LAG Berlin: erneute Kündigung nach 1. Instanz nicht durch Berufung angreifbar!

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Spricht der Arbeitgeber nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils in einer Kündigungsschutzklage weitere Kündigungen aus, muss der Arbeitnehmer gegebenenfalls erneut klagen. Ob die neuen Kündigungen zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht werden können, richtet sich nach den engen Vorschriften zur Klageänderung gem. § 533 ZPO. Dies gilt auch dann, wenn erstinstanzlich ein allgemeiner Feststellungsantrag gestellt wurde der mit der Berufung weiterverfolgt wird.


Was war passiert?


Gegenstand des Urteils war eine Kündigungsschutzklage.

Der Beklagte Arbeitgeber war der Insolvenzverwalter einer Luftverkehrsgesellschaft, über deren Vermögen 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Klägerin war seit 2007 bei dem Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgängerinnen als Flugbegleiterin beschäftigt. Mit Schreiben vom 27. Januar 2018 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis.

Dagegen erhob sie am 15. Februar 2018 Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Berlin. Sie hielt ihre Kündigung für sozial ungerechtfertigt und u. a. wegen Fehler im  Massenentlassungsverfahren für rechtsunwirksam. Neben der Feststellung, dass die Kündigung vom 27. Januar 2018 unwirksam war, stellte sie auch einen allgemeinen Feststellungsantrag, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände, insbesondere weitere Kündigungen, aufgelöst worden wurde

Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage mit Urteil vom 14. Januar 2019 ab und begründete dies damit, die Kündigung sei aufgrund der erfolgten Stilllegung des Betriebes durch betriebsbedingte Gründe gerechtfertigt. Der allgemeine Feststellungsantrag sei mangels Feststellungsinteresse unzulässig, da neben der streitgegenständlichen Kündigung keine weiteren Beendigungstatbestände, insbesondere keine anderen Kündigungen, erkennbar seien.

Die Klägerin ging am 27. Februar 2019 in Berufung. Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zum allgemeinen Feststellungsantrag seien ihr zufolge unzutreffend, da der Beklagte nicht erklärt habe, keine weiteren Kündigungen auszusprechen.

Mit Schreiben vom 27. August 2020 und vom 28. Januar 2021 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut.

Während des andauernden Berufungsverfahrens erweitere die Klägerin die Klage auf diese neuen Kündigungen. Sie seien sozial ungerechtfertigt, aber auch wegen eines Verstoßes gegen das Kündigungsverbot nach § 613 a Abs. 4 BGB rechtwidrig, daneben nannte die Klägerin auch neue Gründe für die Unwirksamkeit der Kündigungen.
Dass sie nun andere Kündigungen als in der ersten Instanz zum Gegenstand der Berufung mache, sei eine zulässige Klageänderung im Sinne des § 533 ZPO.

Die Umstellung des Antrags sei insbesondere sachdienlich, weil es um das selbe Arbeitsverhältnis gehe, für das der selbe Beendigungstatbestand in Betracht käme. Andernfalls müsse die Klägerin eine weitere Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erheben, was nicht prozesswirtschaftlich zu rechtfertigen sei.

Im Rahmen des Verfahrens erkannte der Beklagte die Unwirksamkeit der ersten Kündigung vom 27. Januar 2018 an, woraufhin das erstinstanzliche Urteil in diesem Punkt abgeändert wurde, hielt aber an den später ausgesprochenen und unterschiedlich begründeten Kündigungen fest.

Somit beantragte die Klägerin zuletzt die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die beiden später ausgesprochenen Kündigungen aufgelöst worden ist.


Der Beklagte hielt dies für eine unzulässige Klageerweiterung.

Das LAG entschied die Berufung sei zulässig, aber stelle hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags gegen die beiden späteren Kündigungen eine unzulässige Klageerweiterung dar.


Der rechtliche Hintergrund


Mit der Kündigungsschutzklage stellt der Arbeitnehmer einen Antrag nach § 4 S. 1 KSchG, wonach festgestellt werden soll, dass das Arbeitsverhältnis durch eine konkrete, mit dieser Klage angegriffene Kündigung nicht beendet wurde (sog. „punktueller Streitgegenstand“).

Grund dafür ist die materielle Präklusionswirkung einer Kündigung gem. §§ 4, 7 KSchG. Danach wird die Unwirksamkeit einer Kündigung geheilt, wenn der Arbeitnehmer sich nicht innerhalb einer Drei-Wochen-Frist ab Kündigungszugang gegen ebendiese wehrt. Nach gefestigter Rechtsprechung des BAG kann ausschließlich die in § 4 KSchG vorgesehene punktuelle Kündigungsschutzklage verhindern, dass diese Wirksamkeitsfiktion einer Kündigung eintritt.

In der Präklusionswirkung liegt auch die Gefahr des punktuellen Streitgegenstandes. So könnte ein Arbeitgeber einfach mehrfach die Kündigung erklären und hoffen, dass es der Arbeitnehmer versäumt, sich gegen eine der Kündigungen mit der punktuellen Kündigungsschutzklage zu wehren.

Um diese Gefahr für den Arbeitnehmer zu entkräften hat die Rechtsprechung die Möglichkeit entwickelt, einen sogenannten kombinierten Kündigungsschutzantrag („Schleppnetzantrag“) zu stellen. Dieser stellt eine Kombination aus punktuellem Kündigungsschutzantrag und einem allgemeinen Feststellungsantrag dar. Der Feststellungsantrag ist dabei darauf gerichtet, ggf. erklärte weitere (inhaltsgleiche) Kündigungen in den Prozess mit einzubeziehen ohne sie einzelnen angreifen zu müssen. Ziel ist dabei die Fristwahrung des § 4 KSchG und die Verhinderung der angesprochene Präklusionswirkung des § 7 KSchG.

Dies entbindet den Kläger aber nicht gänzlich von der Pflicht die einzelnen Kündigungen nachträglich zu benennen und so zum (punktuellen) Streitgegenstand zu machen.

Hat der Arbeitnehmer die allgemeine Feststellungsklage mit der punktuellen Klage kombiniert, so muss er aus der allgemeinen Klage einen weiteren (oder mehrere) punktuellen Kündigungsschutzantrag „herausschälen“. Das heißt, er muss die konkrete Feststellung beantragen, dass das Arbeitsverhältnis (auch) durch diese Kündigung nicht aufgelöst wurde. Prozessual handelt es sich dabei um eine gem. § 264 Nr. 2 ZPO stets zulässige Klageänderung im Sinne einer Erweiterung des Antrages. Als Klageänderung im Sinne des § 263 ZPO ist jede Änderung des bisherigen Streitgegenstands ebenso wie die zusätzliche Geltendmachung eines neuen Streitgegenstands anzusehen. Für diese Antragserweiterung wird dem Arbeitnehmer dabei eine verlängerte Anrufungsfrist analog § 6 S. 1 KSchG gewährt. Das hat den enormen Vorteil, dass der Arbeitnehmer nicht in Zeitdruck gerät, sich innerhalb der kurzen Frist des § 4 KSchG rechtzeitig gegen eine mögliche Vielzahl von weiteren Kündigungen verteidigen zu müssen.


Das Problem: die Zäsurwirkung des erstinstanzlichen Urteils



Der kombinierte Kündigungsschutzantrags mit dem „Privileg“, dass die „herausgeschälten“ Anträge eine stets zulässigen Klageänderung darstellen, funktioniert nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung 1. Instanz. Wechselt der Prozess in das Berufungsverfahren und werden im Verlaufe dessen neue und anderweitig begründete Kündigungen ausgesprochen, muss der Arbeitnehmer diese Kündigungen (wie in erster Instanz) punktuell angreifen.

Dafür muss der Arbeitnehmer aber neu klagen, so das LAG Berlin. Eine Erweiterung des Antrags in der Berufungsinstanz stelle zwar ebenfalls eine Klageänderung im Sinne des § 263 ZPO dar, diese richte sich aber nun nach der speziellen Berufungsvorschrift des § 533 ZPO. Danach sind Klageänderungen nur zulässig, wenn der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. Auf „privilegierte“ Änderungen des Klageantrages im Sinne des erstinstanzlich angewendeten § 264 ZPO findet § 533 ZPO hingegen keine Anwendung.

Diese Voraussetzungen sah das LAG für nicht gegeben an. Die beiden nachträglichen Kündigungsschutzanträge, seien zwei völlig neue Lebenssachverhalte, die nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung waren. Die Entscheidung über die späteren Kündigungen könne somit nicht auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht ohnehin zugrunde zu legen habe. Es handle sich um neuen Vortrag, der einen gegenüber dem erstinstanzlichen Vortrag vollkommen anderen Sachverhalt betreffe. Insbesondere waren die beiden nachträglichen Kündigungen anders begründet worden. Dabei reiche nicht aus, dass es um den Bestand des selben Arbeitsverhältnisses gehe. Im Rahmen des punktuellen Streitgegenstandes käme es nur auf den Inhalt der jeweiligen Kündigung an.


Reichweite des allgemeinen Feststellungsantrags begrenzt


An der Bewertung ändere sich auch dadurch nichts, dass sich die Klägerin mit der Berufung gegen die erstinstanzliche Abweisung des gestellten allgemeinen Feststellungsantrags wendete und diesen dadurch aufrechterhielt. Gegenstand des allgemeinen Feststellungsantrags sei der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den Termin der angegriffenen Kündigung hinaus bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der (jeweiligen) Tatsacheninstanz. Davon erfasst seien alle nach dem Vortrag der Parteien in Betracht kommenden Beendigungsgründe. Zeitliche Grenze sei aber die letzte mündliche Verhandlung in der jeweiligen Tatsacheninstanz. Der in der ersten Instanz gestellte allgemeine Feststellungsantrag könne demnach nicht solche Kündigungen erfassen, die erst nach diesem Zeitpunkt ausgesprochen wurden.

Die Berufung der Klägerin diene vielmehr dem Ziel, die Einhaltung der Klagefrist auch hinsichtlich zukünftiger Kündigungen zu gewährleisten. Der durch die Berufung weiterverfolgte Feststellungsantrag sei so zu verstehen, dass die Klägerin sich auch weiterhin gegen zukünftige, aber noch nicht bekannte Beendigungstatbestände wehren wolle. 

Das LAG lässt bei seiner Entscheidung anklingen, dass die Einlegung der Berufung und die Aufrechterhaltung des allgemeinen Feststellungsantrags zumindest der unmittelbaren Präklusionswirkung der §§ 4, 7 KSchG hinsichtlich später erklärten Kündigungen entgegenstehen könnten. Gegenstand des Berufungsverfahrens können sie aber nicht werden. Insofern könnte ein Arbeitnehmer zwar fristwahrend Berufung einlegen um zu sondieren welche weiteren Kündigungen im Raum stehen, muss dann aber in einem neuen Prozess gegen diese vorgehen.

Begründet wird diese Zäsurwirkung mit § 6 KSchG der mit dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eine zeitliche Grenze zieht. Danach kann man auch nach Ablauf der Frist des § 4 KSchG Gründe gegen eine konkrete Kündigung vortragen. Diese Bestimmung findet ausgehend von ihrem Regelungszweck auch auf eine allgemeine Feststellungsklage entsprechende Anwendung. Dabei wendet sich der Arbeitnehmer gegen Beendigungstatbestände, die von einem bereits gestellten punktuellen Antrag nicht erfasst sind. Ein solcher „Schleppnetzantrag“ könne zwar den zuvor erläuterten Schutz vor der Präklusionswirkung bewirken, dies ist aber nur möglich, wenn überhaupt weitere Kündigungen absehbar sind. Das war im Streitfall nicht gegeben, da zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung noch gar keine weiteren Kündigungen bekannt waren.

Ein solches Verständnis schließt eine Behandlung einer später ausgesprochenen Kündigung im Rahmen des Berufungsverfahrens nicht aus, knüpft diese aber an das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 533 ZPO. Liegen diese nicht vor, muss der Arbeitgeber, wie im normalen Zivilprozess auch, erneut klagen.

Fazit:


Der gekündigte Arbeitnehmer hat es in einem Fall, wo er nach dem Ende der mündlichen Verhandlung erster Instanz von einem weiteren Kündigungstatbestand erfährt selbst in der Hand: Erhebt er eine neue Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht, oder geht er in Berufung und erweitert die Klage entsprechend der neuen Kündigung. Dabei trägt er dann das Risiko ihrer Unzulässigkeit, sollten die Voraussetzungen des § 533 ZPO nicht erfüllt sein. Eine Einwilligung des Gegners zur Klageänderung wird selten zu erwarten sein. Der Umweg über die Berufung macht nur dann Sinn, wenn die weiteren Kündigungen auf dem selben Sachverhalt beruhen und insofern nur der entsprechende Vortrag ergänzt werden muss. Sind neue Feststellungen zu einem neuen Sachverhalt erforderlich, bleibt nur der Weg über eine neue Klage. Die Einlegung der Berufung hinsichtlich des allgemeinen Feststellungsantrags scheint aber wenigstens den Nutzen zu haben, die Präklusionswirkung der späteren Kündigungen zu hemmen.




LINDEMANN Rechtsanwälte

Rechtsanwalt Stephan Kersten

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Foto(s): LINDEMANN Rechtsanwälte

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