Können getrenntlebende Eltern übereinstimmend das Sorgerecht auf einen von ihnen übertragen?

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Einleitung

Wer kennt den Spruch nicht: wo kein Kläger, da kein Richter. Der Volksmund will damit ausdrücken, dass ein Richterspruch dann gerade nicht nötig ist, wenn sich alle Beteiligten einig sind und sich keiner von ihnen gestört fühlt.

Aber stimmt diese Annahme auch im Rahmen des Sorgerechts? Können Eltern die elterliche Sorge einvernehmlich auf einen der beiden Elternteile übertragen, oder geht das nicht? Im juristischen Fachjargon heißt das Sorgerecht übrigens elterliche Sorge. Dieser Beitrag versucht zu klären, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist. Es wird sich zeigen, dass der eingangs zitierte Spruch im Familienrecht nicht uneingeschränkt gilt.

Dabei kann dieser Beitrag nicht auf alle erdenklichen Besonderheiten etwaiger Einzelfälle eingehen und erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ersetzt in Zweifelsfällen keinesfalls das Aufsuchen eines Rechtsanwalts, um eine umfassende Rechtsberatung im Einzelfall zu erhalten.

Ausgangsfall

Mit dieser Frage hatte sich unlängst das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg in dem Beschluss vom 16.05.2022 – 13 UF 113/21 zu befassen.

In dem zu entscheidenden Fall beantragte der Vater die Übertragung eines Teiles der elterlichen Sorge – nämlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht – für seine 12-jährige Tochter. Seit der Trennung der Eltern lebte die Tochter bei der Mutter. Allerdings wollte die Tochter fortan bei ihrem Vater wohnen und leben. Zunächst verweigerte die Mutter eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater. Später willigte die Mutter hierin aber ein. Alle Beteiligten waren sich dann also eigentlich einig.

Lösung

Zunächst ist festzuhalten, dass eine Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil nach den gesetzlichen Bestimmungen ausschließlich dem Familiengericht vorbehalten ist. Eltern brauchen daher für die Übertragung oder Änderung des Sorgerechts stets ein Verfahren vor dem Familiengericht; auch wenn sich die Eltern einig sind. Insofern stimmt der oben zitierte Spruch bereits deshalb nicht vollständig.

Allerdings wäre das Familienrecht unter Umständen an den übereinstimmenden Willen der beiden Elternteile gebunden. Dann könnte das Familiengericht keine andere Entscheidung treffen, als diese, auf die sich die Eltern geeinigt haben.

Dies ist nach § 1671 Abs. 1 Nr. 1 BGB dann der Fall, wenn ein Elternteil die Übertragung der elterlichen Sorge beim Familiengericht beantragt, der andere Elternteil dieser Übertragung und das über 14 Jahre alt Kind der Übertragung zustimmen. Wenn also das Kind älter als 14 Jahre ist und sich alle drei Beteiligten einig sind, dass das Sorgerecht auf einen Elternteil übertragen wird, wird das Familiengericht diese beantragte Übertragung vornehmen. Das setzt aber gerade voraus, dass das Kind bereits mindestens 14 Jahre alt ist. Denn man geht davon aus, dass Kinder ab diesem Alter abschätzen können, was dem Kindeswohl entspricht und was nicht. Geht also ein älter als 14 Jahre altes Kind davon aus, dass die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil seinem Wohl entspricht, berücksichtigt dies das Gesetz und damit auch das Familiengericht, wenn zudem beide Elternteile derselben Meinung sind.

Wenn das Kind jedoch jünger als 14 Jahre ist, ist der Prüfungsmaßstab im Grunde zwar vergleichbar. Allerdings kann in solchen Fällen nicht davon ausgegangen werden, dass nur wegen des Willens des Kindes keine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Stattdessen muss das Familiengericht in solchen Fällen prüfen, ob die gewünschte Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil eine Gefährdung des Kindeswohls darstellt.

Nachdem die Tochter im Ausgangsfall erst zwölf Jahre alt war, musste das Gericht feststellen, ob die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater das Kindeswohl gefährden würde und konnte nicht strickt nach dem Willen der Tochter entscheiden. Auch obwohl sich alle drei Beteiligten einig waren. Vielmehr musste das Gericht etwa überprüfen, ob es Anhaltspunkte dafür gab, dass der Vater nicht erziehungsgeeignet sein könnte oder ob die Wohnung und das Umfeld des Vaters kindgerecht war. Das Gericht berücksichtigte sodann bei seiner Entscheidung auch den Willen der Tochter. Das OLB Brandenburg hat in dem zugrundeliegenden Fall schließlich, nachdem es keine Kindeswohlgefährdung feststellen konnte,  die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater vorgenommen.

Denn wenn die Tochter gerne bei Ihrem Vater leben und wohnen möchte, spricht einiges dafür, dass dies dem Kindeswohl dienen wird. Sprechen also keine sonstigen Gründe gegen eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater, wird das Gericht das Sorgerecht auf den Vater übertragen. So auch geschehen in dem Fall vor dem OLG Brandenburg.

Hätte das Gericht andernfalls festgestellt, dass aus anderen Gründen eine Kindeswohlgefährdung vorgelegen hätte, hätte das Gericht das Sorgerecht nicht übertragen können, sondern hätte vielmehr von Amts wegen – also selbstständig – ein Verfahren nach § 1666 BGB (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls) einleiten müssen.

Fazit

Nein, Eltern können nicht uneingeschränkt einvernehmlich das Sorgerecht ihrer gemeinsamen Kinder auf einen von ihnen übertragen. Zum einen erfordert die Übertragung des Sorgerechts stets ein gerichtliches Verfahren, da der formelle Akt der Sorgerechtsübertragung nur durch ein Gericht vorgenommen werden kann. Die Übertragung der elterlichen Sorge oder einzelne Teile davon (z. B. das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder die Gesundheitsfürsorge) auf einen der Elternteile hängt aber zudem immer von dem Kindeswohl ab. Es ist immer festzustellen, ob die Sorgerechtsübertragung für das Kind gut ist. Bei Kindern über 14 Jahren kann dies daraus folgen, dass das Kind selbst der Übertragung der elterlichen Sorge nicht widerspricht. Bei Kindern unter 14 Jahren muss indes ein Gericht überprüfen, ob die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen der Elternteile eine Kindeswohlgefährdung darstellt. Das „letzte Wort“ im Rahmen einer Sorgerechtsübertragung hat damit immer das Kindeswohl.

Foto(s): https://pixabay.com/de/illustrations/familie-scheidung-trennung-ehe-3090056/

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