DIE LADUNG ALS GEISEL IN DER TRANSPORTKETTE

  • 4 Minuten Lesezeit

Der Streik der usbekischen und kasachischen LKW-Fahrer auf der Raststätte Gräfenhausen ist beendet. In der Öffentlichkeit, den Medien und der Politik rückte er den Fokus auf die zum Teil katastrophalen Bedingungen, unter denen manche Fahrer in Europa arbeiten müssen. Ein anderer Aspekt kam erst zur Sprache, als die Medien das Ende des Streiks schon verfrüht verkündet hatten: Das latente und nicht zu unterschätzende Risiko, dass Ladung bei Konflikten in der Transportkette als Geisel genommen wird.

Das „Sozialdumping“ auf Europas Straßen und die systematischen Verstöße mancher Transportunternehmen gegen bestehende gesetzliche Vorschriften sind seit Jahren bekannt. Zuletzt hat die EU 2022 noch einmal durch das Mobilitätspaket I neue Regelungen und Sozialvorschriften in Kraft gesetzt. Dies allein wird auch in Zukunft nicht zur Beseitigung von Missständen führen. Denn offenbar besteht seit Jahren ein großes Kontroll- und Vollzugsdefizit in den Mitgliedsstaaten. Die Einblicke, die beispielsweise Hauptinspektor Raymond Lausberg von der belgischen Polizei in Vorträgen und Interviews in seine Arbeit in Belgien an der Grenze zu Deutschland gewährt, machen die Dramatik der Situation auch für Außenstehende überdeutlich.        

Weniger im Fokus der Berichterstattung stand ein anderer wirtschaftlich bedeutsamer Aspekt. Wie beispielsweise www.tagesschau.de am 28.04.2023 in einem Beitrag zu diesem Streik berichtete[1], brachte erst die Intervention eines Kunden des Frachtführers die Verhandlungen zwischen den Fahrern und ihrem Arbeit- oder Auftraggeber in Bewegung. Die meisten LKW auf dem Parkplatz waren leer. Zumindest eine wichtige Ladung jedoch befand sich auf dem Parkplatz. Diese wurde dringend benötigt, da ansonsten offenbar ein hoher Schaden bei der Empfängerin drohte. Erst als der letzte Euro gezahlt war, wurde diese Sendung von den Fahrern „freigegeben“.

Eine solche Situation stellt keinen Einzelfall dar. Wenn in der bei Transporten oft langen Vertragskette zwischen daran Beteiligten Streit ausbricht, wird die Ladung nicht selten als „Geisel“ genommen, um die eigenen Forderungen durchzusetzen. Hierin liegt für die Ladungseigentümer, Versender oder Empfänger ein großes Risiko. Wie bei jeder Verspätung können Bandstillstände auftreten, Pönalen und Liquidated Damages ausgelöst oder Substanzschäden durch Verderb verursacht werden. Es besteht das Risiko von Auslistungen bei Kunden oder der vollständigen Entwertung von Saisonware. Diese Konsequenzen für die häufig am Konflikt unbeteiligten Versender oder Empfänger werden genutzt, um in Verhandlungen die eigenen Positionen durchzusetzen.

Nicht in diese Kategorie der „Geiselnahmen“ gehören begründete Pfand- und Zurückbehaltungsrechte. Das deutsche Transportrecht sieht beispielsweise ein Pfandrecht des Frachtführers an dem von ihm beförderten Gut vor, wenn die Fracht für dieses Gut nicht bezahlt wurde (Konnexes Pfandrecht). Werden Pfandrechte an dem beförderten Gut reklamiert, um die Zahlung von Frachten und Entgelte des Frachtführers aus (älteren) Transporten anderer Güter durchzusetzen, ist die Ausgangslage schon etwas schwieriger. Dann besteht an dem gerade transportierten Gut nur ein Pfandrecht, wenn die Forderungen unstreitig sind. Zusätzlich muss dann aber der Absender auch Eigentümer des transportierten Gutes sein (Inkonnexes Pfandrecht). Das ist bei Subunternehmerverträgen regelmäßig nicht der Fall.

Kompliziert wird es, wenn ein deutscher Käufer oder Verkäufer mit dem Transport der Kaufsache einen deutschen Spediteur oder Frachtführer beauftragt und dieser dann ausländische Subunternehmer. Da die Regeln über Pfand- und Zurückbehaltungsrechte international unterschiedlich sind, stellt sich dann die Frage, nach welchem Recht das geltend gemachte Pfand- oder Zurückbehaltungsrecht bei Streit in dieser Vertragskette zu beurteilen ist. Nach deutschem internationalem Privatrecht richten sich Inhalt und Umfang des Pfandrechts nach dem Recht des Staates, in dem sich die Ladung befindet, Art. 43 EGBGB.[2] Der Standort und das Pfandrecht können sich dementsprechend noch während der Auseinandersetzung verändern.

Angesichts der möglichen Schäden, die die Geltendmachung von Pfand- und Zurückbehaltungsrechten oder rechtswidrige „Geiselnahmen“ in der Vertragskette verursachen können, sollten Absender und Versender durch eine sorgfältige Auswahl ihrer Partner und vertragliche Vereinbarungen dafür sorgen, dass es gar nicht zu solchen Auseinandersetzungen kommt. Die Verpflichtung der Vertragspartner zur Einhaltung von sozialen Mindeststandards und pünktlichen Zahlung von Frachten an Subunternehmer, zum Ausschluss von Pfandrechten in der Vertragskette und der Verpflichtung zur Mitteilung, dass Aufträge weitergegeben werden und an wen, kann einige Risiken minimieren.

Ist es trotzdem zu einer „Geiselnahme“ gekommen, wird das Gut also angehalten oder wird gar die Verwertung angedroht, muss schnell gehandelt werden. Erste Wahl zur Lösung solcher Krisen sind dann professionell geführte Verhandlungen mit allen Beteiligten. Parallel sollte - wenn die Voraussetzungen erfüllt sind - eine einstweilige Verfügung beantragt werden, um das Gut zu sichern oder sogar übernehmen zu können.

Robert N. Kuss, LL.M. oec., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht und Internationales Wirtschaftsrecht

[1] Hessen: Lastwagenfahrerstreik von Gräfenhausen ist beendet | tagesschau.de

[2] „Maßgeblich ist nach Art. 43 EGBGB das Recht des Belegenheitslandes (Jesser-Huß in Münchner Kommentar zum HGB, 2. Aufl., Art. 13 CMR Rn. 30; Koller, Transportrecht, 7. Aufl., CMR vor Art. 1, Rn. 19 ), vgl.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 4. April 2018 – 18 U 139/16 –, Rn. 31, juris“

Foto(s): Robert N. Kuss


Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechts- und Fachanwalt Robert N. Kuss LL.M. oec.