EuGH: Kommt die Trendwende bei der Haftung der Hersteller in Diesel-Fällen mit „Thermofenster“?

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Sind Sie im Besitz eines in den letzten Jahren erworbenen Diesel Fahrzeugs? Dann lohnt es sich für Sie, diesen Artikel zu lesen! Er zeigt brandaktuelle, europarechtliche Ansätze auf, um in Diesel-Fällen mit Thermofenster eine lukrative Rückabwicklung oder aber eine stattliche Schadensersatzforderung geltend machen zu können.

Worum es beim sogenannten Thermofenster geht

Nach den Vorgaben des Europarechts dürfen Autos nur eine bestimmte Menge von Schadstoffen ausstoßen. Um die von der EU vorgegebenen Grenzwerte einzuhalten, verwenden die Hersteller Systeme zur Abgasreinigung. Das Thermofenster sorgt dafür, dass sich die Abgasreinigungssysteme nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius einschalten. Bei außerhalb dieses Fensters liegenden Temperaturen wird die Abgasreinigung gestoppt und das Auto stößt eine wesentlich höhere - in der Regel über dem EU-Grenzwert liegende -Menge an Schadstoffen aus.

Europarechtliche Unzulässigkeit des Thermofensters

In einem Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH (Az. C-128/20; C-134/20; C-145/20) vertritt der EuGH-Generalanwalt Rantos in seinen Schlussanträgen vom 23.09.2021 die Ansicht, dass das Thermofenster eine nach geltendem Europarecht unzulässige Abschalteinrichtung darstellt. Die Schlussanträge sind eine Art rechtliches Gutachten, das den Richtern des EuGH zur Entscheidungsfindung dient. Das Urteil in dem Verfahren bleibt noch abzuwarten (Stand: 23.03.2022). In der Regel folgt der EuGH aber den Schlussanträgen des Generalanwalts; so in bisher über 80 % der Verfahren.

Bisherige Ablehnung deliktischer Schadensersatzansprüche durch den BGH

Bereits mit Beschluss vom 19.01.2021 (Az. VI ZR 433/19) hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass der Einsatz eines Thermofensters in einem Auto für sich genommen nicht ausreiche, um einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) gegen den Hersteller zu begründen. Obgleich der EuGH-Generalanwalt Rantos das Thermofenster als unionsrechtswidrig einstuft, hat sich an dieser Meinung des BGH nichts geändert. Danach bestehe im alleinigen Einbau eines Thermofensters nicht die für eine sittenwidrige Schädigung erforderliche „besondere Verwerflichkeit“ des Herstellerverhaltens.

Unabhängig von einer sittenwidrigen Schädigung kommt ein Schadensersatzanspruch aber auch dann in Betracht, wenn die Autohersteller mit dem Einbau des Thermofensters gegen ein sogenanntes „Schutzgesetz“ verstoßen (§ 823 Abs. 2 BGB). Schutzgesetze sind Vorschriften, die zumindest auch den Schutz der Rechte oder der Interessen Einzelner verfolgen. Im Fall des Thermofensters müsste also das EU-Typengenehmigungsrecht gerade auch dazu dienen, den Verbraucher vor einem wirtschaftlichen Schaden durch den Kauf eines Autos mit Abschalteinrichtung zu schützen. Aber auch dies lehnt der BGH seit Mitte 2020 in bisher ständiger Rechtsprechung ab (vgl. Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20).

Ankündigung der Trendwende durch aktuelles EuGH Vorabentscheidungsverfahren

Das Landgericht Ravensburg hat Zweifel an dieser Rechtsprechung des BGH und legte dem EuGH mit Beschluss vom 12.02.2021 (Az. des LG Ravensburg: 2 O 393/20) die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob es sich bei dem EU-Typengenehmigungsrecht um Schutzgesetze handelt. Im Rahmen dieses Vorabentscheidungsverfahrens (Az. des EuGH C-100/21) bestätigte die Europäische Kommission, dass das EU-Typengenehmigungsrecht nach ihrer Meinung auch den Einzelnen vor Schäden schützen soll, die er dadurch erleidet, dass er ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung erworben hat. In der mündlichen Verhandlung am 08.03.2022 entstand der Eindruck, dass sowohl der Generalanwalt als auch die EuGH-Richter das EU-Typengenehmigungsrecht ebenfalls als Schutzgesetze ansehen. Aber nicht nur das: Gegenstand der mündlichen Verhandlung war auch die Frage, ob es den Herstellern überhaupt gestattet sein darf, bei Rückgabe eines mit einer Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs von dem Käufer einen Wertersatz für die bisher gefahrenen Kilometer zu verlangen (sogenannter Nutzungswertersatz). Hiergegen spricht nämlich, dass die Hersteller dann im Falle der Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs immer noch Gewinne erzielen. Infolgedessen bliebe ihr - ggf. vorsätzlicher - Verstoß gegen das Europarecht völlig sanktionslos. Sollte der EuGH entscheiden, dass dem Hersteller kein Nutzungswertersatz zusteht, würde sich der wirtschaftliche Vorteil von Ansprüchen der Käufer erheblich vergrößern.

Auswirkungen des aktuellen EuGH Verfahrens und Handlungsempfehlungen

Nach dem bisherigen Stand des Vorabentscheidungsverfahrens spricht alles dafür, dass der EuGH den Schutzgesetzcharakter des EU-Typengenehmigungsrechts bestätigen wird. In diesem Fall ist der BGH verpflichtet, seine bisherige Rechtsprechung zu korrigieren und das EU-Typengenehmigungsrecht als drittschützend anzuerkennen. Dies würde zu einer weitreichenden Trendwende bei der Haftung in Diesel-Fällen mit Thermofenster führen. Dies gilt insbesondere auch für Fahrzeuge von Mercedes Benz, in denen regelmäßig ein Thermofenster verbaut ist.

Sind Sie im Besitz eines in den letzten Jahren erworbenen Diesel Fahrzeugs? Dann empfehlen wir Ihnen ausdrücklich, sich bereits jetzt mit uns in Verbindung zu setzen, um Ihre Ansprüche auf Schadensersatz oder Rückabwicklung kostenlos prüfen zu lassen. Sollten Ihnen im Lichte der sich ankündigenden Rechtsprechung des EuGH Ansprüche gegen den Hersteller zustehen, bereiten wir bereits jetzt alles für Sie vor, um diese schnellstmöglich nach Veröffentlichung der für Juni 2022 angekündigten Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts für Sie geltend zu machen. Sofern Sie über eine deckende Rechtsschutzversicherung verfügen, übernimmt diese die Kosten für Sie. Ist das nicht der Fall, werden wir - soweit rechtlich zulässig - gerne gegen Erfolgsbeteiligung für Sie tätig. In allen anderen Fällen prüfen wir gerne, ob die Kostenübernahme durch einen Prozessfinanzierer für Ihren Fall in Betracht kommt.

Referenzen

Der Autor hat bereits zwei Leitentscheidungen im Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH im Verbraucherrecht (Widerrufsrecht) gegen die Rechtsprechung des BGH erwirkt (vgl. EuGH, Urteil vom 26.03.2020, Az. C-66/19 sowie Urteil vom 16.09.2021, Az. C-155/20).

Foto(s): www.shutterstock.com


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