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Urteil des EuGH ermöglicht Widerruf millionenfacher Darlehensverträge und Leasingverträge

  • 4 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion
  • Darlehen für private Zwecke, insbesondere für eine Immobilie oder ein Auto, lassen sich in vielen Fällen vorzeitig beenden.
  • Grund dafür ist ein verbraucherfreundliches Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
  • Aufgrund der millionenfach verwendeten fehlerhaften Formulierung sollen Darlehenssummen von insgesamt bis zu 1,2 Billionen Euro betroffen sein.
  • Verbraucher sollten insbesondere prüfen, ob die Widerrufsbelehrung in ihrem Darlehensvertrag auf Paragrafen verweist.
  • Betroffen sein können auch in Verbindung mit einem Darlehen geschlossene Kaufverträge und Leasingverträge.

Die Zinsen für Kredite sind extrem niedrig, insbesondere für Immobilienkredite. Davon würden viele Darlehensnehmer gerne profitieren, die noch an vor der Niedrigzinsphase geschlossene Darlehensverträge gebunden sind. Von diesen teuren Altverträgen und anderen Verbraucherdarlehensverträgen können sie sich voraussichtlich nun leichter lösen. 

Der sogenannte Widerrufsjoker ist wieder da!

Der Grund ist ein weitreichendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Es ermöglicht den Widerruf und damit das vorzeitige Beenden vieler Verträge, die nach dem Juni 2010 geschlossen wurden. 

Vertrag erst nach fast vier Jahren widerrufen

Das Urteil hat ein Mann erstritten, der sich von seinem 2012 geschlossenen Immobiliendarlehensvertrag lösen wollte. Ende Januar 2016 hatte er dazu den Widerruf erklärt, mit der Begründung, die Widerrufsbelehrung sei fehlerhaft. Deshalb sei die 14-tägige Widerrufsfrist noch nicht abgelaufen und ein Widerruf immer noch möglich. Gegen sofortige Zahlung der noch zu tilgenden Darlehenssumme von rund 66.000 Euro verlangte er die Rückabwicklung des Vertrags. Zu dieser gehört auch die Rückzahlung bereits gezahlter Zinsen - bei einer Darlehenssumme von 100.000 Euro und einem Zinssatz von 3,61 Prozent kein kleiner Betrag.

Die Darlehensgeberin, eine Sparkasse, hielt den Widerruf jedoch für unwirksam. Insbesondere sei die Widerrufsfrist von 14 Tagen bei dem 2012 abgeschlossenen Vertrag im Jahr 2016 längst abgelaufen.

Der Fall landete beim Landgericht Saarbrücken. Das hatte wesentliche Zweifel, wie das der Widerrufsmöglichkeit zugrundeliegende EU-Recht zu verstehen sei. Davon hing seine Entscheidung ab. Das Landgericht bat deshalb - wie gesetzlich vorgesehen - den Europäischen Gerichtshof um Klärung (Urteil v. 17.01.2019 - 1 O 164/18).

Klare und prägnante Information über Widerrufsmöglichkeit

Die Widerrufsbelehrung im Immobiliendarlehensvertrag des Klägers enthielt folgende Formulierung:

„Widerrufsrecht

Der Darlehnsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. ...“

Diese Formulierung ist unzureichend, entschied der Europäische Gerichtshof. Grundlage ist die EU-Richtlinie 2008/48, die das Widerrufsrecht regelt. Danach muss der Verbraucherkreditvertrag in klarer, prägnanter Form:

  • über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts informieren.
  • die Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts und die Bedingungen für ihre Berechnung nennen.
  • andere Bedingungen für die Ausübung des Widerrufsrechts angeben.

Diese klare Information ist von grundlegender Bedeutung für den Verbraucherschutz. Da es sich um Mustertexte handelt, ist die Formulierung sehr wahrscheinlich in Millionen Verträgen enthalten.

Verweise auf Paragrafen im Vertrag ungenügend

Die genannte Widerrufsbelehrung verweist schließlich auf § 492 Abs. 2 BGB. Dieser Paragraf verweist wiederum auf Art. 247 §§ 6 bis 13 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB), der wiederum auf Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verweist - diese Verweise sind vergleichbar mit einem Wasserfall. Juristen sprechen deshalb von einer Kaskadenverweisung. Die notwendige klare, prägnante Form erfüllt das nicht.

Laien können bei bloßen Verweisen generell nicht bestimmen, wozu sie vertraglich verpflichtet sind. Und sie können nicht überprüfen, ob der Vertrag alle nach dem Gesetz erforderlichen Angaben enthält.

Insbesondere können sie nur schwer für sie entscheidende Fragen beantworten, wie:

  • Wann läuft die genannte Frist von 14 Tagen, in der ich den Vertrag widerrufen kann?
  • Habe ich überhaupt ein Widerrufsrecht? Denn wer dem Verweis folgt und die weiteren Paragrafen liest, dem erscheint ein Widerrufsrecht plötzlich nicht mehr so sicher.

Diesen Aufwand müssen Verbraucherdarlehensnehmer nicht hinnehmen. 

Kreditgeber müssen stattdessen dafür sorgen, dass der von ihnen verwendete Vertrag so klar formuliert ist, dass Verbraucher ihre Rechte kennen und gut verstehen - darunter insbesondere ihr Widerrufsrecht. Das Landgericht Saarbrücken wird aller Voraussicht nach den Widerruf für wirksam erklären.

Widerrufsjoker erlebt durch das EuGH-Urteil seine Wiederauferstehung

Denn der EuGH entkräftet mit seinem Urteil zugleich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dieser hatte im November 2016 entschieden, dass die Wendung in einem Verbraucherdarlehensvertrag, die Widerrufsfrist beginne nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat,  klar und verständlich über den Beginn der Widerrufsfrist informiere (Urteil v. 22.11.2016, Az.: XI ZR 434/15). Der damit weitgehend für tot erklärte 

Verbraucher sollten Darlehens- und Leasingverträge überprüfen

Als Verbraucher gilt jeder Mensch bei Verträgen, die weder seiner gewerblichen noch seiner selbständigen beruflichen Tätigkeit dienen.

Haben Sie einen entsprechenden Immobiliardarlehensvertrag oder einen anderen Darlehensvertrag ohne in Verbindung mit einem Kaufvertrag bzw. Leasingvertrag abgeschlossen, sollten sie die Formulierung der Widerrufserklärung am besten von einem Rechtsanwalt überprüfen lassen.

Leasingverträge können betroffen sein, wenn es sich um gerade beim Fahrzeugleasing oft verwendete Finanzierungsleasingverträge handelt. Es besteht eine Verbindung mit den für Verbraucherdarlehen geltenden Regeln, wenn der Finanzierungsleasingvertrag als entgeltliche Finanzierungshilfe einzustufen ist. Die Voraussetzungen dafür regelt § 506 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch.

Die vom EuGH deutlich gemachten Anforderungen gelten auf jeden Fall für reine private Fahrzeugfinanzierungen, die ebenfalls insbesondere Autobanken anbieten.

Im Erfolgsfall erhalten Darlehensnehmer ihre gezahlten Zinsen bzw. Leasingraten sowie eventuell geleistete Gebühren und Anzahlungen zurück. Wer sein Fahrzeug solange nutzen konnte, muss sich möglicherweise eine Nutzungsentschädigung dafür entgegenhalten lassen. Vorfälligkeitsentschädigungen wegen vorzeitiger Vertragsbeendigung entfallen jedoch.

Gerade bei Immobiliendarlehen lohnt sich ein Widerruf. Entweder kann die Finanzierung mit einem Darlehen zu den inzwischen niedrigeren Zinsen fortgeführt werden. Oder der Darlehensvertrag lässt sich bei entsprechenden eigenen finanziellen Mitteln ohne Vorfälligkeitsentschädigung beenden. Auch bereits beendete Verträge lassen sich noch widerrufen und so eine eventuell geleistete Vorfälligkeitsentschädigung mit Hilfe des Widerrufjokers zurückverlangen.

(EuGH, Urteil v. 26.03.2020, Az.: C-66/19)

(GUE)

Foto(s): ©Shutterstock.com

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