Schutzschirm-Verfahren? Ich dachte, das gäbe es nur in Amerika

  • 6 Minuten Lesezeit

Anstieg der Insolvenzen erwartet

Auch ohne die Corona-Krise erwarteten Experten für das Jahr 2020 einen Anstieg der Insolvenzen. Angeblich starteten über 310.000 Unternehmen in Deutschland mit finanziellen Problemen in das Jahr 2020. Und dann erst kam Corona.

Inzwischen haben ca. 600.000 Firmen Kurzarbeit angezeigt. Diese Anzeigen sind 12 Monate gültig. Sie besagen nicht, dass Kurzarbeit in all diesen Unternehmen tatsächlich auch eingeführt wird; vor allem lassen sie noch lange nicht den Schluss zu, dass jedes dieser Unternehmen insolvenzgefährdet ist. Eine größere Welle an Insolvenzen wird aber dennoch befürchtet.

Aufräumen nach Selbstantrag

Zwar greift der Staat vielen Unternehmen unter die Arme und kommt ihnen auch insoweit entgegen, als die Pflicht, Insolvenzantrag im Falle der Zahlungsunfähigkeit zu stellen, befristet ausgesetzt ist. Dies gilt aber nur für Firmen, die ausschließlich wegen der Epidemie und ihrer Folgen in Schieflage geraten sind.

Auch halten sich die Finanzämter und Krankenkassen, also die Institutionen, die am häufigsten einen Insolvenzantrag stellen, derzeit noch zurück.

Andere Gläubiger müssen sich dem aber nicht anschließen; auch kann diese Situation für so manchen Arbeitgeber eine gute Gelegenheit sein, im Wege einer selbst beantragten Insolvenz ein wenig aufzuräumen.

Begriff Schutzschirmverfahren

Viele, vor allem große Unternehmen beantragen derzeit ein sog. „Schutzschirmverfahren“. Doch was ist das?

Unsere Insolvenzordnung kennt diesen Begriff gar nicht. Er ist dem amerikanischen Recht entlehnt. Er bezeichnet bei uns eine besondere Form der Sanierungsbemühung, die in § 270b InsO geregelt ist und die es erst seit 2012 gibt. In der Krise 2008 kam man zu der vermeintlichen Erkenntnis, dass Sanierungsbemühungen angeblich erfolgreicher sind, wenn der Unternehmer selbst wesentlich daran mitwirkt.

Der Schutzschirm ist ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung

Grundsätzlich handelt es sich um ein normales Insolvenzverfahren. Jedoch stellt hier der Unternehmer den Insolvenzantrag; zugleich beantragt er, das Unternehmen selbst zu verwalten, sog. Eigenverwaltung. 

Stellt das Insolvenzgericht fest, dass eine Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist, wird das Unternehmen aufgefordert, spätestens innerhalb von drei Monaten einen sog. Insolvenzplan vorzulegen, den das Insolvenzgericht genehmigen muss. Zugleich bestellt es einen externen Sachwalter, der die Aufsicht über das Verfahren führt und in bestimmten Fällen ein Vetorecht besitzt, §§ 274, 275 InsO. Das Unternehmen hat bei der Benennung des Sachwalters einen gewissen Einfluss.

Somit kann der eigenverwaltende Unternehmer weiterhin relativ frei schalten und walten, zumal das Insolvenzgericht dem Unternehmer kein Verbot auferlegen soll, den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb fortzuführen.

Zudem bedarf es keiner Zahlungsunfähigkeit, um den Antrag zu stellen, sondern lediglich einer „drohenden“ Zahlungsunfähigkeit, die von einem Wirtschaftsprüfer o.ä. zu bescheinigen ist.

Hier merkt man schon, dass dieses Instrument gewisse Spielräume bietet und geeignet ist, wilde Träume von gerichtsfesten Massenentlassungen zu wecken.

Schließlich ist auf Antrag des Unternehmens ein Vollstreckungsstopp anzuordnen. Wer einen vollstreckbaren Titel hat, bekommt erst einmal nichts und bleibt am Ende meist auf einem Großteil seiner Forderung sitzen.

Insolvenzplan und Gläubigergruppen als Herzstück 

Herzstück der Sanierungsbemühungen ist der Insolvenzplan, den der Unternehmer aufstellt.

Der (Gesamt-)Betriebsrat ist zwingend zu beteiligen, er hat alle Rechte nach § 80 Abs. 2, 3 BetrVG.

Der Insolvenzplan ist in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil gegliedert.

Der darstellende Teil enthält eine wirtschaftliche Analyse der Situation und die daraus für die Zukunft gezogenen Folgerungen sowie eine wirtschaftliche Prognose. Anzugeben ist auch der Stand der Verhandlungen mit dem Betriebsrat. 

Der gestaltende Teil enthält die sich aus dem wirtschaftlichen Konzept ergebenden Maßnahmen und rechtlichen Gestaltungen. Natürlich wird hier von den Arbeitnehmern das übliche finanzielle Entgegenkommen erwartet. 

Die Gläubiger werden dabei je nach Rechtsstellung in verschiedene Gruppen eingeteilt. Der BR muss sich dafür einsetzen, dass die Arbeitnehmer eine eigene Gruppe bilden, auch weil über den Plan nach Gruppen abgestimmt wird. 

Wenn auch der Unternehmer den Plan genehmigt hat, wird er dem Insolvenzgericht zur Bestätigung vorgelegt. 

Arbeitsrechtliche Folgen

Welches sind die arbeitsrechtlichen Folgen der Eröffnung? Alle Arbeitsverträge gelten zunächst einmal weiter. Die Insolvenzeröffnung an sich ist kein Kündigungsgrund.

Der Unternehmer kann sogar neue Leute einstellen, es sei denn, das Insolvenzgericht hat hier eine Beschränkung angeordnet. Will der Arbeitgeber in diesem Fall trotzdem neue (günstigere) Leute einstellen, ist dies gesetzwidrig, sodass dem Betriebsrat ein Zustimmungsverweigerungsrecht zusteht, § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG; vor allem sollte der BR bei Einstellungen immer auch an Nr. 3 denken, falls zugleich Kündigungen im Raum stehen.

Natürlich kann die Insolvenz nun zur Grundlage einer Reihe von unternehmerischen Entscheidungen gemacht werden (Teilstilllegung, Verlagerung usw.), die Beendigungsmöglichkeiten eröffnen: von der betriebsbedingten Kündigung bis hin zu dreiseitigen Aufhebungsverträgen mit Übertritt in eine sog. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft, mit denen sich der Unternehmer von den Personalkosten für die Dauer der ansonsten einzuhaltenden Kündigungsfristen befreit (wobei man sich von dem Begriff nicht täuschen lassen sollte, denn in 0,0 % dieser Gesellschaften wird beschäftigt und allenfalls in 5 % aller Gesellschaften qualifiziert – es sei denn man nennt auch ein zweistündiges auf Realschulabgänger zugeschnittenes Bewerbungstraining Qualifizierung).

Des Weiteren ist das gesamte Insolvenzarbeitsrecht in Bezug genommen. Es gelten folglich alle Einschränkungen der Arbeitnehmerrechte wie sie auch sonst im Insolvenzverfahren gelten, zum Beispiel Freistellungsmöglichkeiten, verkürzte Kündigungsfristen (höchstens drei Monate) und vor allem Möglichkeiten zum Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste (sog. Todesliste) und einem gedeckelten Sozialplan, auch sind Betriebsvereinbarungen leichter kündbar.

Was gilt es also zu tun? Wichtig ist vor allem, nicht vorschnell ohne Beratung irgendetwas zu unterschreiben. Dies gilt für den Betriebsrat genauso.

Ansprüche der Mitarbeiter – Vorsicht Anfechtung

Die Ansprüche der Mitarbeiter sind ebenfalls die gleichen wie im normalen Verfahren. Für die rückständigen Löhne der letzten drei Monate tritt die Agentur für Arbeit ein und zahlt diese zu 100 % als Insolvenzgeld aus. Der Antrag auf Insolvenzgeld ist fristgebunden! Die Frist ist sehr kurz: 2 Monate ab dem sog. Insolvenzereignis (= Eröffnung des Verfahrens). Der Antrag ist bei der Agentur zu stellen, in deren Bezirk der Arbeitgeber seinen Sitz hat, nicht dort, wo man wohnt.

Alles andere, was länger zurückliegt, oder was nicht vom Insolvenzgeld umfasst ist, wie z. B. Abfindungen aus Vergleichen, die man vorher geschlossen hat, oder Urlaubsabgeltung muss zur sog. Insolvenztabelle angemeldet werden.

Aus Titeln (Urteil/Vergleich wegen Zahlung von rückständigem Lohn) kann ggf. nicht mehr vollstreckt werden und – noch schlimmer – aus vollstreckten Titeln erhaltene Gelder müssen eventuell zuzüglich Zinsen und inklusive Vollstreckungskosten zurückgezahlt werden, je nachdem, wann man das Geld erhalten hat und wie viel man über die Finanzlage wusste. Diese sog. Anfechtungsrechte nimmt in der Eigenverwaltung der Sachwalter wahr. 

Die Gesellschafter des Unternehmens sind je nachdem in der Lage, sich das Anfechtungsrecht durch freiwillige Sanierungsbeiträge vom Sachwalter abkaufen zu lassen – so etwas wird dann im Insolvenzplan geregelt. Arbeitnehmer haben hier kaum Möglichkeiten. Das Angebot, dafür nach der Eröffnung brav weiterzuarbeiten und ansonsten ein Zurückbehaltungsrecht auszuüben, ist uninteressant; denn aufgrund von offenen Forderungen, die vor Eröffnung begründet worden sind, darf die Arbeit nach Eröffnung nicht zurückgehalten werden; wer das tut, riskiert die fristlose Kündigung. Ausgeschiedene Mitarbeiter haben erst recht kein Druckmittel.

Arbeitslosengeld bei Freistellung

Ab dem ersten Tag, an dem keine Arbeit mehr geleistet wird, z. B. weil man freigestellt ist, ist der Mitarbeiter arbeitslos im Sinne des Arbeitslosenrechts SGB III.

Man hat dann Anspruch auf Arbeitslosengeld, sobald man sich persönlich beim Arbeitsamt arbeitssuchend meldet und die Leistung beantragt.

Oft fragen Mitarbeiter der Agentur für Arbeit nach einer Kündigung. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist. Arbeitslosengeld bekommt man auch, wenn das Arbeitsverhältnis noch besteht. Arbeitslos ist bereits, wer nicht beschäftigt wird.

Selbst kündigen? In eine BQG wechseln?

Ob es richtig ist, wenn man in dieser Situation selbst kündigt, hängt davon ab, welche Zukunft das Unternehmen hat und wie viele Monatsgehälter rückständig sind.

Ein Wechsel in eine BQG wirft nochmal Fragen ganz eigener Art auf, deren Beantwortung davon abhängt, in welcher Lebenssituation man sich befindet, was angeboten wird und welche Chancen man auf dem Arbeitsmarkt hat; oft wird ganz erheblicher Zeitdruck aufgebaut, der verstärkt wird durch zusätzliche Belohnungen für Schnellunterschreiber. Meist muss man hier viel rechnen, und stellt trotzdem frustriert fest, dass viele Faktoren unbekannt sind und bleiben und nur noch eine Glaskugel helfen kann. 

Was für den Einzelnen jeweils herauszuholen ist, kann man nicht pauschal vorhersagen. Es kommt auf die Umstände jedes Einzelfalls an. Hier ist in aller Regel kurzfristige anwaltliche Beratung angezeigt.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Oliver Derkorn

Beiträge zum Thema