Hemmung der absoluten Verjährungsfrist von 10 Jahren infolge Unzumutbarkeit der Klageeinreichung

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In verjährungsrechtlicher Hinsicht beträgt die Halbwertzeit des Rechts nicht selten nur sechs Monate. In anlegerrechtlichen Fällen wird manchmal erst nach Ablauf der absoluten Verjährungsfrist von 10 Jahren ab Entstehung des Anspruches der Schaden unwiderruflich bekannt. Mit dem Erwerb der Kapitalanlage ist der aufklärungsbedingte Schadensersatzanspruch grundsätzlich entstanden. Von diesem Zeitpunkt an läuft die 10-jährige Frist. Maßgeblich ist das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft, BGH-Entscheidung vom 24. März 2015 – XI ZR 278/14.

Später entstehende Anspruchsgründe sind neben dem aufklärungsbedingten Schadensersatzanspruch allerdings auch denkbar. Insoweit kommt es auch auf Durchführungsschäden und nicht nur auf Aufklärungsschäden an.

Ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere oder zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag, Hinweis in dem BGH-Urteil vom 15.6.2010 – XI ZR 309/09.

Es stellt sich die Frage, ob das BGH-Urteil vom 28. 10. 2014 – XI ZR 17/14; LG Stuttgart (lexetius.com/2014, 3970) mit der erstmaligen ausführlich begründeten Bejahung eines späteren Beginns der kenntnisabhängigen Verjährungsfrist aufgrund unzumutbarer Rechtslage auch auf die absolute Verjährungsfrist von 10 Jahren anwendbar ist. Das Urteil behandelt die AGB-rechtliche Wirksamkeit von Bearbeitungsentgeltklauseln bei Bankinstituten in Bezug auf die dreijährige kenntnisabhängige Regelverjährungsfrist. Es heißt dort zwar in Bezug auf die 10jährige absolute Verjährungsfrist:

[47] Verjährt sind hingegen solche Rückforderungsansprüche, bei denen gerechnet vom Zeitpunkt ihrer Entstehung – innerhalb der absoluten kenntnisunabhängigen 10-jährigen Verjährungsfrist des § 199 Abs. 4 BGB keine verjährungshemmenden Maßnahmen ergriffen worden sind,BGH-Urteil vom 28. 10. 2014 – XI ZR 17/14, Rdnr. 47.

Dieser Satz kann möglicherweise nicht isoliert gesehen werden. Denn weiter heißt es in dem Urteil:

„[53] Zwar wird gemäß § 206 BGB die Verjährung bei höherer Gewalt – dem im Verhältnis zu einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage möglicherweise schwereren Tatbestand (Stoffels, NZA 2011, 1057, 1060; Jacoby, ZMR 2010, 335, 338 f.) – nur gehemmt, wenn ein tatsächliches Hindernis innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist vorgelegen hat, ...“ BGH-Urteil vom 28. 10. 2014 - XI ZR 17/14, Rdnr. 53.

Aufgrund dieser vergleichenden Wertung von zweifelhafter Rechtslage mit höherer Gewalt sowie der zwischenzeitlichen Fortbildung des Rechts in Bezug auf das unverjährbare Widerrufsrecht dürfte das Hinausschieben des Verjährungsbeginns in Fällen zweifelhafter Rechtslage in besonders begründeten Ausnahmefällen auch bei der absoluten Verjährungsfrist gerechtfertigt sein. Das Verjährungsrecht erfordert angesichts seines Schutzzwecks eindeutige Verjährungsregeln und eine Auslegung, die die gebotene Rechtssicherheit gewährleistet (vgl. Senatsurteil vom 11. September 2012 – XI ZR 56/11, WM 2012, 2190 Rn. 24). Dennoch sollte in engen Grenzen Ausnahmen gerechtfertigt sein, um dem Gläubiger eine faire Chance zu geben. EU-rechtlich sollte bedacht werden, dass es im Vereinigten Königreich gar keine Verjährung gibt, wenn es um die Rückgabe treuhänderischen anvertrauten Anlegervermögens geht (Verjährung von Organhaftungsansprüchen, Fleischer, Die Aktiengesellschaft, Heft 13 – 14, 5. Juli 2014, Seite 466 f.). Von rechtssystematischer Bedeutung für die Regelhaftigkeit von Verjährungsfristen ist der aktuelle Umstand, dass es bei einem Widerruf wegen unzutreffender Widerrufsbelehrungen derzeit faktisch weder eine Verjährungsfrist (Beginn erst mit ordnungsgemäßer Belehrung) noch eine Verwirkung von Ansprüchen gibt. Die Ausnahmesituation von Rechtsprechungsänderungen stellt an sich bereits einen angemessenen Schuldnerschutz dar und dürfte daher in besonderen Fällen die Hemmung der Verjährung auch in den Fällen der 10Jahresfrist rechtfertigen.

In vielen Fällen wird die Verjährungseinrede seltsamerweise nicht oder falsch begründet erhoben. Dieses liegt daran, dass es für unterschiedliche Berufsgruppen unterschiedliche Verjährungsfristen je nach den Sachverhalten gibt. 


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