Indirekter DNA-Transfer

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Die DNA-Analyse ist eine der derzeit besten Methoden, um Indizien in einem Strafprozess zu bewerten, Tatverdächtige auszuschließen, bereits Verurteilte zu entlasten und auch Tatverdächtige einer Straftat zu überführen. Aber: Die DNA-Analyse ist keineswegs so unfehlbar, wie sie häufig dargestellt und mangels grundlegenden Verständnisses von vielen angesehen wird. Häufig gewinnt ein Verteidiger im Strafprozess den Eindruck, dass es bei Gericht und Staatsanwaltschaft keine Zweifel mehr an der Täterschaft seines Mandanten gibt, sobald ein DNA-Gutachten vorliegt, das den Mandanten mit unvorstellbar hohen Wahrscheinlichkeitszahlen als Spurenverursacher belastet.



Eine DNA-Spur ist jedoch kein Tatnachweis, sondern nur ein Indiz. Auch wenn dies an sich selbstverständlich ist und der BGH seit seinem Urt. v. 12.08.1992 – 5 StR 239/92 immer wieder betont, dass eine DNA-Analyse nur eine Aussage über eine abstrakte biostatistische Wahrscheinlichkeit ist, muss dieser Grundsatz in jedem Verfahren aufs Neue in das Bewusstsein gerufen werden. Er darf nicht zur gedanklichen Leerformel verkommen. Die heutzutage üblichen gigantischen Wahrscheinlichkeiten in diesen Gutachten dürfen den kritischen Blick nicht trüben.

Die DNA-Analyse ist fehleranfällig und deswegen – sofern es der Fall erfordert – immer kritisch zu hinterfragen, das Ergebnis nie einfach als gegeben hinzunehmen. Die Verteidigung darf sich nicht einschüchtern lassen von Sachverständigen und Wahrscheinlichkeiten im Bereich mehrerer Trilliarden.

Es gibt viele Ansatzpunkte für die Verteidigung, eine scheinbar eindeutige DNA-Analyse in ihrem Beweiswert zu entkräften. Technische, die viel Spezialwissen zur DNA-Analyse selbst erfordern und weniger technische, die nur grundlegendes Verständnis zur DNA erfordern. Zu letzteren gehört ein vielversprechender und häufig verhältnismäßig einfacher: 

Die Problematisierung des indirekten DNA-Transfers, auch Sekundärübertragung genannt.

Dieser gründet darauf, dass aus einer DNA-Spur nie ersichtlich ist, wie sie dorthin gekommen ist, wo sie gefunden wurde. Die Spur sagt dem Sachverständigen nicht, wie und wann sie entstanden ist. Auch bei Mischspuren kann nicht gesagt werden, welche Spur zuerst und welche als zweite oder dritte an das Asservat gelangte. Wenn das Gericht hier zweifelt, kann es freisprechen. Der BGH hat mit Urt. v. 19.09.2019 – 3 StR 166/19 die Revision der Staatsanwaltschaft gegen einen solchen Freispruch des Landgerichts Mainz verworfen. Das Landgericht konnte sich nicht von der Täterschaft überzeugen, obwohl u.a. DNA-Spuren des Angeklagten als Hauptspurenverursacher in einer Mischspur an den Tragegriffen der mit Diebesgut gefüllten Taschen gefunden worden waren. Das Tatgericht führte aus, es konnte nicht geklärt werden, wann die DNA dorthin gelangt sei, möglicherweise auch schon während straflosen Vorbereitungshandlungen. Der BGH hat diese Beweiswürdigung nicht beanstandet.

Die Problematik des indirekten Transfers, dass der Angeklagte die Taschen möglicherweise nie berührt hatte, wurde hier nicht thematisiert. Es genügte wieder ins Bewusstsein zu rufen, dass eine DNA-Spur nicht sagt, wann sie entstanden ist. Daneben sollte die Verteidigung aber in geeigneten Fällen immer als zusätzliches Argument auch daran erinnern, dass das „Wie“ der Entstehung genau so unklar sein kann. Möglicherweise hatte der Angeklagte die Taschen nie berührt. Und schon wird es noch schwieriger für das Gericht, wenn weder geklärt werden kann, wann die Spur an den Spurenträger gelangte, noch ob überhaupt durch direkten Transfer, dazu gleich.

Mischspuren sind dabei ein Thema für sich, extrem kompliziert und keineswegs so einfach, wie sie häufig in den DNA-Analysen erscheinen. Auf die speziellen Probleme der Mischspur soll hier nicht weiter eingegangen werden. Dies wäre für die Verteidigung ein sehr technischer Ansatzpunkt, der viel Wissen zur DNA-Analyse selbst erfordert. Deswegen ist es regelmäßig einfacher und häufig von Erfolg gekrönt, zunächst allein den DNA-Transfer zu problematisieren.

Die Übertragung der DNA auf das Asservat / Spurenträger kann durch direkten Kontakt geschehen (direkter Transfer): Sie fassen etwas an und Ihre DNA wird dabei übertragen. Aber auch durch indirekten Transfer. 

Indirekter DNA-Transfer bezeichnet im forensischen Kontext Szenarien, bei denen die DNA einer Person nicht unmittelbar durch sie selbst, sondern indirekt, zB von Person 1 zu Person 2 und von dieser an den Tatort übertragen wurde. Möglich sind auch Transfer-Stufen über mehrere Personen oder Objekte, vgl. die Stellungnahme der gemeinsamen Spurenkommission der rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Institute Vennemann/Oppelt/Grethe/Anslinger/Schneider/Schneider in NStZ 2022, 72ff.

Zur Veranschaulichung: Sie sprechen an einem Tisch mit Person 1. Beim Sprechen verbreiten Sie Ihre DNA durch winzige Speicheltröpfchen. Ihre DNA landet auf dem Tisch oder vielleicht auch an einem Glas, das auf dem Tisch steht. Person 1 berührt den Tisch oder das Glas und nimmt dabei Ihre DNA auf. Person 1 geht zur Toilette und so landet Ihre DNA von der Hand von Person 1 auf der Türklinke der Toilette. Dort nimmt Person 2 Ihre DNA auf und später am Tag würgt Person 2 eine Person 3. An Person 3 wird Ihre DNA gefunden. Ein solcher Übertragungsweg ist tatsächlich möglich.

In einem bekannten Fall aus den USA (Monte Sereno murder case casts doubts on DNA evidence, veröffentlicht in der San Jose Mercury News am 28. Juni 2014 und in zahlreichen Artikeln zur DNA-Forensik behandelt) wurde der obdachlose farbige Alkoholiker Lukis Anderson wegen Raubmordes an einem Millionär verhaftet. Unter den Fingernägeln des erwürgten Opfers, also genau da, wo Abwehrspuren erwartet werden, wurde seine DNA gefunden. Die DNA-Analyse ergab einen Datenbanktreffer und passte zu seinem DNA-Profil. Mr. Andersons DNA-Profil war in der Datenbank, weil er schon früher wegen Hauseinbruchsdiebstahls in der Gegend von Monte Sereno eine Haftstrafe abgesessen hatte. Der perfekte Tatverdächtige. Ein Alibi für die Tatzeit konnte er nicht liefern, weil er keine Erinnerung hatte, wo er an dem Tag gewesen war. Zum Glück wurde ihm ein engagierter und fähiger Pflichtverteidiger zugeteilt. Dieser glaubte trotz des eindeutigen DNA-Beweises an die Unschuld seines Mandanten, forschte nach, ermittelte eigenständig und fand heraus, dass sein Mandant in der Tatnacht völlig betrunken in ein Krankenhaus eingeliefert wurde und dort stationär eine Nacht zur Ausnüchterung blieb. Nun gab es ein unerschütterliches Alibi, nach fünf Monaten wurde die Untersuchungshaft aufgehoben, das Verfahren gegen ihn eingestellt. Es blieb die Frage, wie die DNA von Mr. Anderson unter die Fingernägel des Opfers gelangte. Es stellte sich heraus, dass Mr. Anderson von Sanitätern eingeliefert worden war. Diese hatten ihm an den Finger ein Gerät zum Messen des Blutsauerstoffgehalts angeklemmt. Dieselben Sanitäter waren später in der Nacht mit demselben Gerät auch die ersten, die beim Opfer waren. Sie klemmten ihm dasselbe Gerät an den Finger. Der Klipp war offensichtlich nicht gründlich gereinigt und so gelangte die DNA des Angeklagten unter die Fingernägel des Opfers.

Diese Geschichte klingt wie aus einer Krimifolge, ist aber Realität. Sie ist das beste Beispiel dafür, dass ein noch so eindeutiges DNA-Ergebnis trotzdem immer noch hinterfragt und überprüft werden sollte. Sie veranschaulicht die kuriosen Möglichkeiten des indirekten DNA-Transfers. Jeder Staatsanwalt und Richter sollte sich im Stillen fragen, wie seine Beweiswürdigung der eindeutigen DNA-Spur ausgefallen wäre, wenn der Angeklagte nur bestritten hätte, aber kein Alibi hätte liefern können, weil er sich eben nicht an die Tatnacht erinnern konnte und der Verteidiger bei seinen Nachforschungen nicht auf die Sache mit dem Krankenhaus gestoßen wäre.

Wichtig zu wissen für die Verteidigung:
Indirekter DNA-Transfer geschieht ständig und ist kein außergewöhnliches, nur ganz selten vorkommendes Ereignis. Und: Welche DNA bei einem DNA-Transfer von wem wohin gelangt und wie lange sie dort gefunden werden kann, ist kaum vorhersagbar und immer wieder aufs Neue überraschend. Bis heute gibt es keine wissenschaftlich anerkannten Regeln, nach denen die Wahrscheinlichkeit eines DNA-Transfers zuverlässig und nachvollziehbar bestimmt werden könnte. Die an sich nahe liegenden Annahmen, viel gefundene DNA spricht für direkten Kontakt, wenig gefundene DNA dagegen für einen Transfer oder dass die meiste DNA an einem Gegenstand höchstwahrscheinlich von der letzten Person, die ihn benutzte, stammt, sind wissenschaftlich nicht belegt. Die Person, die direkten Kontakt mit einem Gegenstand hatte, kann gar keine DNA hinterlassen und über Transfer kann DNA an Gegenstände gelangen, die die Person nie berührt hatte. Weder aus der Menge der gefundenen DNA noch aus der Qualität des gewonnenen DNA-Profils lassen sich zuverlässig Rückschlüsse darauf ziehen, wie die DNA an das untersuchte Objekt gelangt ist. Eine der ersten Studien hierzu stammt aus 2013 von Meakin and Jamieson, "DNA transfer"; die meisten Studien auf diesem Gebiet sind englischsprachig.

Dem BGH ist diese Problematik zumindest grundlegend bewusst und er verlangt daher auch stets zu prüfen, ob der Angeklagte nicht als berechtigter Spurenleger am Tatort gewesen sein kann oder ob und inwieweit eine Sekundärübertragung möglich war, vgl beispielhaft BGH 3 StR 31/17. Aufgabe der Verteidigung ist es dafür zu sorgen, dass diese Prüfung nicht oberflächlich und rein der Form halber erfolgt, sondern tatsächlich ernst genommen wird. Bestreitet der Mandant den Anklagevorwurf sind Arbeitshypothesen zu bilden, wie die DNA auf anderem Weg als durch direkten Kontakt an das Asservat gelangt sein kann. Der Sachverständige ist dann zu den Wahrscheinlichkeiten des DNA-Transfers im konkreten Fall zu befragen und die Verteidigung darf sich nicht mit oberflächlichen Antworten zufrieden geben. Häufig kommen Antworten wie der Angeklagte sei Hauptspurenverursacher oder die Menge der gefundenen DNA spreche für einen direkten Transfer. Da muss die Verteidigung gegenhalten und den Sachverständigen nach der Studienlage befragen, ob er zB die oben genannte Studie von Meakin und Jamieson kennt. Der Sachverständige kann gefragt werden, ob er eine Wahrscheinlichkeitsberechnung für den Transfer machen könne, wie in der DNA-Analyse. Regelmäßig wird er es nicht können. Denn dafür müssten auf den konkreten Einzelfall zugeschnittene Studien durchgeführt werden. Wenn er es aber nicht kann, wie kommt er zu seiner Wahrscheinlichkeitsangabe?

Für die Verteidigung vorteilhaft am (indirekten) DNA-Transfer ist, dass Stand heute noch überhaupt nicht klar ist, wie und unter welchen Bedingungen er mit welchen Wahrscheinlichkeiten stattfindet. Nichts Genaues weiß man nicht, obwohl schon ein über ein Jahrzehnt auf diesem Gebiet geforscht wird. Er ist nur so gut wie nie auszuschließen und es stellt sich lediglich die Frage, wie wahrscheinlich er im konkreten Fall ist. Vor allem aber ist er regelmäßig sehr viel wahrscheinlicher als eins zu mehreren Trilliarden. Durch die Problematisierung des DNA-Transfers kann es daher häufig möglich sein, erdrückende Wahrscheinlichkeiten im Bereich mehrerer Trilliarden, Zahlen, unter denen sich keiner etwas vorstellen kann, drastisch herunterzubrechen. Die Spur mag mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu x Trilliarden vom Mandanten stammen, das Ergebnis der DNA-Analyse selbst wird also erstmal gar nicht angegriffen. Aber möglicherweise ist sie nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 % durch direkten und zu 25 % durch indirekten Transfer an das Asservat gelangt. Und schon sieht die Beweislage nicht mehr so erdrückend aus, erst recht, wenn zusätzlich ein Transfer zeitlich vor oder nach der Tat nicht auszuschließen ist. Im Fall Anderson kam beides zusammen, ein indirekter Transfer nach der Tat, aber noch vor der Spurensicherung. Indirekte Transfers nach der Spurensicherung sind auch denkbar, wobei diese dann als Spuren-Kontamination einen Sonderfall bilden, auf den hier nicht näher eingegangen wird. Die Grundlagen bleiben jedoch dieselben.

Es gibt viele weitere Möglichkeiten für die Verteidigung, scheinbar eindeutige DNA-Analysen im Strafverfahren zu hinterfragen und in ihrer Beweiskraft zu entkräften. Dies ist eines meiner Spezialgebiete und gerne stehe ich Ihnen für Fragen und Tipps auf diesem Gebiet zur Verfügung.

Foto(s): pixabay.com und dem Autor

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