Muss eine Mutter ihrem Kind die Identität des leiblichen Vaters mitteilen?

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1. Problemaufriss

Manche Beziehungen gehen auseinander. Dies ist nun mal Fakt. Einige Beziehungen enden dabei bereits vor oder kurz nach der Geburt eines Kindes. So manche Mutter ist darüber nicht traurig und begrüßt es eventuell sogar, dass eine Beziehung ihres Kindes zu dem leiblichen Vater gar nicht erst etabliert werden kann. Solange der leibliche Vater an einer Beziehung zu seinem Kind ebenfalls kein Interesse hat, besteht hier auch kein Problem. Oder doch?

Zwar mag es aus der Sicht der Eltern kein Problem darstellen. Allerdings hat unter Umständen bzw. zu gegebener Zeit das Kind selbst ein Interesse daran zu erfahren, wer sein leiblicher Vater ist. Dies mag zwar in den ersten Lebensjahren des Kindes eher nicht der Fall sein. Aber ab einem gewissen Alter möchte das Kind möglicherweise Informationen zu seiner biologischen Abstammung erhalten. Schließlich stammen Kinder biologisch neben der Mutter auch von dem leiblichen Vater ab.

Wenn also das Kind alt genug ist und die Identität seines leiblichen Vaters erfahren will, ist die Mutter dann dazu verpflichtet, diese Identität preiszugeben? Und was ist, wenn die Mutter die genaue Identität des leiblichen Vaters selbst nicht kennt?

Dieser Artikel versucht einen ersten Überblick über die derzeitige Rechtsprechung und die Probleme im Rahmen der möglichen Verpflichtung der Mutter zu geben. Dabei ersetzt dieser Artikel keinesfalls eine Rechtsberatung im Einzelfall, da dieser Artikel nicht alle Fassetten aller möglichen Einfälle erfassen kann. Dieser Beitrag erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Um das Ergebnis bereits an dieser Stelle vorwegzunehmen: In bestimmten Fällen besteht eine Verpflichtung der Mutter zur Offenlegung der Identität des leiblichen Vaters.

2. Anspruchsgrundlage

Nach § 1618a BGB sind Eltern und Kinder sich einander zum Beistand und Rücksicht schuldig. Diese gesetzliche Regelung stellt die Anspruchsgrundlage, aus welcher die Offenlegung des leiblichen Vaters begehrt werden kann. Zwar statuiert diese Vorschrift auf den ersten Blick keine konkreten Sanktionen bei einem Verstoß. Anerkannt ist dennoch, dass sowohl Eltern als auch Kinder aus dieser Vorschrift wechselseitig Rechtsansprüche herleiten können.

Mit dem Bundesgerichtshof (Urteil vom 19.01.2022 – XII ZR 183/21) ist bei der Ausgestaltung dieser wechselseitigen Rechtsansprüche insbesondere zu berücksichtigen, dass es gerade verfassungsrechtliche Aufgabe des Staates ist, der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung angemessen Rechnung zu tragen. Nachdem ein gesetzlich konkret normierter Auskunftsanspruch eines Kindes bislang fehlt, füllt der Bundesgerichtshof diese Lücke mit Hilfe des § 1618a BGB.

Mit dem Bundesgerichtshof (Urteil vom 19.01.2022 – 183/21) gewährt § 1618a BGB einem Kind damit einen Anspruch gegen die Mutter auf Auskunft über die Identität des biologischen Vaters, soweit der Mutter die Informationen verfügbar sind. Dabei legt der Bundesgerichtshof die Maßstäbe an die Verfügbarkeit der Informationen sehr niedrig an (siehe dazu im Detail weiter unten).

3. Auskunftsberechtigter

Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 24.02.2015 - 1 BvR 472/14) hat bereits 2015 festgestellt, dass ein möglicher Anspruch des rechtlichen (nicht-biologischen) Vaters gegen die Kindesmutter auf Benennung der Identität des leiblichen Vaters nicht aus § 1618a BGB, sondern allenfalls aus § 242 BGB hergeleitet werden könnte. In dem damals vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fall verfolgte der Scheinvater mit seinem Auskunftsersuchen gegen die Mutter lediglich finanzielle Interessen, was dazu führte, dass das Bundesverfassungsgericht einen Auskunftsanspruch des Scheinvaters verneinte.

Nachdem § 1618a BGB nach seinem Wortlaut sowohl Eltern als auch Kinder verpflichtet, könnte man daraus folgern, dass der Auskunftsanspruch Kindern und Eltern zusteht. Allerdings stellt der Bundesgerichtshof (Urteil vom 19.01.2022 – XII ZR 183/21) klar, dass ein Auskunftsanspruch auf Benennung des leiblichen Vaters der Verwirklichung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Kindes dient. Es soll gerade die Kenntnis der eigenen Abstammung ermöglicht werden. Ein Anspruch der Elternteile gegenüber dem Kind ermöglicht indes diese Kenntnis der eigenen Abstammung gerade nicht; andersherum allerdings schon.

Daher sind Kinder ihren Eltern gegenüber anspruchsberechtigt im Sinne des § 1618a BGB. Insbesondere berechtigten finanzielle Interessen gerade keinen Auskunftsanspruch nach § 1618a BGB, so dass Ansprüche beider Eltern gegeneinander von vornherein denklogisch ausscheiden.

4. Allgemeines Persönlichkeitsrecht vs. allgemeines Persönlichkeitsrecht

Bei der Entscheidung eines Auskunftsersuchens des Kindes gegen die Mutter auf Benennung des leiblichen Vaters ist eine Abwägung zweier allgemeiner Persönlichkeitsrechte erforderlich. Es widerstreiten dann das Interesse des Kindes auf Kenntnis der eigenen biologischen Abstammung einerseits und anderseits das Geheimhaltungsinteresse höchstpersönlicher Informationen der Mutter, namentlich die jeweiligen Sexualpartner.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 19.01.2022 – XII ZR 183/21) stellt der Auskunftsanspruch des Kindes eine Rechtsposition von ganz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung dar, da dieser Anspruch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung stärkt.

Der Bundesgerichtshof bewertet daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes auf Kenntnis des biologischen Vaters höher als das Geheimhaltungsinteresse der Mutter. Demnach steht nach Ansicht des Bundesgerichtshofs das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter hinter dem des Kindes zurück.

5. Was ist, wenn der Mutter die Identität des leiblichen Vaters nicht bekannt ist?

In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 19.01.2022 – XII ZB 183/21) wird klargestellt, dass die Mitteilung der Mutter, sie könne sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern, den Auskunftsanspruch ihres Kindes nicht erfüllt. Von der Mutter ist vielmehr verlangt worden, dem Kind alle Männer mit vollständigem Namen und Adresse zu benennen, die der Mutter in der gesetzlichen Empfängniszeit (nach § 1600d BGB wird der Zeitraum vom 300. bis zum 181. Tag vor der Geburt als Empfängniszeit vermutet) beigewohnt haben. Hierzu muss die Mutter sämtliche Nachforschungsmöglichkeiten und Hinweise auf die als potenziell als leiblichen Vater infrage kommenden Männer ausschöpfen.

6. Zusammenfassung

Soweit es nicht lediglich um die Durchsetzung finanzieller Interessen geht, wie dies etwa bei der Geltendmachung von Kindesunterhalt der Fall ist, besteht eine weitreichende Verpflichtung der Mutter dazu, ihrem Kind die Identität des leiblichen Vaters mittzuteilen. Diese Verpflichtung erstreckt sich bei Zweifel über den tatsächlichen biologischen Erzeuger in einer Offenlegung aller körperlichen Beziehung zu Männern in dem Zeitraum vom 300. bis zum 181. Tag vor der Geburt des Kindes.

Eine Absage hatte das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 24.02.2015 - 1 BvR 472/14) allerdings einem Anspruch des (rechtlichen) Scheinvaters gegen die Kindesmutter auf Benennung des biologischen Vaters erteilt, soweit mit dem Auskunftsbegehren nur finanzielle Interessen verfolgt werden.

Maßgebliche Vorschriften

§ 1618a BGB Pflicht zu Beistand und Rücksicht

„Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig.“

§ 242 BGB Leistung nach Treu und Glauben

„Der Schuldner ist, verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“

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