EncroChat - was war (ist) da los?

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1.
Der Messenger Dienst EncroChat wurde 2014 in den Niederlanden gegründet und auf speziellen Handys vorinstalliert. Ziel war eine sichere und anonyme Kommunikation. Hierbei handelte es sich um eine Ende – zu – Ende – Verschlüsselung.
Die französischen Behörden erhielten Erkenntnisse im Rahmen einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe mit den Niederlanden unter Beteiligung von Eurojust und Europol, die im Rahmen eines Vollzugrifffes zur Sicherstellung großer Datenmengen auf den Servern des Unternehmens EncroChat von April bis Juni 2020 führten. Alleine in Deutschland sind hierbei mehr als 3000 Nutzer erfaßt worden.

2.
Der dringende Tatverdacht in den deutschen Verfahren stützt sich dann auf die Auswertungen der von den französischen Ermittlungsbehörden in einem dortigen Verfahren erlangten und sodann im Rechtshilfeweg an die deutschen Ermittlungsbehörden übermittelten EncroChat-Nachrichten. Der Inhalt der betreffenden Kommunikation über EncroChat ergibt sich aus Daten, die von den französischen Ermittlungsbehörden der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main auf deren Anforderung hin zur Verfügung gestellt worden sind.

3.
Bis alle Daten ausgewertet sind, wird noch Zeit vergehen und es bleibt spannend, da viele rechtliche Fragen hier noch nicht abschließend beantwortet wurden. Das beginnt mit der besonderen Konstellation, dass Ursprung des Verfahrens nicht Deutschland ist, sondern Frankreich und auch in Deutschland Maßnahmen von französischen Behörden erfolgten. Und genau hier beginnen die rechtlichen Fragen. Die vordringlichsten Fragen dürften sein, ob die erlangten Informationen rechtmäßig erlangt wurden und entsprechend nach deutschem Recht auch verwendet werden dürfen.

a)
Die Nutzung von Ermittlungsergebnissen, die aus dem Ausland heraus in Deutschland gewonnen wurden unterliegen einer rechtlichen Kontrolle und bedürfen einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage. Die Ausgestaltung des Verfahrens fällt in das so genannte Souveränitätsrecht des jeweiligen Staates mit der Folge, dass sich zunächst einmal nicht die Frage stellt, ob eine entsprechende Beweiserhebung in Frankreich auch nach deutschem Recht zulässig wäre. Solange die französischen Behörden angeben, dass die dort getroffenen Maßnahmen im Einklang mit dem (dortigen) nationalen Recht stehen, gehen einige Stimmen davon aus, dass die Beweiserhebung in Frankreich zunächst einmal nicht zu beanstanden sei. Die Entscheidungen der Oberlandesgerichte, die allesamt Haftentscheidungen betrafen, haben sich mit dieser Thematik nicht mit der erforderlichen Tiefe auseinandergesetzt, oder sind -nach meiner Auffassung- zu vorschnellen und oberflächlichen Ergebnissen gekommen. Das OLG Hamburg (1. Strafsenat, Beschluss vom 29.01.2021 - 1 Ws 2/21 - 7 OBL 3/21) unterstellt ohne nähere Begründung, dass die in Frankreich durchgeführte Operation als Onlinedurchsuchung gemäß § 100b StPO bzw. TKÜ-Überwachung gemäß § 100a StPO gegen den Beschuldigten durchführbar sei. 

Ist das so? Hier gibt es erhebliche Bedenken. Gemäß § 100a StPO darf auch ohne Wissen des Betroffenen die Telefonkommunikation überwacht werden. Das ist wiederum nur bei sogenannten Katalogstraftaten möglich, also schweren Straftaten. Gleiches gilt für die sogenannte Onlinedurchsuchung nach § 100b StPO. Aber auch diese ist (unter anderem) nur dann zulässig, "wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in Abs. 2 bezeichnete besondere schwere Straftat begangen oder in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat". Dagegen könnte sprechen, dass eine anlaßlose Überwachung nach der Strafprozessordnung (StPO) nicht möglich ist. Es gab auch keine deutschen Gerichtsbeschlüsse, die grundsätzlich erforderlich sind, wenn es um schwerwiegend eingreifende Maßnahmen, wie einer Telefonüberwachung geht. Dieser sogenannte Richtervorbehalt kann und darf nicht umgangen werden, solche Entscheidungen bleiben grundsätzlich dem Ermittlungsrichter vorbehalten. Es dürfte offensichtlich sein, dass das Benutzen eines verschlüsselten Handys mit entsprechender Software keine solche bestimmte Tatsache ist. Es wird vermutet, dass die französischen Behörden zum Zeitpunkt des Zugriffes eben nur davon ausgegangen sind, dass über die verschlüsselte Kommunikation strafbare Handlungen verabredet, geplant etc. wurden. Letztendlich aber waren die Überwachungen (wohl) anlaßlos, das heißt, es gab zunächst keinen konkreten Tatverdacht bezüglich konkreter Straftaten. Es erfolgte wohl eine vollständiger Abgriff aller Daten sämtlicher Nutzer. 

b)
Nicht minder wichtig ist, ob diese erlangten Informationen auch verwertet, sprich von der Justiz für eine Verurteilung verwendet werden dürfen. Hier gibt es die lautesten Gegenstimmen. Leider erleben wir Strafverteidiger es immer wieder, dass auf das Ergebnis geschaut wird, welches am Ende vorliegen "soll" - jedenfalls kann man sich dieses Eindruckes oft nicht erwehren. So heißt es in dem Beschluss des OLG Bremen auf Seite fünf (1. Strafsenat, Beschluss vom 18.12.2020 - 1 Ws 166/20):"Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BGH führen Rechtsverstöße bei der Beweiserhebung nicht in jedem Fall zur Unverwertbarkeit der dadurch erlangten Erkenntnisse. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (sog. Abwägungslehre). Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird." Darüber hinaus existiert Rechtsprechung, dass selbst eine rechtswidrige Gewinnung von Beweismitteln im Ausland diese für das deutsche Strafverfahren nicht zwingend unverwertbar mache. So war es bei der bekannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Falle des Ankaufs einer Daten CD, die rechtswidrig im Ausland erlangte Bankdaten zum Gegenstand hatte. Ein Verwertungsverbot komme nach deutschem Recht nur dann in Betracht, wenn rechtswidrig in den absoluten Kernbereich privater Lebensführung eingegriffen werde ( BVerfG Beschluss vom 9.11.2020 –2 BvR 2101/09).  Und genau hier ist dann das Einfallstor, mit der man mit Blick auf das Ergebnis mühelos eine Abwägung zu Lasten des Beschuldigten begründen kann, indem man dann die Möglichkeit der Strafverfolgung als besonders wichtiges Gut über den Rechtsverstoß bei der Beweiserhebung stellt, oder, um es mit der oben genannten Begründung des Bundesverfassungsgerichtes zu sagen: das (pauschale) Abgreifen von Kommunikation ist kein rechtswidriger Eingriff in den absoluten Kernbereich privater Lebensführung und damit zulässig. 

4. Ausblick
Meiner Meinung nach sind die Begründungen, die bei den Abwägungen zulasten des Beschuldigten ausgehen, konstruiert und nicht konsequent. Hier wird das Pferd von hinten aufgezäumt und der Zweck heiligt die Mittel. Denn grundsätzlich bedeutet das, dass man erst einmal möglicherweise auch nicht rechtskonform Daten und Beweise sammelt und dann schaut, worum es im Kern dessen geht, was gesammelt wurde. Wenn es sich dabei dann um schwerwiegende Straftaten handelt, soll dies entsprechend verwertbar sein, wenn das im Einzelfall betroffene (zu schützende) Rechtsgut nicht den absoluten Kernbereich privater Lebensführung betrifft und eine Abwägung dann zugunsten der Ermittlungsbehörden ausfällt. Es bleibt abzuwarten, ob die Gerichte in diesen Fällen anders entscheiden werden, als zuvor. Große Hoffnung besteht allerdings nicht.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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