Das selbständige Beweisverfahren – ein unzeitgemäßes Rechtsinstitut?

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Das selbständige Beweisverfahren ist in der Baupraxis bekannt und wird als Rechtsinstitut oft bei Interessenkonflikten eingeleitet. Es fragt sich, ob dies immer sinnvoll ist. Ziel und Zweck des selbständigen Beweisverfahrens soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sein, dass das Beweisverfahren der Entlastung der Gerichte durch Vermeidung von Prozessen dient sowie der Erleichterung bzw. Beschleunigung der Prozessführung. Aus meiner Erfahrung kann ich bestätigen, dass diese Zielsetzung nicht erreicht wird.

Es geht nur um die Feststellung von Tatsachen!

Grundsätzlich stellt ein selbständiges Beweisverfahren eine vorweggenommene Tatsachenfeststellung durch gerichtliche Beweiserhebung dar. Im Vordergrund steht die Feststellung von Baumängeln, deren Ursachen, die Sanierungsmaßnahmen und Mängelbeseitigungskosten, aber auch die Feststellung der Richtigkeit von Massen (Mengen) sowie der Feststellung des Bautenstandes im Hinblick auf Akontozahlungen. Weiter kommt dem selbständigen Beweisverfahren nach der Kündigung durch einen Baubeteiligten Bedeutung zu, um den Umfang der erbrachten Werkleistungen sowie deren Mangelfreiheit festzustellen. In dem selbständigen Beweisverfahren werden nur Sachverhalte festgestellt.

Rechtliche Gesichtspunkte bleiben außen vor!

Auf rechtliche Aspekte kommt es nicht an. Rechtliche Würdigungen werden in dem selbständigen Beweisverfahren vollständig ausgeblendet und müssen im Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden. Dies ist der Nachteil des Beweisverfahrens, da nach Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens überwiegend eine Partei sowieso versuchen wird, das Hauptsacheverfahren anhängig zu machen und einen Rechtsstreit in der Angelegenheit zu führen. Von Beschleunigung kann daher überhaupt nicht die Rede sein.

Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens meist erst nach Jahren

Bereits die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens ist meist sehr langwierig, da die Gerichte diese Beweisverfahren nicht mit der nötigen Schnelligkeit vorantreiben. Hinzu kommt, dass das vorgelegte Gutachten nicht zu einer Befriedung der Parteien führt, sondern eine Partei sowieso darauf abstellen wird, dass rechtliche Gesichtspunkte außer acht geblieben sind, die jedoch für eine Anspruchsbegründung bzw. Anspruchsabwehr maßgeblich sind. Selbständige Beweisverfahren, die weder durch das Gericht noch von dem Sachverständigen vorangetrieben werden, dauern einfach zu lange, bis ein verwertbares Ergebnis vorliegt. Von der Dauer des selbständigen Beweisverfahrens muss man mit mindestens einem Jahr oder länger rechnen. Wenn danach noch ein Hauptsacheprozess eingeleitet wird, sind schnell zwei bis drei Jahre vergangen bis ein Urteil vorliegt. Dies ist definitiv zu lang. In meiner Baupraxis mehren sich die Beweisverfahren, die länger als 5 Jahre oder sogar 10 Jahre dauern. 

Die Strategie muss sich an der Frage ausrichten: Was will ich?

Vielmehr sollte man sich darauf konzentrieren, welche Ziele man verfolgt und sofort ein Hauptsacheverfahren einleiten. Im Rahmen dieses Rechtsstreits kommt es dann in gleicher Weise zu einer Beweisaufnahme mit dem Ergebnis der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Ich wage die These, dass eine solche Verfahrensweise nur die Hälfte der Zeit in Anspruch nimmt, als wenn zunächst ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt wird und im Anschluss daran der Hauptsacheprozess. Zeit ist in der Baupraxis ein hohes Gut, da sich der Gegner bei längerer Zeitdauer meist verflüchtigt. Weiter sollte man wissen, dass durch den Antragsgegner das Beweisverfahren ohne große Umstände zeitlich hinausgezögert werden kann. Meist dauert es ein halbes Jahr bis überhaupt ein Beweisbeschluss ergeht und der Sachverständige dann nach einem weiteren Vierteljahr endlich seine Arbeit aufnimmt. Die Gerichte gehen leider hin und hören die Gegenseite an, bevor ein Beweisbeschluss ergeht. Dies ist eine freie Ermessensentscheidung des Gerichts. Das ist unverständlich, da die Gerichte die gesetzliche Handhabe haben, auch ohne Anhörung einen solchen Beweisbeschluss zu erlassen. Hiermit wäre dem Antragsteller, der das selbständige Beweisverfahren eingeleitet hat, vielmehr gedient. Ich habe noch nie erlebt, dass nach Anhörung der Gegenseite ein Beweisbeschluss nicht erlassen wurde. Wenn sowieso ein solcher Beweisbeschluss ergehen wird, so kann die Anhörung der Gegenseite auch unterbleiben.

Gericht bestimmt die Person des Sachverständigen

In der Baupraxis findet man oft die Ansicht, dass der Antragsteller, der das selbständige Beweisverfahren anstrengt, den gerichtlich bestellten Sachverständigen selbst bestimmen kann. Dies ist nicht der Fall. Dem Antragsteller steht kein Auswahlrecht zu. Vielmehr bestimmt allein das Gericht den Sachverständigen, es sei denn, die Parteien einigen sich auf einen Sachverständigen. Eine solche Einigung über die Person des Sachverständigen kommt in der Baupraxis jedoch nur selten vor. Die Gerichte machen es sich mitunter hinsichtlich der Ernennung eines Sachverständigen leicht, wenn sie einfach bei der Industrie- und Handelskammer anfragen und sich einen Sachverständigen nennen lassen, ohne wirklich darauf zu achten, ob der Sachverständige auch für sein Fachgebiet qualifiziert ist. Insbesondere wenn es sich um handwerkliche Leistungen handelt, sollte das Gericht bei der Handwerkskammer anfragen. Hierauf sollte man als Partei auch Einfluß nehmen. Die Ernennung eines Sachverständigen durch das Gericht hat Bestand. Der Beschluss des Gerichts hierüber ist unanfechtbar, also nicht mit Rechtsbehelfen angreifbar.

Ablehnung des Sachverständigen ist schwierig

Einen Sachverständigen wird man im selbständigen Beweisverfahren nur los, wenn er erfolgreich abgelehnt werden kann. Eine Ablehnung des Sachverständigen kommt in Betracht, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen, so etwa, wenn er in gleicher Sache für eine Partei bereits als Privatgutachter entgeltlich tätig war oder er zu einem Ortstermin nur eine Partei geladen hat oder wenn er sich in seinem Gutachten gegenüber einer Partei zu einer sprachlichen Entgleisung hinreißen lässt. Mangelnde Sachkunde stellt leider keinen Ablehnungsgrund dar. Ein darauf gestützter Ablehnungsantrag ist nicht erfolgsversprechend.

Bei Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ist Vorsicht geboten. Sowohl Antragsteller als auch Antragsgegner müssen bei der Anberaumung eines Ortstermins ihre Interessen wahren. Dies beginnt schon mit dem Betreten des Baugrundstücks. Meist ist es so, dass der Antragsteller dem Antragsgegner ein Betretungsrecht verwehren will. Darauf muss sich der Antragsgegner nicht einlassen. Der Antragsteller muss ein Betreten des Grundstücks zwar nicht zulassen, jedoch hat dies unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung nachteilige Folgen für den Antragsteller in einem nachfolgenden Hauptsacheprozess, insbesondere wenn in dem Fall dann eine Begutachtung des Sachverständigen ohne Anwesenheit des Antragsgegners vorgenommen wird. Dies führt zu einem Ablehnungsgrund des Sachverständigen. Weiter sind im Rahmen des Ortstermins bereits Einwendungen seitens der Parteien unbedingt anzubringen, wenn der Eindruck entsteht, dass der Sachverständige den Sachverhalt nicht verstanden bzw. den Sachverhalt anders deutet. Hier sollte sich jede Partei um Richtigstellung des Sachverhalts bemühen, um zu gewährleisten, dass bereits die Bewertungsgrundlage für die Feststellungen des Sachverständigen richtig ist. Ansonsten sind Folgefehler vorprogrammiert.

Einwendungen gegen das Gutachten sofort geltend machen!

Nach Vorlage des Gutachtens muss jede Partei, ob Antragsteller oder Antragsgegner sich umfassend und sorgfältig mit den Feststellungen im Gutachten beschäftigen. Einwendungen gegen diese Feststellungen sind in dem selbständigen Beweisverfahren vorzubringen. Keinesfalls sollte man Einwendungen erst in dem nachfolgenden Hauptsacheverfahren bringen, wenn das selbständige Beweisverfahren schon längst abgeschlossen ist. Dann können diese Einwendungen als verspätet zurückgewiesen werden und werden vom Gericht meist nicht mehr berücksichtigt, was katastrophal enden kann. Deshalb sollte sich insbesondere die Partei mit dem Beweisergebnis sorgfältig auseinandersetzen, für die das Gutachten ungünstig ausfällt. Dann muss die Partei, für die das Beweisergebnis negativ ist, auf jeden Fall ihre Einwendungen schriftlich innerhalb der durch das Gericht gesetzten Frist geltend machen und auch beantragt werden, dass sich der Sachverständige zu den Einwendungen äußern soll. Diese Äußerung des Sachverständigen kann in schriftlicher Form erfolgen und anlässlich eines Anhörungstermins auch mündlich. Als Partei kann man die mündliche Anhörung verlangen. Dies hat den Vorteil, dass der Sachverständige sich von Angesicht zu Angesicht mit den Einwendungen auseinandersetzen muss. Wichtig ist für die Partei, dass dieser Termin gut vorbereitet wird. Hierzu kann die Partei auch einen in diesem Bereich kompetenten Privatgutachter hinzunehmen, der die Anhörung des Termins mit begleitet und den gerichtlich bestellten Sachverständigen auf Widersprüche oder Fehler in seinem Gutachten hinweist. Im Gegensatz dazu wird ein schriftliches Ergänzungsgutachten wiederum einige Zeit der Bearbeitung durch den Sachverständigen in Anspruch nehmen und der Sachverständige hat Zeit, seine Überlegungen sorgfältig zu Papier zu bringen, wohingegen er bei einer mündlichen Anhörung ad hoc antworten muss. Das Überraschungsmoment ist bei einer mündlichen Anhörung taktisch ein großer Vorteil und sollte nicht unterschätzt werden.

Kosten des selbständigen Beweisverfahrens

Abschließend sei zu den Kosten des selbständigen Beweisverfahrens angemerkt, dass der Antragsteller alle Kosten für den Sachverständigen und das Gericht vorstrecken muss, da er das Beweisverfahren eingeleitet hat. Dies gilt auch für die weiteren Vorschusszahlungen, die der Sachverständige im Laufe des Prozesses anfordert. Darüber hinaus sollte man wissen, dass man als Antragsteller diese Kosten nicht in dem Beweisverfahren von dem Antragsgegner ersetzt verlangt bekommt, da in einem selbständigen Beweisverfahren nur Tatsachen festgestellt werden und nicht um ein Obsiegen/Unterliegen einer Partei mit der Folge eines Kostenausgleichs geht. Die Kosten des Beweisverfahrens muss der Antragsteller in dem nachfolgenden Hauptsacheprozess im Rahmen des Kostenausgleichsverfahrens mit geltend machen. Im Gegensatz dazu bekommt auch der Antragsgegner seine Rechtsanwaltskosten bei einem für ihn positiven Gutachten nicht vom Antragsteller im selbständigen Beweisverfahren ersetzt, sondern er muss den Antragsteller in das Hauptsacheverfahren über die Vorschrift des § 494a Absatz 1 ZPO zwingen, um seine Kosten liquidieren zu können.


Carsten Seeger


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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