Bundesarbeitsgericht: Weiterhin Gehalt trotz Betriebsschließung wegen Corona?

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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 04.05.2022 entschieden, dass im Falle von Betriebsschließungen aufgrund der Coronapandemie, der Lohnfortzahlungsanspruch von Arbeitnehmern, trotz des Betriebsrisiko des Arbeitgebers, unter Umständen entfallen kann.    


Was war geschehen?


Die Parteien streiten über eine Vergütungsanspruch zwischen den 01.04.2020 und 12.04.2020 in Höhe von 666,19 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 04.05.2020.

Die Klägerin war als Servicekraft für eine Spielstätte der Beklagten vom 01.04.2016 bis zum 30.04.2020 beschäftigt. Am 16.03.2020 erließ die Stadt Wuppertal eine Allgemeinverfügung zur Bekämpfung der Folgen der Coronapandemie, in deren Folge Freizeit- Kultur-, Sport- und Vergnügungsstätten zwischenzeitig schließen mussten und die Klägerin hierauf hin nicht beschäftigt werden konnte und auf Anordnung der Beklagten von der Arbeit fernblieb. Mit dem 22.03.2020 trat anschließend die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 des Landes Nordrhein-Westfalen (CoronaSchVO NRW) in Kraft, in der es im § 3 Abs. 1 Nr. 6 CoronaSchVO hieß, dass zu Zeiten der Coronapandemie, der Betrieb von Spielhallen und ähnlichen Einrichtungen verboten sei. In Reaktion dessen, wurde die Klägerin für den Monat April 2020, trotz ursprünglich geplanter Arbeitseinteilung vom 01.04.2020 bis zum 12.04.2020, nicht beschäftigt. Eine Regelung zur Kurzarbeit während der Coronapandemie, wurde zwischen der Klägerin und der Beklagten nicht vereinbart.

Mit Schriftsatz vom 25.05.2020, erhob die Klägerin Klage vor dem Arbeitsgericht Wuppertal auf Vergütung wegen Annahmeverzug der Beklagten zwischen den 01.04. und 12.04.2020 in Höhe von 666,19 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 04.05.2020. Hierbei machte die Klägerin geltend, dass die coronabedingte Schließung der Spielstätte zum Betriebsrisiko der Beklagten gehört habe und diese demnach nach § 615 S. 3 BGB den geforderten Betrag schulde.

Die Beklagte beantragte hierauf Klageabweisung und machte dabei geltend, dass sich das Betriebsrisiko der Beklagten nicht realisiert habe, da die Schließungen nicht auf einen erhöhten Ansteckungsrisiko des Betriebes, sondern auf den Bestrebungen des Staates auf eine weitmöglichen Kontaktreduzierung basiert habe.

Das Arbeitsgericht Wuppertal gab der Klage statt, währenddessen die Berufung der Beklagten durch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf abgewiesen worden ist. Mit der Revision begehrte die Beklagte weiterhin die Klageabweisung der ursprünglichen Klage.

Entscheidung des BAG


Das BAG gab der Revision der Beklagten statt und wies den Zahlungsanspruch der Klägerin ab. 

Zunächst wies das Gericht darauf hin, dass ein Zahlungsanspruch der Klägerin sich nicht auf die §§ 615 S. 1, 611a Abs. 2 BGB stützen lässt, da diese Vorschriften nicht den Fall einer wie hier vorliegenden Annahmeunmöglichkeit der Beklagten berücksichtigen. Nach Auffassung des Gerichtes ist der Zahlungsanspruch nur unter Hinzuziehung des § 615 S. 3 BGB begründet. Hierbei betonte das Gericht, dass die Nichtbeschäftigung der Beklagten trotz deren Arbeitsfähigkeit und Willigkeit einen Annahmeverzug der Beklagten nach den §§ 293 ff. BGB zwar begründe, jedoch im vorliegenden Fall die Beklagte gerade nicht das Betriebsrisiko zur Entgeltfortzahlung der Klägerin trage. Der Arbeitgeber trägt das Betriebsrisiko und damit das Risiko über die Verwendung der Arbeitsleistungen, da dieser den Betrieb leite, die betrieblichen Abläufe organisiere, die Verantwortung für den Betrieb trage und die Erträge erhalte. 

Hieraus folge nach Ansicht des BAG die Verantwortung der Arbeitgeber, von außen gesetzten Störursachen, welche auf Betriebsmittel oder auf die Betriebsorganisation einwirken, entgegenzuwirken und entsprechende Vorkehrungen zu treffen.

Im Falle von hoheitlich angeordneten Betriebsschließungen macht das BAG deutlich, dass es eine Differenzierung im Einzelfall benötige, um die Frage über das Betriebsrisiko des Arbeitgebers zu klären.

Zunächst ist nach Auffassung des Gerichtes im Falle von selbst angeordneten Betriebsschließungen während der Pandemie davon auszugehen, dass der Arbeitgeber unter Berücksichtigung seines eigenen wirtschaftlichen Risikos, auch das Betriebsrisiko trage. Ausschlaggebend für diese Sichtweise sei nach Auffassung des Gerichtes die Tatsache, dass eine autonome Entscheidung des Arbeitgebers selbst die Unmöglichkeit der Arbeitserbringung durch den Arbeitnehmer herbeiführe.

Muss der Arbeitgeber wie im vorliegenden Fall jedoch aufgrund einer direkten hoheitlichen Anordnung schließen, so gilt es im Einzelfall zu differenzieren. Ist der Arbeitgeber unter Umständen in der Lage, die Schließungen durch Hygienekonzepte oder Schutzmaßnahmen abzuwenden, so trägt dieser allein aufgrund seiner Abwendungsmöglichkeit bzw. Organisationsgewalt über seinen Betrieb das Betriebsrisiko und damit die Entgeltfortzahlungspflicht. Dieses Ergebnis ist laut Auffassung des BAG auch damit begründbar, dass der Arbeitgeber im Rahmen seiner Organisationsgewalt, seine Mitarbeiter im Einzelfall unter besonders ansteckungsbegünstigenden Produktionsbedingungen arbeiten lässt und damit Gesundheitsrisiken schafft.

Von der letzten Konstellation ist laut dem BAG jedoch maßgeblich der Fall zu unterscheiden, in dem betriebsübergreifend also unabhängig von Arbeits- oder Produktionsbedingungen, flächendeckend alle Betriebe außer die für die Versorgung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden mussten, um zum Schutz der Bevölkerung, diese vor schweren oder tödlichen Krankheitsverläufen zu schützen, indem diese sozialen Kontakte der Bevölkerung auf ein Minimum reduziert. 

In einem solchen Fall, würde sich die Unmöglichkeit der Arbeitserbringung nicht auf das Risiko des Betriebssubstrates, sondern auf eine davon unabhängige hoheitliche Maßnahme zurückführen lassen, dessen Risiko der Arbeitgeber bei wertender Betrachtung nicht auferlegt werden könne, wenn nicht das Unternehmen durch seinen Betrieb die Verbreitung des Krankheitserregers etc. entscheidend mitbestimmt hätte. Vom letztgenannten Punkt kann hier nicht ausgegangen werden. Die Coronaschutzverordnung des Landes NRW, dient hier der Abwehr einer allgemeinen Gefahrenlage und nicht der Abwehr von Gefahren, die speziell von Betrieben ausgehen.  

Weitere mögliche Ansprüche der Klägerin kamen aus der Sicht des Gerichts nicht in Betracht. Von einem Zahlungsanspruch der Klägerin nach Maßgabe der § 95 SGB III i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB durch Nichtabsprache einer Kurarbeitsregelung, kann nicht ausgegangen werden, da die Klägerin selbstständig zum 30.04.2020 fristgerecht gekündigt hatte und demnach kein Raum mehr für eine solche Regelung bestand. 

Eventuelle Versicherungszahlungen unter Hinzuziehung der Grundsatz der „Arbeitnehmerhaftung“ des Arbeitgebers scheitern daran, dass nicht das allgemeine Lebensrisiko von Arbeitnehmern abgedeckt, sondern nur Fälle des Mitverschuldens nach den §§ 254 ff. BGB berücksichtigt werden müssen. 

Unerheblich ist laut Auffassung des Gerichtes auch die Tatsache, dass der Arbeitgeber die Folgen der Betriebsschließungen durch Urlaub und Überstundenabbau hätte mildern können, da diese nur Auswirkungen der Betriebsschließungen betreffen, aber keine Aussage darüber treffen würden, wer das Risiko eines Arbeitsausfalles zu tragen hätte. 

Abschließend sei auch Art. 240 § 1 Abs. 2 und Abs. 4 Nr. 2 EGBGB nicht heranzuziehen, da die Vorschrift ebenfalls nichts darüber sage, unter welchen Voraussetzungen bei pandemiebedingten Schließungen ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs entsteht oder entstehen kann.

Fazit

Das vorliegende Urteil entfaltet besondere Bedeutung für Arbeitgeber, wenn diese sich unvermeidlichen Betriebsschließungen und damit Ansprüchen auf Lohnfortzahlungen gegenübersehen, sodass Arbeitnehmer nicht voreilig den Schluss ziehen sollten, dass sie in jedem Fall bei coronabedingten Schließungen ihren Lohn trotzdem erhalten.  


Rechtsanwalt Stephan Kersten

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Foto(s): LINDEMANN Rechtsanwälte

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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