über eine Eisenbahnlinie in Afrika. Der internationale Subunternehmer wurde mit der Errichtung zweier unterschiedlicher Teile einer Eisenbahnlinie durch zwei Bauverträge beauftragt, in die jeweils eine wortgleiche MKAS-Schiedsklausel aufgenommen worden war. Sofort nach dem Eingang der Schiedsklage stellte der Subunternehmer einen Antrag auf Verbindung der zwei parallellaufenden Schiedsverfahren. Aufgrund der Rüge des klagenden Generalunternehmers lehnte der MKAS-Vorstand zunächst diesen Antrag jedoch ab. Erst nachdem der Subunternehmer die Widerklagen erhob und das Dreierschiedsgericht ernannt wurde, wurde der wiederholte Antrag auf die Verbindung bewilligt.

Fazit

Die Verabschiedung einer neuen MKAS-Schiedsordnung zeigt, dass das MKAS – wie vorher – international zur Beilegung von Streitigkeiten zur Verfügung steht. Die neue MKAS-Schiedsordnung setzt viele bewährte Regelungen der Praxis des besten internationalen Schiedsverfahrens um und wird somit den vielfältigen Bedürfnissen ihrer Nutzer gerecht. Es scheint somit absehbar, dass das MKAS auch in Zukunft die weitere Verbreitung und Förderung internationaler Schiedsverfahren in Russland antreiben wird.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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