Zur Herausgabepflicht der anwaltlichen Handakte

  • 7 Minuten Lesezeit

Es gibt unterschiedliche Gründe, weshalb ein Mandant ein Interesse daran haben kann, dass er die anwaltliche Handakte erhält. Dass er hierzu grundsätzlich auch das Recht hat, ergibt sich aus der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und der einschlägigen Rechtsprechung.

Dabei ist es unerheblich, ob der Mandant die Handakte benötigt, weil er einen anderen Anwalt beauftragen möchte, weil er den Verlauf des Mandates noch einmal nachvollziehen möchte oder andere Gründe hat; der Mandant ist auch nicht verpflichtet, einen bestimmten Grund zu benennen.

Der Bundesgerichtshof hat zu diesem Thema noch einmal ausdrücklich bestätigt: Dem Rechtsanwalt obliegt eine Berufspflicht zur Herausgabe der Handakte. Dies folgte nach der Entscheidung des Gerichts aus dem Jahr 2014 zwar nicht ausdrücklich aus § 50 BRAO, aber aus der Auslegung dieser Norm sowie aus den Vorschriften der §§ 43 BRAO und 675, 667 BGB. Die Regelung des Zurückbehaltungsrechts in § 50 Abs. 3 BRAO mache nur dann Sinn, wenn dem Rechtsanwalt auch eine Pflicht zur Herausgabe der Handakte obliegt.

Der Gesetzgeber hat inzwischen reagiert und in § 50 Abs. 2 S. 1 BRAO normiert, dass der Rechtsanwalt Dokumente, die er aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, auf Verlangen des Auftraggebers herauszugeben hat. Damit ist nun klargestellt, dass dem Mandanten ein -notfalls zivilgerichtlich durchsetzbarer- Anspruch auf Herausgabe solcher Dokumente zusteht.

Was folgt hieraus für die Praxis? Was muss der Mandant wissen?

Der Mandant hat einen Anspruch auf Herausgabe (nicht Übersendung) der Handakte des Rechtsanwalts. Der Rechtsanwalt darf die Herausgabe der Handakte aber verweigern, wenn noch offene Gebühren vom Mandanten zu bezahlen sind. Dabei darf der Rechtsanwalt dieses Zurückbehaltungsrecht aber nicht missbräuchlich einsetzen. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der noch offene Betrag derart gering ist, dass er zu dem berechtigten Interesse des Mandanten in auffällig krassem Missverhältnis steht – wenn etwa der Mandant die Unterlagen aus der Handakte dringend benötigt und ihm bei nicht umgehender Herausgabe großer Schaden droht. Ein weiterer Fall der missbräuchlichen Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts wäre es, wenn der Rechtsanwalt noch überhaupt keine Rechnung an den Mandanten versandt hat, was bemerkenswert häufig in solchen Konstellationen zu verzeichnen ist. Denn ein Zurückbehaltungsrecht kann dann nicht bestehen, weil die anwaltliche Vergütungsforderung ohne eine Rechnung noch überhaupt nicht fällig ist.

Gilt das auch bei einer elektronischen Aktenführung?  

Ja. Die Vorschriften aus § 50 BRAO gelten auch dann entsprechend, wenn sich der Rechtsanwalt zum Führen von Handakten oder zur Verwahrung von Dokumenten der elektronischen Datenverarbeitung bedient.

Was ist mit der Aufbewahrungspflicht?

Richtig ist, dass der Rechtsanwalt gemäß § 50 Abs. 1 S. 2 BRAO eine Aufbewahrungspflicht hat, die übrigens sechs Jahre beträgt und mit Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Auftrag beendet wurde.

Eine solche Aufbewahrungspflicht stellt jedoch kein Zurückbehaltungsrecht dar; der Anwalt kann die Herausgabe also nicht mit der Begründung verweigern, dass ihn eine Aufbewahrungspflicht treffe.

Verjährt der Herausgabeanspruch?

Auch der Herausgabeanspruch unterliegt der Verjährung. Hierzu hat sich der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung IX ZR 243/19 befasst und ausgeführt, dass die berufsrechtliche Aufbewahrungspflicht daran nichts ändert und der Herausgabeanspruch der dreijährigen Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB unterliegt. Der Anspruch auf Herausgabe der Handakte wird spätestens mit Beendigung des Mandatsverhältnisses fällig.

Was ist Bestandteil der Handakte? Was ist überhaupt herauszugeben?

In der Praxis besteht häufig Streit darüber, was nun eigentlich Bestandteil der Handakte ist und welche Unterlagen herauszugeben sind.

Die Handakte soll alle Unterlagen enthalten, die der Rechtsanwalt im Zusammenhang mit der Mandatsbearbeitung gefertigt und vom Mandanten oder Dritten (Gegner, Gerichte, Behörden etc.) entgegengenommen hat. Gemeint sind damit aber nur solche Dokumente, die geeignet sind, die anwaltliche Betätigung widerzuspiegeln. Alle Schriftstücke, die der Rechtsanwalt von seinem Mandanten erhalten hat, wie Verträge, Belege, Urkunden, Klageschriften pp., gehören in die Handakte. Aber auch Schriftstücke, die der Rechtsanwalt für seinen Mandanten von anderen erhalten hat, wie Schriftsätze eines eventuellen Gegners, Schriftsätze und Entscheidungen der Gerichte, der Staatsanwaltschaft und von Behörden, Gutachten usw, sind Bestandteile der Handakten; kurz gesagt alles, was bei der Mandatsbearbeitung anfällt, also auch Vermerke und Notizen des Anwalts, soweit es sich nicht um bloße Schriftsatzentwürfe, „Schmierzettel“ etc. handelt. 

Selbstverständlich gehört zu den Handakten im Rechtssinne auch der gesamte Schriftwechsel zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber und die Schriftstücke, die der Mandant bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat. Nur besteht insoweit kein Herausgabeanspruch des Mandanten. Denn § 50 Abs. 2 S. 4 BRAO bestimmt, dass der Rechtsanwalt die Korrespondenz zwischen ihm und dem Mandanten und auch solche Unterlagen, die der Mandant bereits zuvor in Abschrift oder im Original erhalten hat, nicht (erneut) herausgeben muss. Denn wenn dies zuvor schon - beispielsweise per Email- geschehen ist, wurde der Herausgabeanspruch bereits erfüllt.

Woher weiß der Mandant, ob die Unterlagen vollständig sind?

Hier stellt sich häufig die Frage, woher der Mandant wissen soll, ob er denn tatsächlich bereits alle Unterlagen erhalten hat. Häufig wenden sich Mandanten an uns, die gerade vermuten, nicht vollständig durch ihren bisherigen Rechtsanwalt informiert worden zu sein. Sie meinen, dass ihnen wahrscheinlich Unterlagen fehlen, können dies aber naturgemäß nicht substantiieren, wohingegen der Rechtsanwalt sich pauschal damit verteidigt, der Mandant hätte doch bereits "alles" erhalten. 

Hier hilft jedoch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Hiernach gilt: Verweigert der Anwalt dem Mandanten vertragswidrig die Rückgabe erhaltener Unterlagen und erschwert er ihm dadurch die Darlegung, infolge dieser Vertragsverletzung einen Schaden erlitten zu haben, kann dies nach den Umständen dazu führen, dass an die Substantiierung des Klagevortrags in diesem Punkt geringere Anforderungen als im Regelfall zu stellen sind. Gelingt dem Mandanten in einem solchen Fall trotz eines den Umständen nach ausreichenden Sachvortrags der von ihm gemäß § 287 ZPO zu führende Beweis nicht und beruht dies möglicherweise darauf, dass ihm die vom Rechtsanwalt vorenthaltenen Unterlagen fehlen, geht die Unmöglichkeit der Tatsachenaufklärung zu Lasten des Anwalts. Mit dieser Rechtsprechung im Hintergrund lassen sich daher solche Herausgabeansprüche in der Regel auch dann durchsetzen, wenn der Mandant nicht genau benennen kann, was denn konkret für Dokumente herauszugeben sind.

Muss der Anwalt die Akte versenden?

Aus der Herausgabepflicht folgt jedoch keine Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Versendung der Dokumente auf eigenes Risiko und eigene Kosten, weder an den Mandanten noch an den von diesem beauftragten Rechtsanwalt. Nach § 269 BGB sind Ansprüche des Mandanten aus dem Anwaltsvertrag am Ort der Kanzlei des Rechtsanwalts als Leistungsort zu erfüllen. Der Rechtsanwalt ist deshalb lediglich verpflichtet, die Korrespondenz in der Akte und die Unterlagen des Mandanten in seiner Kanzlei auf Verlangen auszuhändigen. Der Mandant darf sich hierbei aber vertreten lassen oder einen Boten schicken.

Hervorzuheben ist noch, dass die Herausgabepflicht des Rechtsanwalts weder aufgrund seiner Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses entfällt, noch entfällt sie, weil der Rechtsanwalt durch die Offenlegung seiner Akten der Gefahr ausgesetzt würde, sich selbst einer strafbaren Handlung bezichtigen zu müssen.

Wozu wird die Handakte benötigt?

Relevant ist vor allem der Fall, dass der Rechtsanwalt Originalunterlagen und wichtige Urkunden zu Mandatsbeginn vom Mandanten erhalten hat und diese nunmehr vom Mandanten benötigt werden. Weiter benötigt der neue Rechtsanwalt im Falle eines Anwaltswechsels natürlich die bisherigen Unterlagen.

Es kann auch sein, dass der Mandant beabsichtigt, Schadensersatzansprüche gegen seinen Rechtsanwalt geltend zu machen. Hierfür ist es mitunter erforderlich, dass der Mandant ein möglichst vollständiges Bild von der Mandatsbearbeitung des Rechtsanwaltes erhält. Nicht selten ist es genau der Grund für das Zerwürfnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt, dass sich der Mandant nicht rechtzeitig und umfassend informiert fühlt und der Rechtsanwalt Unterlagen nicht an den Mandanten weitergeleitet hat, obwohl ihn auch für diese Weiterleitung eine anwaltliche Berufspflicht aus § 11 Abs. 1 S. 1 BORA trifft. Außerdem kann es sein, dass die vom Rechtsanwalt herausgegebene Handakte Vermerke, Hinweise und Notizen enthält, aus denen sich Rückschlüsse auf seine Pflichtverletzungen aus dem Mandatsverhältnis ziehen lassen oder solche Pflichtverletzungen sogar dokumentieren. Beabsichtigt der Mandant also, Schadensersatzansprüche gegen seinen Rechtsanwalt prüfen zu lassen, weil er mit dessen Arbeit nicht einverstanden ist, sollte er zunächst die Handakte heraus verlangen.

Was passiert, wenn der Anwalt sich zu Unrecht weigert, die Handakte herauszugeben?

Liegt kein Zurückbehaltungsrecht vor und verweigert der Rechtsanwalt trotzdem die Herausgabe, begeht er in der Regel einen berufsrechtlichen Pflichtenverstoß. Unabhängig davon, dass der Herausgabeanspruch auch zivilrechtlich eingeklagt werden kann, steht es dem Mandanten frei, sich bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu beschweren. Zur Ahndung von berufsrechtlichen Verstößen ist die Rechtsanwaltskammer des betreffenden Bundeslandes oder die Anwaltsgerichtsbarkeit berufen.

Wenn wir Ihnen weiterhelfen können, kontaktieren Sie uns gern und beschreiben Sie Ihren Fall.

Foto(s): SSW Rechtsanwälte

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Henning Schaum

Beiträge zum Thema