Datenschutz sticht Kündigung?

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Was Arbeitgeber zu Sachvortrags- und Beweisverwertungsverboten infolge von Verstößen gegen die DSGVO bzw. Betriebsvereinbarungen jüngst wissen müssen.



Anmerkung zu BAG, 

Urteil vom 29.06.2023, 2 AZR 298/22


Grundsätzliches 

Da das Arbeitsverhältnis für viele Personen die wirtschaftliche Existenzgrundlage ist, gilt der Grundsatz, dass derjenige, der es beenden möchte, die Kündigungsgründe im Streitfall darlegen und auch beweisen muss. Handelt der Mitarbeiter also z.B. vertragswidrig, so muss der Arbeitgeber eben jenen Sachverhalt ermitteln, darlegen und ggf. auch beweisen, um diesen Mitarbeiter wirksam zu kündigen.

Bei den so ermittelten und vorgetragenen Tatsachen handelt es sich regelmäßig um

  1. personenbezogene Daten des Arbeitnehmers (§ 4 Nr. 1 DSGVO), deren Erhebung
  2. datenschutzrechtlich gerechtfertigt werden muss (Art. 6 Abs. 1 DSGVO).

Gelingt diese Rechtfertigung nicht, dürfen die Tatsachen grundsätzlich nicht verwertet werden (sog. Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot). Und mangels darleg- und beweisbarer Kündigungsgründe erweist sich sodann die Kündigung als unwirksam.

Doch gilt das „immer und überall“? Nein, urteilte kürzlich das Bundesarbeitsgericht (BAG).


Der Fall:

Der Arbeitgeber hat am Eingangstor eine Überwachungskamera angebracht, die aufzeichnete, welche Personen das Werksgelände betreten und verlassen. Diese war offen angebracht, durch ein Piktogramm markiert und allen Mitarbeitenden bekannt. Später wurde neben der Kamera ein Hinweisschild mit dem Text „Die Daten werden 96 Stunden vorgehalten“ angebracht. Der Arbeitgeber erfasste die Arbeitszeit seiner Mitarbeiter elektronisch und hatte hierzu mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung geschlossen, in der auch vereinbart wurde, dass keine personenbezogene Auswertung von Daten der Arbeitszeiterfassung erfolgt.

Eines Tages betrat der klägerische Arbeitnehmer das Werksgelände und loggte sich im Arbeitszeiterfassungssystem als anwesend ein. Unmittelbar hiernach verließ er jedoch das Werksgelände wieder und wurde dabei durch die Überwachungskamera gefilmt. Dies fiel dem Arbeitgeber nicht auf und zahlte den Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung für die offenbar nicht geleisteten Arbeitsstunden.

Über ein Jahr verging, ehe der Arbeitgeber aufgrund eines anonymen Hinweises Wind von der Sache bekam. Er hörte den Arbeitnehmer an und kündigte ihn schließlich fristlos. Hiergegen erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage. Den Vorwurf des Arbeitszeitbetruges bestritt er pauschal und versteifte sich auf die Annahme, dass Sachvortrags- und Beweisvertretungsverbote wegen diverser Verstöße vorlägen (Verstoß gegen die Löschpflicht nach Art. 17 DSGVO, die Hinweispflicht nach Art. 13 DSGVO, Gebot der Zweckbindung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. b DSGVO sowie Verbot der Verarbeitung von personenbezogenen Daten gemäß der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung).


Die Entscheidung(en):

Sowohl das Arbeitsgericht Hannover als auch das Landesarbeitsgericht Hannover gaben der Kündigungsschutzklage erst- und zweitinstanzlich statt. Der klägerische Arbeitnehmer obsiegte.

Zu Unrecht, so das BAG:

  1. Wenn ein Arbeitnehmer einer vorsätzlichen Pflichtverletzung überführt werde, dürfe ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot insoweit nur dann angenommen werden, wenn die Verwertung der zugrunde liegenden Beweismittel eine schwerwiegende Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers nach sich ziehen würde. Eine derart schwere Persönlichkeitsverletzung komme zwar bei der heimlichen Kameraüberwachung, grundsätzlich aber nicht bei einer offenen Kameraüberwachung in Betracht. Zwar sei im vorliegenden Fall vorstellbar, dass im Zusammenhang mit der Kameraüberwachung gegen Datenschutzrecht verstoßen wurde. Diese Verstöße, so das BAG, hätten jedoch im vorliegenden Fall nicht das Gewicht, um ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot zu rechtfertigen.
  2. Auch folge aus der Regelung der Betriebsvereinbarung kein Sachvortrags- und Beweisvertretungsverbot. Denn den Betriebsparteien fehle die Regelungsmacht, ein über das formelle Verfahrensrecht der ZPO hinausgehendes Verwertungsverbot zu begründen. Sie dürfen und können daher auch nicht die Möglichkeit des Arbeitgebers wirksam beschränken, in einem Individualrechtsstreit Tatsachen über betriebliche Geschehnisse vorzutragen und diese unter Beweis zu stellen.


Auswirkungen für die Praxis:

  • Bislang war es in vielen Unternehmen ein häufig und ledig diskutiertes Thema, ob ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot für betriebsvereinbarungswidrige Verhaltens- und Leistungskontrollen aufgenommen werden kann und darf oder nicht. Dieser Diskussionspunkt dürfte mit dieser Entscheidung des BAG künftig entfallen und die Verhandlung von Betriebsvereinbarungen somit deutlich vereinfacht und beschleunigt werden.
  • Datenschutz ist kein Totschlagargument. Kündigungsrechtsstreitigkeiten gegen Vorsatztäter lassen sich trotz formaler Fehler bei der Datenerhebung gewinnen. Hier hat das BAG seine Rechtsprechung - begrüßenswerter Weise – weiter geschärft.


Aber Achtung, dies ist kein Freifahrtschein, arbeitgeberseitig die Dinge in Sachen Datenschutz schleifen zu lassen. Verstöße gegen die DSGVO

  1. können Bußgelder bzw. Strafen nach sich ziehen und
  2. in (auch nur leicht) anders gelagerten Fällen zu einem Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot führen. Wir beraten Sie gern. 


Wir beraten und vertreten unsere Mandantschaft bundesweit. Rufen Sie einfach an oder schreiben eine E-Mail und vereinbaren einen Termin für eine individuelle Beratung – vor Ort, telefonisch, per Videocall oder per E-Mail.

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