Daimler-Dieselskandal: OLG Celle nimmt Kraftfahrt-Bundesamt in die Pflicht

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Für die Daimler AG könnte es im Dieselskandal wirklich ganz eng werden. Das Oberlandesgericht Celle bindet das Kraftfahrt-Bundesamt in eine Urteilsfindung ein und begehrt Auskunft über das Vorliegen einer Abschalteinrichtung und die Prüfmechanismen der Bundesbehörde bei einem Mercedes-Benz C 200 CDI. Das Oberlandesgericht Celle nennt eine Vielzahl möglicher illegaler Abschalteinrichtungen. 

In den Daimler-Dieselskandal wird jetzt auch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als für die Prüfung und Zulassung von Fahrzeugen zuständige Bundesbehörde einbezogen. Das Oberlandesgericht Celle hat in einem Beschluss (Az.: 7 U 1885/19) im Kontext eines Verfahrens vor dem Landgericht Verden (Az.: 1 O 37/19) im Dieselabgasskandal festgelegt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt zum streitgegenständliche Mercedes-Benz C 200 CDI mit dem Motor OM651 mehrere wesentliche Fragen beantworten muss: 

  • Ist der im Fahrzeug des Klägers verbaute Dieselmotor des Typs OM651 nach Erteilung der Typengenehmigung vom Kraftfahrtbundesamt im Hinblick auf das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG, die nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässig ist, geprüft worden?
  • Weist die Motorsteuerungssoftware eine Steuerelektronik auf, die nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen ist?
  • Wurden vom Fahrzeughersteller im Antrag auf Erteilung einer Typengenehmigung Angaben zur Verwendung sogenannter Thermofenster gemacht?
  • Falls unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt wurden: Sind im Typengenehmigungsverfahren gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt, das auf die schriftlichen Angaben des Herstellers angewiesen ist, unvollständige Angaben gemacht worden, sodass die erteilte Typengenehmigung nicht auf einer bewussten Billigung der vorhandenen Abschalteinrichtungen beruht hat, weshalb künftig behördliche Betriebsuntersagungen oder -beschränkungen drohen könnten? 

„Das ist eine sehr interessante Entwicklung im immer mehr aufkommenden Daimler-Dieselskandal. Wenn das Kraftfahrt-Bundesamt nun das Vorliegen einer Abschalteinrichtung bestätigt, gibt das neue Argumente für Betrugshaftungsklagen gegen die Daimler AG wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB. Zumal wird die Daimler AG große Schwierigkeiten bekommen, das Vorliegen einfach weiterhin zu bestreiten beziehungsweise Gründe des Motorschutzes für den Einsatz von Abschalteinrichtungen anzuführen. Es gäbe damit keinerlei Anhaltspunkte mehr, weshalb sich die Daimler AG Schadenersatzpflichten im Dieselabgasskandal entziehen könnte“, sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung von der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (www.hartung-rechtsanwaelte.de). Die Kanzlei befasst sich ausschließlich mit Anleger- und Verbraucherschutzthemen und hat sich auf die Beratung von Betroffenen des Abgasskandals spezialisiert. Dr. Gerrit W. Hartung gilt als „Dieselanwalt“ der ersten Stunde.

Besonders interessant ist laut Rechtsanwalt Dr. Hartung die Auflistung möglicher Abschalteinrichtungen, die das Oberlandesgericht Celle als unzulässig ansieht. Diese können vorliegen in Gestalt einer 

  • Funktion, die durch Bestimmung der Außentemperatur die Parameter der Abgasrückführung und der Ladeluftkühlung so verändert, dass die Abgasrückführung außerhalb eines von der Daimler AG festgelegten Temperaturfensters reduziert wird (sogenanntes Thermofenster),
  • Schalt-Einstellung des Getriebes, welche erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und daraufhin ein Schaltprogramm aktiviert, welches besonders wenige Schadstoffe produziert (sogenannte Aufwärmstrategie),
  • Funktion, welche nach einer Fahrtdauer von 1200 bis 2000 Sekunden in einen Fahrmodus mit erhöhtem Schadstoffausstoß wechselt (sogenannte Zeiterkennung),
  • Funktion, welche anhand der Geschwindigkeit und der Beschleunigung des Fahrzeugs erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet, und auf dem Prüfstand in einen Fahrmodus mit niedrigem Schadstoffausstoß schaltet (sogenanntes Slipguard),
  • Funktion, welche nach Zurücklegen einer Strecke von 25 Kilometern nach einem Kaltstart die Abgasreinigung zurückfährt (sogenanntes Bit 15),
  • Funktion, welche die zurückgeführten Abgase während der Messungen auf dem Prüfstand besonders stark kühlt und durch eine Verringerung der Verbrennungstemperatur im Motor den Schadstoffausstoß auf dem Prüfstand reduziert (sogenannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung) und
  • Funktion, die nach einem NEFZ-Zyklus nach einem Kaltstart eine andere Abgasbehandlung einsetzt als nach einen NEFZ-Zyklus nach einem Warmstart oder im sonstigen Fahrbetrieb (sogenanntes Aufwärmstrategie) 

Für Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung ergeben sich daraus weitreichende Handlungsmöglichkeiten für geschädigte Verbraucher im Diesel-Abgasskandal, die sich auf eine Vielzahl von Modellen anwenden lassen können. Viele Mercedes-Benz-Diesel sind mit illegalen Abschalteinrichtungen ausgestattet. „Besonders betroffen sind die Motoren des Typs OM651, OM622, OM626, OM654, OM642 und OM656. Geschädigte Verbraucher haben also weitreichende Chancen, von der Daimler AG wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Wege der Betrugshaftungsklage Schadensersatz zu erhalten und das Skandalfahrzeug abzugeben.“



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