Änderungen im Nachweisgesetz - Was Arbeitnehmer*innen jetzt wissen müssen!

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Am 01.08.2022 sind auf Grundlage der Arbeitsbedingungen-Richtlinie der Europäischen Union Neuerungen im Nachweisgesetz (NachwG) und weiteren Gesetzen in Kraft treten. Dieser Beitrag informiert über die wichtigsten Neuerungen aus dem Blickwinkel von Arbeitnehmer*innen.


1. Das Nachweisgesetz und die Neuerungen


Das Nachweisgesetz gehört primär zum Individualarbeitsrecht, also dem Teil des Arbeitsrechts, der die Beziehungen zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgebern regelt. Es verpflichtet den Arbeitgeber, die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich festzuhalten. Das bedeutet nicht, dass mündliche Arbeitsverträge unwirksam wären. Aber das NachwG gibt Arbeitnehmer*innen das Recht auf eine schriftliche Auskunft über die Arbeitsbedingungen. Im Blick hatte der EU-Gesetzgeber, der hinter dem Nachweisgesetz steht, vor allem ausländische Arbeitnehmer*innen in Branchen ohne Tarifvertrag.


§ 2 NachwG

Nachweispflichten gemäß alter Fassung

Neuerungen

  • Name und Anschrift der Vertragsparteien
  • Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
  • Dauer des Arbeitsverhältnisses bei Befristung
  • Arbeitsort
  • Bezeichnung oder Beschreibung der Tätigkeit
  • Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts und deren Fälligkeit
  • Arbeitszeit
  • Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs
  • Kündigungsfristen
  • Allgemeiner Hinweis auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind.
  • Enddatum des Arbeitsverhältnisses
  • Ggf. freie Wahl des Arbeitsorts durch den Arbeitnehmer
  • Sofern vereinbart, die Dauer der Probezeit
  • Die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung
  • Die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen
  • Sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen
  • Ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung
  • Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers; die Nachweispflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist.
  • Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage, wobei § 7 des Kündigungsschutzgesetzes auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden sein soll.


Aus Sicht von Arbeitnehmer*innen besonders interessant ist die Neuerung im Bereich des Kündigungsschutzes. Der Arbeitgeber muss künftig über die Möglichkeit der Kündigungsschutzklage und die zugehörige Frist informieren. Die Fristen für die Auskunft werden zudem deutlich verringert. Hatte der Arbeitgeber früher einen Monat oder mehr Zeit, um über die Arbeitsbedingungen zu informieren, sind es nun – je nach Umfang der Auskunft – ein bis sieben Tage. Wird die Auskunft vorsätzlich nicht oder nicht ordnungsgemäß erteilt, drohen Arbeitgeber*innen künftig Bußgelder von bis zu 2.000,- Euro (zuständig: Gewerbeaufsichtsamt).


2. Folgen für Arbeitnehmer*innen


a. Gefahr durch Änderungsverträge


Es ist zwar dem Arbeitgeber überlassen, ob er den Arbeitsvertrag so gestaltet, dass er alle vom NachwG geforderten Informationen enthält oder ob er neben dem Arbeitsvertrag gesondert schriftlich Auskunft gibt. Viele Arbeitgeber werden aber vermutlich ihre Arbeitsverträge an die neuen Vorgaben anpassen wollen. So müssen sie nicht nochmal gesondert alle Arbeitsbedingungen aufschreiben. Jedenfalls ist das Internet voll von Empfehlungen von Arbeitgeber-Kanzleien hierzu.


Zu erwarten ist deshalb, dass Arbeitgeber den Beschäftigten mit Hilfe von Arbeitsrechtskanzleien überarbeitete Verträge zur Unterschrift vorlegen oder sogar per Änderungskündigung (mehr Infos dazu hier) einführen. Dabei besteht die große Gefahr, dass Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen eintreten. Die Novellierung des Nachweisgesetzes könnte aus Arbeitgebersicht ein dankbarer Anlass sein, um etwa neue Vertragsklauseln zu völlig anderen Themen zu forcieren. Denkbar ist auch, dass Standardklauseln, die die Rechtsprechung in den vergangenen Jahren gekippt hat, durch eine überarbeitete, rechtswirksame Version ersetzt werden. Das könnte insbesondere Ausschlussfristen für arbeitsvertragliche Ansprüche betreffen. Das Arbeitgebermagazin Personalwirtschaft hat dazu schon die passende Anleitung veröffentlicht. Plötzlich stehen so wieder wirksame Ausschlussfristen im Arbeitsvertrag, es müssen Überstunden ohne finanziellen Ausgleich geleistet werden, etc.


Hier ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das neue Nachweisgesetz keinerlei Pflichten aus Arbeitnehmer*innen*sicht mit sich bringt und Arbeitnehmer*innen insbesondere nicht verpflichtet sind, einen neuen Arbeitsvertrag zu unterschreiben! Der Arbeitgeber kommt seiner gesetzlichen Auskunftspflicht auch nach, indem er in einem gesonderten Schreiben über die Arbeitsbedingungen gemäß § 2 NachwG informiert. Arbeitnehmer*innen müssen maximal den Empfang quittieren.


In Zweifelsfällen sollte eine anwaltliche Beratung empfohlen werden. Gerade im Zusammenhang mit (Änderungs-) Kündigungen ist äußerste Vorsicht geboten (siehe bereits unser Betriebsräte-Update 03/2022). Auch die Rechtslage bei Vertragsänderungen ist teils sehr komplex. Kleine, unscheinbare Änderungen können weitreichende Folgen haben.


b. Kündigungsschutz


Verbesserungen stehen dagegen ohne Zweifel im Bereich Kündigungsschutz an. Nach der neuen Rechtslage muss der Arbeitgeber Auskunft über einige Kündigungsschutzvorschriften geben, insbesondere die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage (drei Wochen, §§ 4, 7 KSchG). Spannend ist die Frage, welche rechtlichen Konsequenzen geschehen, wenn den Arbeitgeber hier ein Versäumnis trifft. Zugrunde liegt die Konstellation, dass einem Arbeitnehmer gekündigt worden ist. Sie bzw. er hat hiergegen nicht innerhalb der Frist der §§ 4, 7 KSchG Klage erhoben. Weder im Arbeitsvertrag noch in einer Auskunft nach § 2 NachwG hat der Arbeitgeber (korrekt) über die Klagefrist informiert.


Zwar stellt § 2 NachwG selbst klar:


„§ 7 des KSchG ist auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden“.


Das bedeutet, dass die Kündigung nach Ablauf der Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage auch dann fiktiv wirksam sein soll, wenn der Arbeitgeber entgegen § 2 NachwG nicht auf die Frist hingewiesen hat.


Doch verschließt dies nicht zwangsweise den Weg zurück ins Kündigungsschutzverfahren über § 5 KSchG (nachträgliche Klagezulassung). Bisher verlangt die Rechtsprechung für die Klagezulassung nach § 5 KSchG einen Hinderungsgrund, für den den Arbeitnehmer keinerlei Verschulden trifft, nicht einmal leichte Fahrlässigkeit. Über die Unkenntnis der Klagefrist helfe § 5 KSchG daher nicht hinweg. Richtigerweise ist dies mit dem neuen NachwG neu zu prüfen. Denn nun ist der Arbeitgeber verpflichtet, auf die Frist hinzuweisen. Im Umkehrschluss lässt sich schließen, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Arbeitnehmer*innen die Frist nicht kennen müssen.


Des Weiteren ist zukünftig ein Schadensersatzanspruch, gerichtet auf den wegen unberechtigter Kündigung entgangenen Lohn, gut denkbar. Der Arbeitgeber weist entgegen § 2 NachwG schuldhaft nicht auf die Frist für die Kündigungsschutzklage hin. Aufgrund dessen hat es der Arbeitnehmer unterlassen, (frühzeitig) gegen die Kündigung vorzugehen. Der Arbeitgeber hat ihm den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, insbesondere den wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses entgangenen Lohn.


c. Kollektivrechtliche Ausschlussfristen


Schon die Rechtsprechung zum NachwG in seiner alten Fassung hat Arbeitnehmer*innen beim Thema kollektivrechtliche Ausschlussfristen unter Umständen einen Schadensersatzanspruch zugebilligt. Auszugehen ist hier von dem Fall, dass ein*e Arbeitnehmer*in eine Leistung des Arbeitgebers in Anspruch nehmen möchte, zum Beispiel Weihnachtsgeld oder eine Zulage. Der Arbeitgeber beruft sich in zulässiger Weise auf eine Ausschlussfrist aus Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung. Weder im Arbeitsvertrag noch in einer Auskunft nach § 2 NachwG hat der Arbeitgeber allerdings auf die kollektivrechtliche Vereinbarung hingewiesen.


Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann hier ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB bestehen. Der Arbeitgeber hat entgegen § 2 NachwG schuldhaft nicht auf die kollektivrechtliche Vereinbarung bzw. konkret die Ausschlussfrist (umstritten) hingewiesen. Aufgrund dessen hat es der Arbeitnehmer verpasst, seinen primären Leistungsanspruch geltend zu machen. Probleme (jedenfalls aus Sicht des BAG) stellen sich vor allem in der schadensbegründenden Kausalität: Hatte der Arbeitnehmer eventuell aus anderer Quelle Kenntnis der kollektivrechtlichen Vereinbarung, insbesondere, wenn er anwaltlich vertreten war?


d. Weitere Rechte für Arbeitnehmer*innen


Erteilt der Arbeitgeber die Auskunft nicht (vollständig) kommt Arbeitnehmer*innen unter Umständen ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB zu. Sie können also bei Lohnfortzahlung und ohne Nachleistungspflicht die Arbeit verweigern. Dabei ist jedoch äußerste Vorsicht zu walten. Denn eine grundlose Arbeitsverweigerung berechtigt zur Kündigung. Und welche Seite Recht hat, entscheidet am Schluss das Arbeitsgericht. Nützlicher ist deshalb etwas Anderes: Das Zurückbehaltungsrecht kann nämlich auch rückwirkend geltend gemacht werden, da es nicht ausdrücklich erklärt werden muss (schlüssiges Verhalten durch Arbeitsverweigerung genügt). So kann einer wegen Arbeitsverweigerung ausgesprochenen Kündigung noch der Boden entzogen werden.


Nützlich für Arbeitnehmer*innen ist auch die mit dem NachwG einhergehende Verschiebung der Beweislast. Grundsätzlich gilt, dass derjenige, der etwas für sich in Anspruch nimmt, auch dessen Voraussetzungen zu beweisen hat. Wird nun die Auskunft nach dem NachwG erteilt und enthält sie eine für den Arbeitnehmer günstige Regelung, obliegt dem Arbeitgeber die Beweislast für das Gegenteil. Wird der Nachweis erteilt und enthält er eine für den Arbeitgeber günstige Regelung, ändert sich dagegen die Beweislast nicht. Denn die NachwG-Auskunft ist schließlich nur eine einseitige Auskunft und kein Vertrag.


Der Anspruch auf Auskunft besteht übrigens auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.


1. Weitere Gesetzesänderungen (Teilzeit, Befristung, etc.)


Das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) und das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) enthalten nun für Arbeitnehmer*innen nach sechsmonatiger Betriebszugehörigkeit einen Anspruch auf eine begründete Antwort des Arbeitgebers/Entleihers in folgenden Situationen: Wunsch des Arbeitnehmers, in Teil- oder Vollzeit, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis oder als Leiharbeitnehmer*in in die Stammbelegschaft zu wechseln.


Wir stehen im Falle von Beratungsbedarf schnell und kompetent zur Verfügung. Zögert also nicht, uns für Beratung oder in brenzligen Fällen bei Konflikten mit dem Arbeitgeber umgehend zu kontaktieren!

Foto(s): 786384_web_R_K_B_by_Timo Klostermeier_pixelio.de

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