Kündigungsschutz für Schwangere bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages

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Einführung

Eine schwangere Frau darf nicht gekündigt werden – dies bestimmt § 17 Abs. 1 Satz 1 des Mutterschutzgesetzes (hiernach „MuSchG“). Aber gilt dieser Schutz auch bereits bei einer Schwangerschaft vor Aufnahme der Tätigkeit?

 

Der Kündigungsschutz von Schwangeren nach § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG

§ 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG legt fest:

„Die Kündigung gegenüber einer Frau ist unzulässig

1. während ihrer Schwangerschaft,

2. bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche und

3. bis zum Ende ihrer Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung,

wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft, die Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche oder die Entbindung bekannt ist oder wenn sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.“

Eine Kündigung, die entgegen dieser Vorschrift ausgesprochen wird, ist nach § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hiernach „BGB“) nichtig.

Wichtig ist, dass der Kündigungsschutz auch dann eingreift, wenn die Schwangerschaft dem Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt der Kündigung mitgeteilt wird – vorausgesetzt, die Schwangerschaft bestand bereits beim Zugang der Kündigung. Einen Nachweis über die Schwangerschaft durch ärztliches Zeugnis oder das Zeugnis einer Hebamme muss die Schwangere zu diesem Zeitpunkt noch nicht zwingend vorlegen, sondern erst auf Verlangen des Arbeitgebers (§ 15 Abs. 2 MuSchG). Es kann sich trotzdem empfehlen, diesen Nachweis bereits mit der Mitteilung über die Schwangerschaft einzureichen.

 

Kündigungsschutz bereits vor Aufnahme der Tätigkeit?

Unklar war bislang, ob der Kündigungsschutz für Schwangere auch bereits dann eingreift, wenn die Schwangerschaft nach dem Abschluss des Arbeitsvertrages, aber noch vor Beginn der Tätigkeit festgestellt (und dem Arbeitgeber mitgeteilt) wird. Diese Frage ist inzwischen vom Bundesarbeitsgericht (hiernach „BAG“) entschieden worden (BAG Urt. v. 27.02.2020 – 2 AZR 498/19).

Der Entscheidung des BAG lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Parteien schlossen im Dezember 2017 einen Arbeitsvertrag, der die Arbeitsaufnahme zum 01.02.2018 vorsah. Im Vertrag war u.a. eine Probezeit von sechs Monaten festgelegt, in welcher das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden konnte. Am 18.01.2018 informierte die Arbeitnehmerin, eine Rechtsanwaltsfachangestellte, ihren Arbeitgeber darüber, dass bei ihr eine Schwangerschaft festgestellt worden sei; aufgrund einer chronischen Vorerkrankung sei ihr „mit sofortiger Wirkung ein komplettes Beschäftigungsverbot“ attestiert worden. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 14.02.2018. Hiergegen erhob die Arbeitnehmerin Klage.

Das BAG hat entschieden, dass die Kündigung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Verbindung mit § 134 BGB nichtig war. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG gelte auch für eine Kündigung vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme. Es komme, so die Richter, nur darauf an, dass ein Rechtsverhältnis bestehe, das auf eine Beschäftigung gerichtet sei, und ein solches werde bereits durch den Abschluss des Arbeitsvertrages begründet.

Das Gericht sieht zwar durchaus, dass der Gesetzeswortlaut nicht eindeutig ist; allerdings ergebe sich dieses Ergebnis im Wege der Auslegung unter Beachtung der Vorschriften des Anwendungsbereichs des Gesetzes (§ 1 MuSchG). Die Nichtigkeit einer Kündigung vor Tätigkeitsaufnahme folge außerdem auch aus dem Normzweck des Kündigungsverbotes in § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG. Dieser solle die Schwangere vor dem Verlust des Arbeitsplatzes schützen. Auch Art. 10 der Richtlinie 92/85/EWG spreche für dieses Ergebnis, denn danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, „um die Kündigung der Arbeitnehmerinnen […] während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs […] zu verbieten“. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (hiernach: „EuGH“), der bereits entschieden hat, dass das Kündigungsverbot gemäß Art. 10 Nr. 1 der Richtlinie 92/85/EWG „während der gesamten Schwangerschaft“ bestehe (EuGH Urt. v. 11.11.2010 - C-232/09).

 

Praktische Auswirkungen

Die Entscheidung des BAG stärkt die Rechte von Schwangeren. Frauen müssen nun nicht mehr befürchten, bei einer Schwangerschaft noch vor Beginn der Tätigkeit direkt mit einer Kündigung konfrontiert zu werden. Die durch eine Kündigung in einer solchen Situation oftmals hervorgerufenen Existenzängste und sonstigen negativen Folgen können für die werdende Mutter sehr belastend sein und im schlimmsten Fall dazu führen, dass die Schwangerschaft abgebrochen wird. Solche Ängste müssen Schwangere nach dem Urteil des BAG nun nicht mehr haben.

Für Arbeitgeber ist dieses Ergebnis – bei rein wirtschaftlicher Sichtweise – demgegenüber nicht befriedigend. Arbeitgeber müssen sich darüber im Klaren sein, dass der Kündigungsschutz von Schwangeren bereits mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrages beginnt. Da Fragen nach einer möglichen Schwangerschaft oder der Familienplanung der Bewerberin im Rahmen des Bewerbungsverfahrens verboten sind – die Bewerberin hat in diesem Fall ein „Recht zur Lüge“ – kann der Abschluss des Arbeitsvertrages auch nicht etwa wegen arglistiger Täuschung angefochten werden. Die einzige Möglichkeit für den Arbeitgeber besteht dann darin, einen Antrag bei der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde zu stellen, die Kündigung ausnahmsweise doch für zulässig zu erklären (§ 17 Abs. 2 MuSchG). Die Hürden dafür sind jedoch hoch, weil dafür gewichtige Gründe, die nichts mit der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin zu tun haben, dargetan werden müssen. Es kommt daher auch nur sehr selten vor, dass die zuständigen Behörden einem solchen Antrag stattgeben.

Ich berate Sie gerne zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz für Arbeitnehmer. Bitte zögern Sie nicht, mich zu kontaktieren.

Foto(s): RA Dr. Lutz Schmidt, LL.M.

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