Medizinrecht - Brustimplantatshersteller Allergan in schwerer Bredouille, 150.000,- Euro, LG Saarbrücken, Az 16 O 130/22

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Chronologie:

Die Klägerin ließ sich im Dezember 2015 Brustimplantate des Herstellers Allergan einsetzen. Dabei handelt es sich um Implantate mit einer rauen sogenannten Biocell-Oberfläche. Aufgrund schmerzhafter Schwellungen in der linken Brust ließ sie in 2019 eine Kernspintomographie des Thorax durchführen. Hierbei wurde eine Flüssigkeitsansammlung festgestellt. Nach einer weiteren Mammasonographie wurde ihr dringend angeraten, die Brustimplantate, sowie hyperechogene Lymphknoten entfernen zu lassen. Es waren mehrere Folgeoperationen erforderlich. Die Klägerin leidet unter depressiven Belastungsstörungen.

Verfahren:

Das Landgericht Saarbrücken hat zu dem Vorfall einen 19seitigen Hinweis- und Beweisbeschluss erlassen, in dem zunächst der Streitwert auf insgesamt 150.000,- Euro festgesetzt wurde. Ferner hat das Gericht einen Vergleichsabschluss angeregt, über dessen Abschluss und Inhalt die Klägerin strengstes Stillschweigen zu bewahren hat.

Anmerkungen von Ciper & Coll.:

Einmal mehr kommt es für den Brustimplantatshersteller Allergan anders als gedacht und ständig und ausnahmslos vorgetragen: Entgegen der kolportierten Fehlerfreiheit der streitgegenständlichen Implantate, erlassen bis dato sämtliche deutschen Landgerichte in den von den Betroffenen angestrengten Verfahren Beweisbeschlüsse, nachdem gerichtlichen Vergleichsvorschlägen anlässlich der ersten mündlichen Verhandlung nicht von seiten der Parteien nähergetreten werden. Hiergegen sträuben sich die Allergan-Vertreter mit heftiger Vehemenz: so heißt es z.B. in einem weiteren von einer Betroffenen am Landgericht Landshut eingereichten Klage gegen Allergan (Az. 45 O 233/23), man sähe keine Grundlage für den Beweisbeschluss des Gerichtes, und weiter: dieser sei „nicht statthaft“. Das sehen deutsche Gerichte dann doch ganz anders, wie etwa das Landgericht München I (Az. 15 O 10526/22), oder das Landgericht Magdeburg, um nur einige der bundesweit involvierten Gerichte zu benennen. Auch die zahlreichen in Großbritannien gegen den in Marlow/GB sitzenden Hersteller eingereichten Klagen sind sämtlichst noch gerichtlich anhängig, oder stehen kurz vor Klageeinreichung. Hintergrund des Allergan-Brustimplantatskandals ist folgender:

In 2019 rief der Medizinproduktehersteller Allergan weltweit seine BIOCELL-Brustimplantate zurück. Grund hierfür, auch wenn Allergan dieses stets gerne bestreitet, waren Warnhinweise der französischen Aufsichtsbehörde ANSM, die bestimmte Brustimplantate in 2019 aus dem Verkehr ziehen ließ, denn die sogenannten rauen oder strukturierten Allergan-Implantate stehen im Verdacht, das Wachstum von ALCL (anaplastisches großzelliges Lymphom), einer aggressiven Karzinomform,  zu begünstigen. Bereits seit dem Jahre 2011 besteht der hinreichende Verdacht auf den Zusammenhang der Implantate mit diesem Karzinom. Seit diesem Jahr waren bis 2019 unter rund 500.000 Trägerinnen von Brustimplantaten allein in Frankreich 56 Fälle aufgefallen.  Auch das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wies damals auf Gefahren dieser Implantate hin. In einer aktuellen Pressemeldung der BfArM vom 6. Januar 2023 heißt es, dass auch in Deutschland schon jetzt 43 derartige Karzinome nachweislich auf die texturierten Brustimplantate zurückzuführen seien! Vor noch kurzer Zeit wurden lediglich einige Verdachtsfälle angeführt. Statistisch sprechen Experten von einer Karzinomgefahr von bis zu 1 zu 300 Fällen. Mit anderen Worten: Nahezu jede dreihundertste Patientin birgt die Gefahr der Erkrankung, was in der Medizin eine ganz erhebliche Risikosituation darstellt. Hierzu muss man die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ins Kalkül ziehen. Danach haben Mediziner bereits bei einem Risiko einer Gesundheitsgefährdung die bei 1: 4,5 Mio. Fällen liegt, aufzuklären!

Es hilft also keinem der Beteiligten weiter, die Karzinomgefahr zu bagatellisieren, sondern Maßnahmen sind erforderlich, um die Betroffenen von den Gefahren der Erkrankung fernzuhalten, was einerseits behördlicherseits geschehen kann, andererseits mittels juristischen Hinterfragungen der verantwortlichen Stellen, des Herstellers, der Implanteure, Zertifizierungsstellen, etc..

Weil sich diese seltene Karzinomform recht langsam entwickelt, Mediziner gehen von einer Latenzzeit von sechs Monaten bis zehn Jahren aus, ist nicht von der Hand zu wischen, dass sich allein in Deutschland, in der nach Medienberichten etwa 65.000 Implantattträgerinnen texturierter Brustimplantate betroffen sind, sich die Fallanzahl der noch entwickelnden Karzinome demnächst deutlich erhöhen kann.

Zu den rückgerufenen Implantaten zählen prinzipiell alle Allergan-Implantate mit einer rauen Oberfläche, insbesondere sind allerdings folgende Modelle betroffen:

  • Natrelle Kochsalz gefüllte Implantate
  • Natrelle Silikon gefüllte Implantate
  • Natrelle Inspira Silikon gefüllte Implantate
  • BRST Brustimplantate
  • Gewebeexpander 133Plus
  • McGhan
  • CUI

Betroffene haben die Möglichkeit, gegen Allergan Schadenersatzansprüche und Schmerzensgeld geltend zu machen. Höchstrichterliche Rechtsprechungen existieren zwar noch nicht, aber die ersten Gerichtsverfahren sind bereits auf den Weg gebracht, oder kurz vor der Einbringung bei den zuständigen Gerichten. Die möglichen Schadensummen variieren, je nach Schädigung:

Am geringsten fallen diejenigen Ansprüche aus, in denen Betroffene lediglich aufgrund der Karzinomgefahr nun eine Explantation der Implantate vornehmen lassen wollen. Hierbei handelt es sich oftmals um reine Vorsorgemaßnahmen, die dennoch auch psychische Belastungen mit sich bringen. Die zweite Gruppe umfasst diejenigen Fälle, in denen bereits ein körperlicher Gesundheitsschaden durch schadhafte Implantate eingetreten ist, wie etwa eine Kapselfibrose, Rupturen, Asymmetrien, etc.. Die höchsten Ansprüche sind in den Fällen zu erzielen, in denen es zu einer Karzinomerkrankung gekommen ist, die nachweislich auf den eingesetzten Implantaten beruht.

Es muss nicht darüber diskutiert zu werden, dass Betroffene sich juristischen Rat einholen sollten, um zu eruieren, welche möglichen Ansprüche gegen welche möglichen Anspruchsgegner durchsetzen lassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Gerichtsstände im Falle einer gerichtlichen Inanspruchnahme je nach Gegner nicht nur in Deutschland, sondern auch und vor allem in Großbritannien, den USA und Frankreich liegen können, so Dr DC Ciper LLM, Fachanwalt für Medizinrecht, Avocat admis au Barreau de Paris/Frankreich.

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Ciper & Coll. Rechtsanwälte         

   




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