Scheidung in Polen

  • 7 Minuten Lesezeit

In meiner anwaltlichen Praxis in Polen vertrete ich oft meine deutschsprachigen Mandanten bei Scheidungsverfahren vor polnischen Gerichten und bekomme auch viele Anfragen zum Scheidungsrecht in Polen. In erster Reihe empfiehlt es sich auf die Frage zu antworten, wann überhaupt die Scheidung in Polen möglich ist, wenn die Ehegatten aus verschiedenen Ländern der Europäischen Union stammen (in der Praxis meiner Kanzlei betreffen die Scheidungsverfahren meistens deutsch-polnische Ehepaare)?

Die Antwort auf diese Frage findet man im europäischen Recht, genauer gesagt in der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über  Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Laut Artikel 3 Abs. 1 der o. g. Verordnung – für Entscheidungen über die Ehescheidung sind polnische Gerichte dann zuständig, wenn:

  • beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Polen haben
  • die Ehegatten zuletzt beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Polen hatten, sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen hat
  • der beklagte Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen hat
  • im Fall eines gemeinsamen Antrags einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen hat
  • der Ehegatte, der die Scheidungsklage einreicht, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragstellung (Einreichung der Klageschrift) aufgehalten hat
  • der Antragsteller (der Ehegatte, der die Scheidungsklage einreicht) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen hat, wenn er sich dort seit mindestens sechs Monaten unmittelbar vor der Antragstellung (Einreichung der Klageschrift) aufgehalten hat und gleichzeitig polnischer Staatsangehöriger ist.

Es besteht auch die Möglichkeit, das Scheidungsverfahren vor polnischem Gericht durchzuführen, wenn beide Ehegatten polnische Staatsangehörigkeit besitzen, auch wenn sie in Polen nicht aufhalten oder nicht aufgehalten haben.  

Bei der Führung eines Scheidungsverfahrens in Polen (unabhängig davon, ob wir selbst den Scheidungsantrag stellen, oder auch ob dieser vom zweiten Ehegatten gestellt wurde) ist es empfehlenswert, sich mit den wichtigsten Vorschriften der polnischen Gesetze in diesem Bereich vertraut zu machen.

In welchen Fällen kann ein polnisches Gericht auf Scheidung erkennen? Nur dann, wenn es unter den Ehegatten zur völligen und dauerhaften Zerrüttung des ehelichen Zusammenlebens gekommen ist. Das ist eine zwingende Voraussetzung, derer Erfüllung durch das Gericht in jedem Scheidungsverfahren geprüft wird. Mit der völligen Ehezerrüttung haben wir in der Regel dann zu tun, wenn alle Bindungen, die die Ehegatten binden, sprich die geistigen, körperlichen sowie wirtschaftlichen, abgebrochen sind. In diesem Fall haben wir am häufigsten mit der Situation zu tun, wenn die Gefühle unter den Ehegatten erloschen sind, die Ehepartner nicht mehr miteinander geschlechtlich verkehren und führen tatsächlich zwei getrennte Haushalte, indem sie auch keine gemeinsamen Zukunftspläne haben. Die Dauerhaftigkeit der Ehezerrüttung tritt dann auf, wenn wir auf der Grundlage der Umstände jedes Falls annehmen können, dass das eheliche Zusammenleben nicht mehr wiederhergestellt werden kann. Aufgrund der obigen Voraussetzungen stellt das Gericht im Laufe des Gerichtsverfahrens jedem der Ehegatten die Frage nach derer gegenwärtigen Relationen und Gefühlen sowie den wirtschaftlichen Verhältnissen wie auch nach der Möglichkeit der Fortsetzung der Ehe in der Zukunft.

Besteht die Möglichkeit, dass trotz der Erfüllung der oben genannten Voraussetzungen das Gericht die Scheidung nicht erkennt?

Theoretisch gesehen besteht solche Möglichkeit. Nach dem polnischen Familien- und Vormundschaftsgesetzbuch wird das Gericht dann die Scheidung nicht erkennen, wenn infolge der Scheidung das Wohl der gemeinsamen minderjährigen Kinder beeinträchtigt ist oder wenn die Entscheidung auf Scheidung aus anderen Gründen gegen die Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens verstoßen würde. Solche Situationen treten jedoch in der Praxis äußerst selten auf.

Die Scheidungsformen im polnischen Recht

Das polnische Recht unterscheidet zwei Formen an Scheidungen: mit Schuldspruch und ohne Schuldspruch.

Die schnellste Art um geschieden zu werden, ist selbstverständlich die einvernehmliche Scheidung (ohne Schuldspruch). Eine Scheidung ohne Schuldspruch kann jedoch nur im Falle des einvernehmlichen Antrags beider Ehegatten erkannt werden. In solchem Fall prüft das Gericht nicht, welcher der Ehepartner und in wie weit er zu der Ehezerrüttung beigetragen hat. Das Gericht schränkt sich bei der Prüfung lediglich dazu, ob die zwingenden gesetzlichen Voraussetzungen für die Scheidung erfüllt sind (völlige und dauerhafte Zerrüttung des ehelichen Zusammenlebens) und wenn dies der Fall ist, dann wird die Scheidung ausgesprochen (in der Umgangssprache nennt man diese Scheidungsform „Scheidung im Einvernehmen der Parteien“).

Die Scheidung mit Schuldspruch (Schuld-Zuweisung) 

Im Falle, wenn zumindest ein der Ehegatten die Scheidung mit Schuldspruch fordert (oder der einvernehmlichen Scheidung nicht zuspricht), ist das Gericht verpflichtet, das Scheidungsverfahren durchzuführen, im Laufe dessen festgestellt wird, welcher der Ehegatten und in wie weit er der Ehezerrüttung beigetragen hat. Diese Art an Scheidungsverfahren dauert wesentlich länger und das Beweisverfahren ist stressiger für die Parteien. Indem das Gericht über das Scheitern der Ehe entscheidet, hat das Gericht folgende Möglichkeiten:

a) das Gericht erkennt, dass keiner der Ehegatten die Schuld für die Ehezerrüttung trägt,

b) das Gericht erkennt, dass einer der Ehegatten der Ehezerrüttung beigetragen hat,

c) das Gericht erkennt, dass beide Ehegatten Schuld für das Scheitern der Ehe haben.

Welche Bedeutung hat ein Schuldspruch? Sehr oft wünscht ein Ehegatte die Scheidung mit dem Schuldspruch aufgrund einer gewissen „moralischen Zufriedenheit“. Es legt nämlich den Wert darauf, dass das Gericht rechtmäßig bestätigt, dass der andere Ehegatte allein schuldig für das Scheitern der Ehe sei. Wenn es um den rechtlichen Aspekt geht, hat der Schuldspruch insbesondere die Bedeutung in Hinsicht auf die Möglichkeit der Geltendmachung nach der Scheidung des Unterhalts von dem anderen Ehegatten. Ein Ehegatte, der für den Alleinschuldigen der Ehezerrüttung anerkannt wurde, darf in der Zukunft von seinem ehemaligen unschuldigen Ehegatten keine Alimente geltend machen. Der unschuldige Ehegatte darf wiederum von dem schuldigen Ehegatten den Unterhalt fordern, wenn die Scheidung zur deutlichen Verschlechterung seiner materiellen Situation geführt hat.

Scheidungsverfahren vor dem polnischen Gericht

Die Scheidungsangelegenheiten werden in Polen durch die Landgerichte entschieden. In dem Antrag (in Polen: Klage) ist anzugeben, ob wir eine Scheidung mit dem Schuldspruch oder auch einvernehmliche Scheidung beantragen. Bei der Antragsstellung ist eine Gebühr in Höhe von 600 Zloty fällig. Das Gericht stellt dem anderen Ehegatten (dem Beklagten)  den Scheidungsantrag zu, der Ehegatte muss sich innerhalb der durch das Gericht festgesetzten Frist zu dem Scheidungsantrag äußern (bei Personen, die im Ausland leben, beträgt die Frist für die Klagerwiderung in der Regel einen Monat). Wie lange dauert das Scheidungsverfahren? Wie bereits oben erwähnt, hängt die Dauer des Verfahrens davon ab, ob die Parteien einvernehmlich die Scheidung beantragen oder ob das Gericht im Laufe des Verfahrens die Schuld an der Ehezerrüttung zu prüfen hat. Es ist zu unterstreichen, dass eine Scheidung ohne Schuldspruch, also die Scheidung auf einvernehmlichen Antrag beider Ehegatten, deutlich kürzer dauert. In diesem Fall kommt es zur Erkennung der Scheidung schon während der ersten Verhandlung (es sei denn, die Ehegatten haben minderjährige Kinder und es besteht der Streit in Bezug auf die elterliche Sorge und Kontakte mit den Kindern nach der Scheidung. Wesentlich länger dauert die Scheidung im Falle des Schuldspruchs an der Ehezerrüttung. So ein Verfahren kann sogar einige Jahre dauern. In diesem Fall hat das Gericht ein tiefgründiges Beweisverfahren durchzuführen, wobei es hervorzuheben ist, dass die Beweisinitiative vor allem bei den Parteien des Verfahrens liegt. Am öftesten werden zu der Sache die von Seiten genannten Zeugen gehört, nicht selten werden als Beweise auch die SMS- oder WhatsApp-Nachrichten, Gesprächsaufzeichnungen oder Videos verwendet. Darüber hinaus ist zu unterstreichen, dass das Gericht während des Verfahrens beide Ehegatten vernehmen muss (ausnahmsweise kann auf das Vernehmen eines Ehegatten verzichtet werden, insbesondere dann, wenn wir mit der einvernehmlichen Scheidung zu tun haben). Es besteht zudem die Möglichkeit der Vernehmung der Partei und der Zeugen auf dem Wege der Rechtshilfe vor dem zuständigen deutschen Gericht (oder dem Gericht in einem anderen Land). Während des Verfahrens vor dem Gericht der I. Instanz besteht auch die Möglichkeit der Änderung des Klagebegehrens (Antragsgegenstandes) – z. B. die Parteien beantragten erstens die Scheidung mit dem Schuldspruch, sie änderten allerdings im Laufe des Verfahrens ihre Meinungen und wollen nun einvernehmlich geschieden werden.

Gegen das Urteil des Landgerichts in einer Scheidungsangelegenheit steht die Berufung an das Berufungsgericht. Somit hat die Partei, die mit der Entscheidung unzufrieden ist (z. B. wenn sie für Alleinschuldigen der Ehezerrüttung anerkannt wurde) die Möglichkeit das Urteil vor dem Gericht der höheren Instanz anzufechten. Es ist zu unterstreichen, dass im Falle des Urteils des Berufungsgerichts in einer Scheidungsangelegenheit die Revision beim Obersten Gericht nicht mehr zusteht.

Was muss ich noch über ein Scheidungsverfahren in Polen wissen?

  • Wenn die Ehegatten gemeinsames minderjähriges Kind haben, das sich mit einem der Ehegatten in Polen aufhält, muss das Gericht, das über die Scheidung anerkennt, auch darüber entscheiden, welchem Elternteil das Sorgerecht nach der Scheidung zugesprochen wird. Das Scheidungsgericht entscheidet darüber hinaus auch über den Unterhalt für das Kind sowie über das Umgangsrecht für das andere Elternteil. Selbstverständlich können sich die scheidenden Ehegatten in dieser Hinsicht einigen und dem Gericht eine schriftliche Vereinbarung vorlegen, was die Dauer des Verfahrens deutlich verkürzen kann.
  • Das polnische Familienrecht kennt den Begriff „Versorgungsausgleich“ nicht, damit befassen sich die Gerichte im Scheidungsverfahren in Polen überhaupt nicht.

Meine Anwaltskanzlei spezialisiert sich auf das polnische Scheidungs - und Familienrecht. Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie mich gerne.  


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Anwalt (Adwokat) Krystian Castillo Morales

Beiträge zum Thema