Bundesarbeitsgericht: Tarifliche Stichtagsregelung kann mittelbar altersdiskriminierend sein

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Zum Sachverhalt: Der Kläger ist bei der beklagten Fluggesellschaft als Pilot beschäftigt. Außerdem ist er Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft. Sein Arbeitsverhältnis begann am 01.03.1990 bei einer Konzerngesellschaft und er wechselte zum 30.10.2008 zur Beklagten. Bei der Konzerngesellschaft und bei der Beklagten galten unterschiedliche Tarifverträge zur Regelung der Übergangsversorgung. Für den Kläger beläuft sich der monatliche Rentenanspruch bei Bezug einer Übergangsversorgung nachdem Tarifvertrag der Konzerngesellschaft auf 1.388,88 €, im Fall der Anwendung des Tarifvertrages der Beklagten würde sein Anspruch 8.572,81 € monatlich betragen.

Bis zum 23.06.2016 galt bei der Beklagten ein Tarifvertrag, nachdem sich die Übergangsversorgung für Arbeitnehmer, die von einer Konzerngesellschaft zur Beklagten wechselten, weiter nachdem für die jeweilige Konzerngesellschaft geltenden tariflichen Regelungen richtet. Mit Wirkung zum 23.06.2010 wurde diese Regelung insoweit geändert, als das Wechsel von einer anderen Konzerngesellschaft unter der Voraussetzung in die Übergangsversorgung der Beklagten einbezogen wurden, dass ihr Arbeitsverhältnis mit der Konzerngesellschaft ab 01.12.1992 begonnen hätte. Arbeitnehmer, die wie der Kläger ihr Arbeitsverhältnis mit der Konzerngesellschaft vor dem 01.12.1992 begonnen hatten, blieben von der Übergangsvorschrift der Beklagten ausgeschlossen. Der Ausschluss betraf insgesamt 107 Arbeitnehmer der Beklagten mit einem Durchschnittsalter von 49 Jahren. Die Einbeziehung betraf insgesamt 482 Arbeitnehmer der Beklagten mit einem Durchschnittsalter von 36,5 Jahren.

Der Kläger hat geltend gemacht, dass sein Ausschluss aus der Übergangsversorgung der Beklagten altersdiskriminierend sei. Er verlangt die Feststellung, dass der Tarifvertrag der Beklagten zur Regelung der Übergangsversorgung auch für ihn gilt. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gaben der Klage statt.

Die Beklagte legte Revision ein, ohne Erfolg. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes ist die tarifliche Stichtagsregelung unwirksam. Sie verstoße mit ihrer Gruppenbildung gegen das Verbot der Altersdiskriminierung des § 7 Abs. 1 AGG.

Denn: Die Gruppe derjenigen Arbeitnehmer, die vor dem 01.12.1992 ein Arbeitsverhältnis mit einer anderen Konzerngesellschaft begonnen haben, würde gegenüber der Gruppe derjenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis mit einer anderen Konzerngesellschaft ab dem 01.12.1992 begonnen hat, objektiv schlechter gestellt. Mit der Verwendung des Eintrittsdatums als Differenzierungskriterium erfolge eine mittelbare Diskriminierung nach dem Alter. Die Diskriminierung sei deshalb nicht ausgeschlossen, weil mit der Tarifregelung ein rechtmäßiges Ziel verfolgt würde und die dafür eingesetzten Mittel angemessen und erforderlich waren (§ 3 Abs. 2 AGG). Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes habe die Beklagte nicht nachvollziehbar dargelegt, was das rechtmäßige Ziel der Differenzierung sei. Zwar hat sich diese im Verfahren auf eine „Tarifhistorie“ bezogen, nach der die „Abkopplung“ der Tarifsysteme zwischen den Konzerngesellschaften zum 01.12.1992 beendet worden sei. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes lasse dieser Vortrag sich aber aus den tatsächlich geschlossenen Tarifverträgen nicht ableiten. Dementsprechend sei die Stichtagsregelung als mittelbar altersdiskriminierend anzusehen. Rechtsfolge dieser Benachteiligung sei die Anwendung der diskriminierenden Regelung (§ 7 Abs. 2 AGG). Da diese in einer Ausgrenzung der diskriminierten Arbeitnehmer aus dem Geltungsbereich einer begünstigenden Regelungen bestehe, sei auf die Angehörigen der durch die Diskriminierung benachteiligten Gruppe die gleiche Regelung wie auf die begünstigten Arbeitnehmer anzuwenden, um die Benachteiligung zu beseitigen.

Kurz und gut

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Ausschluss von Arbeitnehmern, die vor einem bestimmten Stichtag ein Arbeitsverhältnis begonnen haben von tariflichen Leistungen eine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters darstellen. Zu dieser Diskriminierung bedürfe es einer Rechtfertigung, die zumindest ein erkennbar legitimes Ziel der differenzierenden Regelung erkennen lassen muss.

Das Bundesarbeitsgericht betont in seinen Orientierungssätzen, welche Anforderungen das Verbot der Altersdiskriminierung an Stichtagsregelungen an Kollektivvereinbarungen stellt: Die Wahl des Stichtags muss sich am gegebenen Sachverhalt orientieren, sie muss vertretbar erscheinen und sie darf nicht gegen gesetzliche Regelungen verstoßen. Praktische Bedeutung hat insbesondere die erste Voraussetzung der Orientierung am gegebenen Sachverhalt. Wegen Fehlens dieser Voraussetzung hat das Bundesarbeitsgericht etwa jüngst „Spätehenklauseln“ in betrieblichem Altersversorgungssystem für unwirksam erklärt, die den Ausschluss von der Hinterbliebenenversorgung auf einen Zeitpunkt vor Erreichen der Regelaltersgrenze festsetzen. Dass solche Stichtagsregelungen oft Ergebnis eines Kompromisses nach langen Verhandlungen darstellen, reicht für eine Rechtfertigung nicht aus.

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