Rechtsanwalt im Strafrecht? Konfliktverteidiger, Verurteilungsbegleiter oder Verfahrensstratege?

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Welchen Anwalt wähle ich, welche Kanzlei beauftrage ich mit meinem Fall? Was ist ein Strafverteidiger, wer ist ein Fachanwalt für Strafrecht? Dieser kurze Überblick soll etwas Licht ins das für viele, weil selten Anwaltsbedarf bestehend, dunkle Feld bringen.

1. Guter Rechtsanwalt, weil engagiert Anwalt? Guter Rechtsanwalt, weil erfahrener Anwalt?

Die Auswahl eines Rechtsanwalts, der meine Interessen oder die einer mir nahestehenden Person vertritt und dem Staat gegenüber wirksam und sinnvoll einsetzt, ist keine einfache Angelegenheit, muss gut durchdacht sein, es soll ja schließlich den maximalen Erfolg bringen.

Spätestens dann, wenn vom obigen Personenkreis jemand in Untersuchungshaft der örtlichen Justizvollzugsanstalt einsitzt, möchte man mit einem erfahrenen Strafverteidiger, nicht aber mit einem Berufsanfänger arbeiten oder einen Nebenher-Strafrechtsanwalt oder Feierabendverteidiger zur Vertretung des Beschuldigten mandatieren.

Um herauszufinden, wer auch noch nach Zeichnung von Vollmacht und Vergütungsvereinbarung per Schriftsatz die Mandanteninteressen gut kommuniziert und zudem im Verhandlungssaal durchdacht und engagiert verteidigt, sollten einige Qualitätsfilter bei der Auswahl getroffen werden:

Erfahrung

Verfahrensstratege wird man nicht automatisch nach Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Strategien im Strafprozess müssen jeweils einzelfallbasiert und mit dem Mandanten entwickelt werden, wobei der Stoff, aus dem ein strategischer Masterplan zu entwickeln ist, gespeist wird aus Prozesserfahrung ergänzt auch um etwas psychologisches Geschick für die Entwicklung des in Rede stehenden Verfahrens beim entsprechenden bestenfalls dem Anwalt bekannten Gericht.

Da aber jeder Fall einzigartig ist, Gerichte in ihrer Besetzung häufig variieren und das Kriminalgericht Berlin (bestehend aus dem Amtsgericht Tiergarten und dem Landgericht Berlin mit ca. 300 Richtern) das größte Strafgericht in Deutschland, mit der dort ansässigen größten Staatsanwaltschaft Europas ist, dauert es eine gewisse Zeit, bis sich Routine einstellt, sich Prozesssituationen wiederholen und noch auf die dreisteste Einschränkung von und Angriffe der Staatsanwaltschaft auf Verteidigung adäquat reagiert werden kann.

Engagement

Der Einsatz im jeweiligen Strafverfahren wird sichtbar durch das fallweise aufzubringende Arbeitspensum des Anwalts und seine persönliche Verfügbarkeit mittels (moderner) Kommunikationswege und freundlichem wie hilfsbereitem Sekretariat. Ferner:

  • Wie schnell und zuverlässig antwortet der Anwalt auf ein Anliegen des Mandanten? 
  • Erklärt er in einfacher Sprache den (juristisch oft komplexen) Vorgang und die nächsten Schritte? 
  • Macht er Hoffnung für einen positiven Ausgang des Verfahrens? Oder ist er eher skeptisch und realistisch?
  • Hat er einen Plan, wie es in der Haft für den Verurteilten weitergeht?
  • Ist er oder sie Fachanwalt für Strafrecht? Dann nämlich besteht eine gesetzliche für Mindestfortbildung pro Jahr (derzeit 15 Stunden). 
  • Kann man den Anwalt auch gleich mit für Freunde und Familie mandatieren?
  • Verfügt er zu Beginn eines (größeren) Strafverfahrens mit mehreren Beschuldigten / Angeklagten über ein gutes Netzwerk von Verteidigerkollegen zwecks Aufstellung einer Sockelverteidigung? 
  • Hat er auch Kontakte zu guten Anwaltskollegen aus den Rechtsgebieten im Sozialrecht und Mietrecht und Ausländerrecht (unerlässlich bei drohenden längeren Haftstrafen oder langer Untersuchungshaft)?

Engagement zeichnet sich auch durch persönliche Leidenschaft des Rechtsanwalts im Strafrecht selbst aus. Dazu zählt, ob der Anwalt sich exklusiv dem Strafrecht widmet (Strafverteidigung und Opfervertretung) oder doch eher als Generalist noch weitere Rechtsgebiete (allgemeines Zivilrecht, Arbeitsrecht, Mietrecht) sein Eigen nennt. 

Darüber hinaus dürfte die persönliche Hingabe eines Rechtsanwalts in Berlin zum Strafrecht indiziert sein durch wissenschaftliches Arbeiten: Viele Strafverteidiger folgen daher einem Ruf an der Hochschule und halten dort (nebenberufliche) Vorlesungen bei Studierenden, leiten Seminare und verfassen wissenschaftliche Beiträge.

Ferner sitzen einige Rechtsanwälte darüber hinaus noch Verbänden, Organisationen oder Vereinen vor oder sind derer Mitglieder, um sich geeint für ein gemeinsames Ziel einzusetzen und setzten dafür das Recht sinnvoll ein.

2. Welche Stellung hat der Anwalt im Strafrecht? Was darf er alles machen bzw. wo sind seine Grenzen?

Widmet man sich den Aufgaben des Strafverteidigers und seiner Stellung im Strafrecht sollte man ins Gesetz schauen:

Die StPO regelt im 11. Abschnitt „die Verteidigung“ und umschreibt in § 137 aaO „Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen“.

Dem Wortlaut der Gesetzesväter von 1871 folgend war der Verteidiger also erst mal „nur“ Beistand und hatte damit die Rolle, im (nun nicht mehr inquisitorischen) Verfahren dem Beschuldigten während des Strafprozesses (Ermittlungsverfahren, Hauptverfahren und Vollstreckungsverfahren) hinüber „bei Seite zu stehen“.

Im Zuge einiger Reformen wurden die Befugnisse der Verteidigung in der StPO erweitert.

Hinzu traten u. a. im Wege europäischer Vereinheitlichungen Grundsätze und Grundfreiheiten aus supranationalem Recht sowie vor allem die Geltendmachung von Europäischen Menschenrechten und Grundfreiheiten aus der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK), die in die bundesweiten Gerichtssälen Eingang fand.

Erhebliche Spannungen in der Bundesrepublik Deutschland führten zu Zeiten des deutschen Herbsts, losgelöst durch die Geburtsstunde der Roten Armee Fraktion (RAF) am 02. Juni 1967, wiederum zu krassen Einschränkungen von Verteidigung (Kontaktsperregesetz, Otto Schily-Beschlüsse).

In den Folgejahren, d. h. den 1970ern Jahren, führte v. a. der Stammheim-Prozess zur Geburtsstunde einer neuen Garde von Strafverteidigern. Erstmals machte der Begriff vom „Konfliktverteidiger“ die Runde. Hanack beschreibt diesen so:

„Dieser neue Verteidigertyp ist (…) das vielleicht interessanteste und wichtigste Phänomen in unserer Strafrechtspflege. (…) gemeint ist der Typ eines sehr engagierten und grundsätzlich seriösen, oft überraschend kundigen Verteidigers; aber eines Verteidigers, der die weiten und äußersten Möglichkeiten unserer Prozessordnung, anders als Generationen vor ihm, nicht nur ausnahmsweise ausnutzt; sondern der im Interesse seines Mandanten, auch wenn er ihn für schuldig hält (…) in alle gesetzlichen Freiräume vorstößt und dabei Verteidigungsstrategien entwickelt, die gerade auch auf die typischen Schwachpunkte unserer Justiz zielen. Es ist der Typ eines Verteidigers, der in der Regel formal durchaus korrekt verfährt, auch das Standesrecht beachtet, sich im Grunde aber dem traditionellen Ziel des Strafverfahrens nicht mehr verpflichtet fühlt oder mindestens doch die Bedeutung dieses Ziels im Spannungsverhältnis zu den Interessen seiner Mandanten kritischer gewichtet als früher; und der zudem unserer Strafjustiz mit oft geradezu abgrundtiefer Skepsis gegenübersteht.“

Dem noch anzumerken ist, dass der Begriff „Konfliktverteidiger“ für oben beschriebene Berufsausübung semantisch nicht passt. Denn bei wortlautgetreuer Anwendung steht jeder Angeklagte dem Staat gegenüber im Konflikt, eben weil er dem Verstoß einer Regel beschuldigt wird, die im Rahmen eines Erkenntnisverfahrens normativ mit Sanktion geahndet wird.

Die prozessuale Rolle seiner Verteidigung wird – gemessen eben an jener Definition- bei interessengeleiteter Vertretung des (angeklagten) Mandanten immer Konflikt bedeuten.

3. Ein Strafverteidiger begeht zulässig Strafvereitelung wie analog der Arzt Körperverletzung am Patienten begeht?

Es ist nicht abschließend geklärt, ob der Verteidiger mit seinem Handeln ausschließlich den Interessen seines Mandanten – und zwar nur diesen – gegenüber verpflichtet ist, oder ob er allein Organ der Rechtspflege ist und damit verpflichtet an der Justizförmigkeit mitzuwirken hat.

Für das Bundesverfassungsgericht ist der Verteidiger selbstständiges, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft gleich geordnetes Organ der Rechtspflege (BVerfGE 38,105,119= NJW 75, 103 mwN).

Nach Stimmen in der Literatur ist die Rechtspflege dem Rechtsanwalt in § 1 BRAO und damit nicht nur jedem Strafverteidiger verliehen (jeder Strafverteidiger muss zugleich zugelassener Rechtsanwalt sein).

Man spricht beim Rechtsanwalt auch vom „staatlich gebundenen Vertrauensberuf“.

Der BGH löst diese kontradiktorischen Rollen mit einer gemischten subjektiven/objektiven Theorie (BGH 29, 99, 106, StraFo 11, 92):

Demnach ist der Verteidiger auch (subjektive Theorie) Interessenvertreter und hat sich von Mandatsannahme bis zu dessen Beendigung hin seine Arbeit an den persönlichen Interessen des Mandanten zu orientieren:

Der Strafverteidiger, gleichgültig, ob der Beschuldigte ihn nach §§ 137, 138 gewählt hat oder ob er vom Gericht als Pflichtverteidiger bestellt worden ist (§§ 140-142), hat einen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, der nicht nur im Interesse des Beschuldigten, sondern auch in dem einer am Rechtsstaatsgedanken ausgerichteten Strafrechtspflege liegt. 

Für das innere „Täterwissen“ eines Rechtsanwalts für seinen Mandanten im Gerichtsprozess bedeutet dies etwa: Der Anwalt darf zwar nicht lügen, er muss aber auch nicht alles sagen, was er weiß (Belastungszeugen etc.).

4. Fazit 

Strafverteidiger ist ein Beruf, zu dem man wird und sich nicht aussucht. Insoweit dürfte die Bezeichnung Berufung hier passender sein als (9 bis 5-) Beruf.

Deren Aufgabe bringt viele „Überstunden“ und Einsätze im ganzen Bundesgebiet, auch zu Nachtzeiten, z. B. nach Festnahmen von Mandanten und Gespräche mit demselben in der Haft zwecks Vorbereitung einer richterlichen Vorführung.

Das Engagement für ein laufendes Mandat ist meist angetrieben durch ein innen tief verwurzeltes Gerechtigkeitsempfinden angereicht mit Schutz von Minderheiten und einer Schwäche für alles „Subkulturelle“, Streitbarkeit gegenüber allem, was autoritär daher kommt und die fest verwurzelte Überzeugung, Konflikte offen diskursiv zu führen und der Justiz grundsätzlich kritisch gegenüber zustehen.

RA D. Lehnert 


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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