Die Verfolgungsverjährung bei der Misshandlung von Schutzbefohlenen

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In erfreulicher (wenn auch noch nicht abgeschlossener) Entwicklung wurde in unserer Gesellschaft bei der Kindeserziehung in den letzten Jahren immer mehr Abstand von Gewalt genommen. Noch bis ins Jahr 2000 hinein war es gewohnheitsrechtlich gerechtfertigt, wenn Eltern ihr Kind zu „Erziehungszwecken“ schlugen. Dagegen ist eine Körperverletzung mittels „grausamer oder boshafter Behandlung an einer noch nicht achtzehnjährigen, schutzbefohlenen Person“ schon seit 1912 unter Strafe gestellt.

Die veränderte Anschauung der Gesellschaft zum Thema Gewalt als Erziehungsmethode fand nach und nach auch in der Gesetzgebung Eingang. Das elterliche Züchtigungsrecht wurde abgeschafft. Seit 2001 haben Kinder gem. § 1631 BGB ausdrücklich ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.

Zudem findet sich der verbesserte Schutz in den Verjährungsregeln wieder. Aufgrund der Novellen des § 78b StGB, welcher bestimmt, wie lange eine Verjährungsfrist ruht, sollte genau hingeschaut werden, wann man Opfer einer Misshandlung als Schutzbefohlener nach § 225 StGB geworden ist. Ist Verjährung eingetreten, bedeutet das, dass die Tat nicht mehr verfolgbar ist und eine Anzeige würde lediglich zu einer Einstellung des Verfahrens führen. Der Täter ist nicht mehr bestrafbar.


Die Misshandlung Schutzbefohlener nach § 225 StGB


1912 wurde eine Körperverletzung mittels grausamer oder boshafter Behandlung, welche an einer noch nicht achtzehnjährigen, schutzbefohlenen Person verübt wird, gemäß § 223a RStGB unter Strafe gestellt.


Zwischenzeitlich befand sich diese Regelung in § 223b RStGB.


Seit dem 01.04.1998 ist die Misshandlung Schutzbefohlener in § 225 StGB normiert und wurde seither nicht mehr verändert. Gemäß § 225 Abs. 1 StGB wird, „wer eine Person unter achtzehn Jahren (…), die seiner Fürsorge oder Obhut untersteht, seinem Hausstand angehört, von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden (…) ist, quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, (…) mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.“


Die Verfolgungsverjährung nach den §§ 78 ff. StGB


Die Verfolgungsverjährung von Straftaten richtet sich nach den §§ 78 ­­- 78c StGB.


Die Dauer der Verjährung lässt sich § 78 Abs. 3 StGB entnehmen und richtet sich gemäß § 78 Abs. 4 StGB "nach der Strafandrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind."


Bei der Misshandlung von Schutzbefohlenen nach § 225 Abs. 1 StGB liegt das Höchstmaß der Freiheitsstrafe bei bis zu zehn Jahren. Somit liegt die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB bei zehn Jahren.


§ 78b StGB normiert, wann eine Frist ruht. Nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB ruht die Verjährung bei Straftaten nach § 225 StGB bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers.

Dies war aber nicht immer so. Am 01.10.2009 wurden Straftaten nach § 225 StGB erstmals unter § 78b StGB gefasst und ruhten zunächst bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.

Am 30.06.2013 wurde diese Dauer auf die Vollendung des 21. Lebensjahres ausgeweitet.

Seit dem 01.07.2021 ruht die Verjährung von Straftaten nach § 225 StGB bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers.


Im Strafrecht gilt das Rückwirkungsverbot.  Es verhindert, dass rückwirkende Strafgesetze geschaffen werden und schützt somit unter anderem den Grundsatz der Rechtssicherheit. Das Rückwirkungsverbot findet auf Verjährungsvorschriften keine Anwendung, wenn die Straftat zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung noch nicht verjährt war, da diese die Verfolgbarkeit und nicht die Strafbarkeit regeln. Nur wenn die Straftat zum Zeitpunkt der Änderung der Verjährungsregel schon verjährt war, kann die Tat nicht nachträglich erneut verfolgbar werden.


Bezogen auf die Misshandlung von Schutzbefohlenen bedeutet das zum Beispiel:


T begeht im November 1999 zu Lasten des damals sechsjährigen O eine Straftat nach § 225 StGB.


Nach der damaligen Rechtslage wäre die Tat im November 2009 verfristet, da Straftaten nach § 225 StGB noch nicht im § 78b StGB beinhaltet waren.


Dies hat sich mit der am 01.10.2009 in Kraft getretenen Novelle geändert. Da die Tat zuvor nach alter Gesetzeslage noch nicht verjährt war, findet die neue Regelung Anwendung. Infolgedessen hätte die Verjährungsfrist bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des O, also dem Jahre 2011, geruht und wäre dann nach weiteren zehn Jahren, im Jahre 2021, eingetreten. 


Weil die Dauer mit der Novelle aus dem Jahre 2013 auf die Vollendung des 21. Lebensjahres abgeändert wurde und die Tat zu diesem Zeitpunkt wiederum noch nicht verjährt war, findet diese Gesetzesänderung auch auf diese Tat Anwendung. In Folge dieser Gesetzesänderung hätte die Tat bis zum Jahre 2014 geruht und die Verfristung wäre im Jahre 2024 eingetreten. 


Da die Tat ebenfalls zum Zeitpunkt der Gesetzesnovelle aus dem Jahre 2021 nicht verjährt war, findet diese gleicherweise Anwendung und verlängert die Dauer des Ruhens um weitere neun Jahre, auf die Vollendung des 30. Lebensjahres. Somit würde die Tat aus 1999 gegenüber dem damals sechsjährigen O bis zum Jahr 2023 mit der Vollendung seines 30. Lebensjahres ruhen und im Jahr 2033 verfristen. Bis dahin sollte O also Anzeige erstatten, will er eine Bestrafung des Täters erreichen.


Autorinnen: Rechtsanwältin Hanna Müller unter Mitarbeit von Ann-Kathrin Eikhorst


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