Geschafft: Diesel-Richter bringt im Abgasskandal Porsche-Verfahren vor EuGH

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Der Diesel-Richter Dr. Fabian Richter Reuschle hat es geschafft, wovon ihn die Daimler AG seit Monaten abhält: Der Richter am Stuttgarter Landgericht hat ein Verfahren im Diesel-Abgasskandal zur Vorabentscheidung dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. In dem Verfahren (Az. 3 O 31/20) gegen die Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG geht es um wichtige Fragen im Diesel-Abgasskandal, die schon lange auf höchstrichterliche Klärung warten. Was ist unter dem Begriff Abschalteinrichtung zu verstehen? Ist das sogenannte Thermofenster als Emissionsminderungsstrategie zulässig? Müssen die von der EU festgesetzten Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden oder auch im Realbetrieb auf der Straße? Muss der Verbraucher bei der Rückabwicklung des Kaufvertrages eine Nutzungsentschädigung an den Autobauer bezahlen? Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH aus Lahr hält den Gang zum EuGH für dringend notwendig. Schließlich wird im Diesel-Abgasskandal europäisches Recht gebrochen. 

Wichtige Fragen im Diesel-Abgasskandal für den EuGH

Die im Diesel-Abgasskandal involvierten Autobauer fürchten sich wie der Teufel das Weihwasser vor höchstrichterlichen Entscheidungen und versuchen sie, mit allen Mitteln zu verhindern. Diesel-Richter Reuschle gilt als Schrecken der Automobilindustrie. Unter anderem wollte er Ende November 2019 21 Verfahren gegen die Daimler-AG Ende zusammenfassen und ähnliche Fragen wie im Porsche-Fall zur Vorabentscheidung an den EuGH weiterleiten. Daimler reagierte mit einem Befangenheitsantrag, über den noch nicht entscheiden worden ist. Das Ganze weitete sich zu einem handfesten Justizskandal aus. Doch um welche Fragen geht es jetzt im Porsche-Fall? Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer stellt die wichtigsten vor:

1.) Auslegung des Begriffs »Abschalteinrichtung«

Das EuGH soll zu der Frage Stellung beziehen, was überhaupt eine unzulässige Abschalteinrichtung im Abgaskontrollsystem eines Dieselmotors ist. Grundlage ist dabei Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Dürfen in einem Emissionskontrollsystem nur die im Motorstrang nachgelagerte Abgasreinigungsanlage wie Diesel-Oxidations-Katalysatoren, Dieselpartikelfilter und NOx-Reduktionskatalysatoren) verbaut sein?

2.) Auslegung des Begriffs »normale Betriebsbedingungen«

Das ist eine der spannendsten Punkte im Diesel-Abgasskandal. Die Autobauer behaupten vor Gericht, dass die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden müssen. Deshalb lautet eine der Fragen an den EuGH: „Ist Art. 4 Abs. 1 Unterabsatz. 2 in Verbindung mit. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass die Hersteller gewährleisten müssen, dass die in Anhang l der Verordnung festgelegten Grenzwerte auch im Alltagsgebrauch eingehalten werden?“ Hier stellte sich natürlich die Frage, wozu man Grenzwerte braucht, die nur auf dem Prüfstand eingehalten werden.

3.) Zulässigkeit temperaturabhängiger Emissionsminderungsstrategien

Hier geht es um das berühmte Thermofenster, das in unterschiedlichen Varianten von den Autobauern in den Dieselmotoren eingebaut worden ist. Dabei funktioniert die Abgasreinigung nur in einem genau definierten Temperaturfenster. Das führt jedoch dazu, dass teilweise die Emissionsreinigung nur in zwei, drei Monaten des Jahres funktioniert. Deshalb will das Landgericht Stuttgart wissen, ob Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden ist, dass eine Ausrüstung eines Fahrzeugs unzulässig ist, dass die Abgasreinigung nur zwischen 20° und 30°C gewährleistet und außerhalb dieses Temperaturfensters sukzessive verringert. Die Autohersteller argumentieren, dass dies dem Schutz des Motors diene. Deshalb will Richter Reuschle auch noch wissen, ob eine solche „Abschalteinrichtung gleichwohl unzulässig ist, wenn sie fortlaufend außerhalb des Temperaturfensters zwischen 20° und 30°C zum Schutz des Motors arbeitet und dadurch die Abgasrückführung erheblich verringert“.

4.) Auslegung des Begriffs »notwendig« im Sinne des Ausnahmetatbestandes

Hier geht es um die Frage, welche Rolle die verfügbare Spitzentechnologie spielte. War zum Zeitpunkt der Erlangung der Typengenehmigung keine andere Technologie vorhanden, um den Motor zu schützen? Ist, wenn das der Fall ist, eine Abschalteinrichtung zulässig?

5.) Auslegung des Begriffs »Beschädigung« im Sinne des Ausnahmetatbestands

Doch was bedeutet Beschädigung des Motors? Was soll mithilfe der Abschalteinrichtung geschützt werden? In dem Vorlagebeschluss will der Richter wissen, ob Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden ist, dass nur der Motor vor Beschädigung geschützt werden soll. Oder sind davon auch Verschleißteile (wie z. B. das AGR-Ventil) betroffen?

6.) Rechts- und Sanktionswirkungen der Verstöße gegen EU-Recht

Hier wird es besonders interessant auch im Hinblick auf zahlreiche Verfahren gegen VW oder Daimler im Diesel-Abgasskandal. Sind Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2, Art 5 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dahingehend auszulegen und anzuwenden, dass sie zumindest auch das Vermögen des Erwerbers eines Fahrzeugs schützen, das nicht den Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 71572007 entspricht? Wenn dem so ist, liegt es nahe, dass der Verstoß gegen die Grenzwerte bzw. gegen das Zulassungsrecht eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen bei der Rückabwicklung des Fahrzeugs gegenüber dem Hersteller unionsrechtlich verbietet. Kurz gesagt: Der Verbraucher muss bei der Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs dem Hersteller keinen Entgelt für die Nutzung bezahlen.

Zahlreiche Verfahren mittlerweile vor dem EuGH

Das Porsche-Verfahren von Richter Reuschle ist nicht das einzige, dass mittlerweile am EuGH anhängig ist. Am 28. April 2020 wird sich das Luxemburger Gericht mit dem Diesel-Abgasskandal von VW beschäftigen. Der Termin ist bereits zweimal verschoben worden. Generalanwältin Eleanor Sharpston wird ihren Schlussantrag stellen. In der Regel folgt das Gericht bei seinen Urteilen den Argumenten der Generalanwälte. Die Britin Sharpston wird unter anderem wohl definieren, wann Abschalteinrichtungen im Abgaskontrollsystem von Motoren zulässig sind und wann nicht. In dem Verfahren (Az. C-693/18), das ein französisches Gericht zur Klärung nach Luxemburg verwiesen hat, geht es um den Volkswagen-Diesel-Motor EA 189, an dem eine umstrittene Abschalteinrichtung im Jahre 2015 erstmals entdeckt worden war. Urteile des EuGHs sind für nationale Gerichte bindend.

Mittlerweile sind sieben Verfahren im Diesel-Abgasskandal am EuGH anhängig – sechs aus Deutschland und eines aus Frankreich.

Landgericht Gera: Az. C 663/19, Az. C 759/19, Az. C 809/19, Az. C 808/19

Verwaltungsgericht Schleswig: Az. C 873/19

Landgericht Frankenthal: Az. C-685/19

Tribunal de grande instance de Paris: Az. C-693/18

Nicht nur am EuGH warten wichtige Fragen im Diesel-Abgasskandal auf Klärung. Auch am Bundesgerichtshof (BGH) ist der erste Termin in einem Verfahren gegen VW festgelegt worden. Am 5. Mai 2020 geht es um Themen wie Nutzungsentschädigung, Verjährung, Zinsen und vorsätzliche sittenwidrige Schädigung.

Dr. Stoll & Sauer führt Musterfeststellungsklage gegen VW mit an

Bei der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH handelt es sich um eine der führenden Kanzleien im Abgasskandal. Die Kanzlei ist unter anderem auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert. Die Kanzlei führt mehr als 12.000 Gerichtsverfahren im Abgasskandal bundesweit und konnte bereits hunderte positive Urteile erstreiten. In dem renommierten JUVE Handbuch 2017/2018, 2018/2019 und 2019/2020 wird die Kanzlei in der Rubrik Konfliktlösung – Dispute Resolution, gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten besonders empfohlen für den Bereich Kapitalanlageprozesse (Anleger). Die Gesellschafter Dr. Ralf Stoll und Ralph Sauer führen in der RUSS Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) außerdem die Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG. Im JUVE Handbuch 2019/2020 wird die Kanzlei deshalb für ihre Kompetenz beim Management von Massenverfahren als marktprägend erwähnt.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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