Der Vorfälligkeits-Joker - Update

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Vermeidung oder Rückforderung der Vorfälligkeitsentschädigung

Darlehensnehmer, die ihre Immobilie verkaufen wollen oder müssen (bspw. wegen  Scheidung oder Umzug) und in diesem Zusammenhang den Immobilienkredit vor Ablauf der vereinbarten Zinsbindung ablösen möchten, sehen sich mit der  Forderung ihrer Bank auf Zahlung einer  Vorfälligkeitsentschädigung konfrontiert, die oftmals eine exorbitante Höhe besitzt. Was tun?

Der Vorfälligkeitsjoker bildet eine neue erfolgsträchtige Möglichkeit für  viele Darlehensnehmer, um sich gegen Ansprüche auf Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung (VfE)  zur Wehr zu setzen bzw. die Rückzahlung einer bereits gezahlten VfE durchzusetzen.

Diese Option wird durch  § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB für Darlehensverträge eröffnet, die ab dem 21.03.2016 abgeschlossen worden sind. Gemäß dieser Vorschrift ist im Falle der vorzeitigen Zurückzahlung des Darlehens der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ausgeschlossen, wenn

„im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind“.

Zwischenzeitlich sind eine Reihe von Gerichtsentscheidungen zugunsten der betroffenen Darlehensnehmer ergangen, die eine erhebliche Bandbreite von  möglichen Fehlern offenbaren, die den Banken insbesondere im Zusammenhang mit der Information über die Berechnungsmodalitäten  der Vorfälligkeitsentschädigung unterlaufen sind. 

Typische Fehler der Kreditinstitute

Fehler Nr. 1: Unzureichender Passus in Darlehensverträgen der Commerzbank

Von besonderer Bedeutung ist ein Urteil des OLG Frankfurt vom 01.07.2020 (17 U 810/19) = NJW-RR 2020,1121, in dem das Gericht einen  in Immobiliendarlehens- Verträgen der Commerzbank standardmäßig verwendeten Passus als unzureichende Information beanstandete.

 Der vom OLG Frankfurt beanstandete Passus lautet wie folgt:

„7. Voraussetzungen und Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens (…)

Zunächst ermittelt die Bank unter Berücksichtigung etwa vertraglich vereinbarter Sondertilgungsrechte wann und in welcher Höhe Zahlungen vom Darlehensnehmer zu entrichten gewesen wären, wenn das Darlehen fortgeführt worden wäre. In einem weiteren Schritt ermittelt die Bank, welchen Betrag sie zum vorgesehenen Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung anlegen muss, damit der Bank der vereinbarte Betrag zum vorgesehenen vertraglichen Fälligkeitstermin der jeweiligen ausstehenden Rate zur Verfügung stehen würde. Dabei differenziert die Bank wie folgt: Soweit Pfandbriefe mit entsprechenden fristen-kongruenten Laufzeiten vorhanden sind, legt die Bank für die Verzinsung des vorzeitig zurückgezahlten Darlehenskapitals die Zinssätze der entsprechenden am Kapitalmarkt verfügbaren Hypothekenpfandbriefe zugrunde. Die Summe der so ermittelten Anlagebeträge abzüglich des noch nicht zurückgezahlten Darlehensbetrages stellt die Ausgangssumme der Vorfälligkeitsentschädigung dar“

Das OLG Frankfurt gründete seine Feststellung einer unzureichenden Information darauf, dass es die Commerzbank unterlassen habe, darüber aufklären, wie die Berechnung erfolgt, wenn Hypothekenpfandbriefe nicht vorhanden sind wie bpsw. im Falle unterjähriger Laufzeiten.

Nach der Zurückweisung  die seitens der Commerzbank gegen das Urteil des OLG Frankfurt eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde  durch einen Beschluss des BGH vom 28.06.2021  (BGH XI ZR 320/20), erkennt die Commerzbank nunmehr in aller Regel bei dieser Fallkonstellation bei anwaltlich vertretenen Darlehensnehmern an, dass sie keine VfE beanspruchen kann. Die anwaltlich betreute Durchsetzung  des Anspruchs auf Rückzahlung einer bereits entrichteten Vorfälligkeitsentschädigung kann deshalb nunmehr auch Darlehensnehmern empfohlen werden, die über keine eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung verfügen.

Fehler Nr. 2: Fehlerhafte Information über den Zeitraum der geschützten Zinserwartung

d.h. den  Zeitraum, für den eine Vorfälligkeitsentschädigung überhaupt geschuldet wird.

Das ist, falls die Zinsbindung nicht bereits früher endet, der  frühestmögliche Kündigungstermin des Darlehens. Immobiliendarlehen sind gem. § 489 BGB unter Einhaltung einer Kündigungsfrist  von 6 Monaten ohne Entschädigung kündbar, sobald zehn Jahre seit Vollauszahlung verstrichen sind. Die Bank darf ihren Zinsverlust dann  entsprechend nur bis zum erstmöglichen Kündigungstermin berechnen. Wird der Eindruck erweckt, es könne ein Schaden über die gesamte Vertragslaufzeit hinweg berechnet werden, stellt dies einen Fehler dar, der zum Verlust des Anspruches der Bank auf eine VfE führt. So das Landgericht Konstanz, Urteil vom 08.12.2020 (C 4  O 155/20  = BeckRS 2020, 43962), das Landgericht Hamburg, Urteil vom 19.02.2021 (318 O 146/20) = BeckRS 2021, 10496 sowie  LG Darmstadt, Urteil vom 14.06.2022 (13 O 6/22), Urteil des LG Kiel vom 4. 11. 2022 (Az.: 12 O 198/21), Urteil des LG Bonn vom 22.12.2022 (Az 17 O 89/22), Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 26.01.2023 (Az. 4 U 134/21) 

Fehler Nr. 3: Kein Hinweis auf Berücksichtigung der Sondertilgungsoption

In zahlreichen  Kreditverträgen insbesondere der Genossenschaftsbanken (Sparda- und Volksbanken) sowie der Deutschen Privat- und Geschäftskundenbank AG von 2018  fehlt der Hinweis, dass vereinbarte Sondertilgungsrechte zugunsten des Kunden zu berücksichtigen sind. Dadurch fällt die Vorfälligkeitsentschädigung meist deutlich niedriger aus als bei Krediten mit starrer Tilgung. Eine derartige Unterlassung hat gemäß dem (allerdings nicht rechtskräftigen) Urteil des Landgerichts Konstanz vom 08.12.2020 (C 4  O 155/20) = BeckRS 2020, 43962) ebenfalls den Wegfall des Anspruches der Bank auf eine VfE zur Folge. So jüngst auch das Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 26.01.2023 (Az. 4 U 134/21).

Verschiedene Kammern des LG Frankfurt (bspw.  LG Frankfurt, Urteil vom 09.06.2022  2-12 O 370/21) betrachten hingegen einen Hinweis auf die Berücksichtigung der VFE nicht als erforderlich, weil nur die Angabe der Berechnungsmethode geschuldet sei.

Fehler Nr. 4: Nichtangabe des Verhältnisses maßgeblicher Parameter bei der Berechnung des Zinsschadens

Mit einem (nicht rechtskräftigen) Urteil vom 10.02.2021 (2 O 872/19) hat das Landgericht Rostock die Ostseesparkasse zur Rückzahlung von über 23.000 € Vorfälligkeitsentschädigung verurteilt. Sollte dieses Urteil in Rechtskraft erwachsen, wäre die Bahn frei für eine Vielzahl von Parallelverfahren, da das Vertragsformular bundesweit von zahlreichen Sparkassen verwendet wird.

Europarechtliche Argumentation nicht erfolgsträchtig

Wenig erfolgsträchtig war bislang die Berufung auf die  Entscheidung des EuGH  vom 09.09.2021 (Az C -  33/20, C - 155/20, C - 187/20) zur Widerrufbarkeit von KFZ-Finanzierungs- und anderen Verbraucherdarlehensverträgen,. Für diesen Bereich  hatte der EuGH gefordert, dass die  Methode für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung so konkret angegeben werden müsse, dass die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung anhand der im Darlehensvertrag erteilten Informationen durch den Verbraucher errechnet werden könne. Die unterinstanzlichen Gerichte lehnen eine entsprechende Anwendung dieses Urteils  auch auf Immobiliendarlehensverträge unter Bezugnahme auf  den BGH-Beschluss vom 12.10.2021 (XI R 655/20) bisher einhellig ab.

Insgesamt ist die "Großwetterlage" der Rechtsprechung in Sachen Rückforderung der VFE ohnehin gekennzeichnet durch ihre Uneinheitlichkeit. Den erwähnten positiven Entscheidungen steht  eine Reihe von  negativen Urteilen nicht nur der Frankfurter Gerichte zu diesem Thema gegenüber: OLG Frankfurt, Urteil vom 13.08.2021 (24 U 270/20); OLG Stuttgart, Urteil vom 23.02.2022 (9 U 168/21); LG Saarbrücken, Urteil vom 24.06.2022 (1 O 1/22).

Zusammenfassung:

Es lässt sich festhalten, dass von der Regelung des § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB alle Darlehensnehmer profitieren können, bei denen folgende Voraussetzungen gegeben sind:

  • Abschluss der Immobilienfinanzierung als Verbraucher (gilt nicht für Unternehmerdarlehen) mit Abschlusszeitpunkt ab dem 21.03.2016.
  • gilt nach überwiegender Auffassung entsprechend auch, wenn eine Nichtabnahmeentschädigung gezahlt wurde oder eine solche von der Bank verlangt wird. (abweichend allerdings ein nicht rechtskräftiges Urteil des LG Köln vom 27.02.2020, Az. 15 O 379/19, das die analoge Anwendung von § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf die Nichtabnahmeentschädigung verneint).
  • Der Vertrag enthält einen unklaren oder fehlerhaften Hinweis zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung  bzw. eine Fehlinformation über das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder eine unzureichende Angabe zur Vertragslaufzeit.
  • Die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung erfolgte noch nicht oder erst nach dem 31.12.2016. Verjährungsfrist seit Zahlung der VfE (3 Jahre zum Jahresende) Beispiel: Zahlung der VfE 01.07.2019 - Verjährungseintritt 31.12.2022.

Vor diesem Hintergrund kann  auch unter Berücksichtigung dessen, dass in jüngster Zeit mehrere Ombudsmannverfahren für die betroffenen Darlehensnehmer einen vorteilhaften Ausgang nahmen, mit Ausnahme der unter Fehler Nr. 1  geschilderten Fallkonstellation gegenwärtig nur solchen Darlehensnehmern eine gerichtliche Auseinandersetzung mit den Banken empfohlen werden, die eine eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung abgeschlossen haben.

Meine Kanzlei bietet im Rahmen einer kostenlosen Erstberatung eine Einschätzung der Möglichkeiten zur Vermeidung oder Rückforderung einer Vorfälligkeitsentschädigung. Für eine Prüfung werden die betroffenen Kreditverträge benötigt. Unterlagen können per E-Mail (ra-dr-kroells@email.de), Fax (040-880 981 55) oder Post zur Prüfung eingereicht werden.

Homepage: www.dr-kroells-anwaltskanzlei-hh.de





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