Muss ich mein Kind gegen Covid-19 impfen lassen, wenn der andere Elternteil dies wünscht?

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1. Einleitung

Vorweggenommen soll zunächst einmal werden, dass dieser Artikel sich nicht mit einer etwaigen generellen Impflicht befassen soll. Ob eine solche kommen soll oder wird, soll hier ebenso wenig behandelt werden, wie die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer allgemeinen Impflicht.

Diese Themen behandeln vielmehr politische Fragen, wohingegen dieser Artikel ausschließlich rechtliche Informationen bereitstellen will.

Behandelt und beantwortet soll im Rahmen dieses Artikels die Frage werden, wer über Impfungen von minderjährigen Kindern entscheiden kann, wenn sich die Eltern nicht einig sind und ein Elternteil damit einseitig seine Meinung zu Schutzimpfungen minderjähriger Kinder durchsetzen kann (unabhängig davon, ob nun für oder gegen eine Impfung).

2. Ausgangslage

Nach § 1626 Abs. 1 BGB steht die elterliche Sorge (umgangssprachlich auch das Sorgerecht) den Eltern zu. Also im Grundsatz – jedenfalls bei verheirateten Eltern – beiden Eltern. An der gemeinsamen elterlichen Sorge (umgangssprachlich auch geteiltes Sorgerecht) ändert auch die Trennung der Eltern nichts. Dabei enthält jedoch § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB zur Vereinfachung eine erhebliche Einschränkung dieses Grundsatzes. Danach hat der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens.

In Angelegenheiten von wichtiger Bedeutung für das Kind, bleibt es aber bei der gemeinsamen Entscheidungsbefugnis und Entscheidungsverpflichtung beider Eltern.

Wer kann im Fall der Trennung der Eltern nun über die Durchführung von Schutzimpfungen der Kinder entscheiden? Kann das ein Elternteil allein entscheiden, oder müssen beide Elternteile einer Schutzimpfung, insbesondere auch gegen Covid-19, zustimmen?

Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind nach § 1687 Abs. 1 S. 3 BGB in der Regel nur solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abwendbaren Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Bei Impfungen (aller Art) handelt es sich aber bereits nicht mehr um Entscheidungen, die häufig vorkommen. Denn für die Beurteilung dieser Frage ist auf jede einzelne Impfung gegen den jeweiligen Erreger gesondert abzustellen. Die Frage, ob eine Schutzimpfung gegen einen ganz bestimmten erfolgen soll oder nicht, ist also bereits naturgemäß eine einmalige Entscheidung, die gerade nicht häufig vorkommen kann. Es steht gerade nicht in Frage, ob alle Schutzimpfungen generell erfolgen sollen oder nicht; vielmehr steht jeweils nur eine ganz bestimmte Impfung zur Entscheidung. Selbst wenn bei einer Impfung gegen einen bestimmten Erreger eine oder sogar mehrere Auffrischungsimpfungen oder Wiederholungen nötig sein sollten, stellt dies nur eine einheitlich zu betrachtende Schutzimpfung – eben gegen den einen bestimmten Erreger – dar, deren Entscheidung nur einheitlich für oder gegen eine Impfung ausfallen kann.

Schutzimpfungen jeglicher Art stellen damit stets Angelegenheiten dar, die über solche des täglichen Lebens hinausgehen. Mithin sind zu deren Durchführung bei Minderjährigen die Einwilligungen aller sorgeberechtigten Personen nötig; auch bei geteiltem Sorgerecht.

3. Rechtliche Bewertung

Doch wie ist also zu verfahren, wenn sich die Sorgeberechtigen hinsichtlich bestimmter Schutzimpfungen nicht einig sind, etwa weil der eine Schutzimpfungen befürwortet, während der andere sie ablehnt?

Nach § 1628 S. 1 BGB kann das Familiengericht, wenn sich die Eltern bei gemeinsamem Sorgerecht in einzelnen Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem einzelnen Elternteil übertragen. Dabei darf das Familiengericht die im Raum stehende – zwischen den Eltern unterschiedlich beantwortete – Frage nicht anstelle der Eltern selbst treffen. Sondern das Gericht überträgt einzig die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich dieser einen Frage auf einen der beiden Elternteile.

Die Entscheidung des Gerichts, welcher Elternteil über die betreffende Frage entscheiden soll, richtet sich dabei gemäß § 1697a BGB nach dem Kindeswohl. Daher hat das Gericht die Entscheidungsbefugnis auf denjenigen Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.

Dies gilt ebenso und gerade bei Fragen, welche die Gesundheitsvorsorge des Kindes betreffen (wie etwa die Covid-19-Impfung). Auch bei derartigen Fragen hat das Gericht also demjenigen Elternteil die alleinige Entscheidungsbefugnis zu übertragen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt.

Zur Beurteilung, welcher Elternteil denjenigen Lösungsansatz vertritt, der für das Kindeswohl besser ist, spielt im Rahmen von Schutzimpfungen die jeweils aktuelle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) eine erhebliche Rolle. Diese werden von der Rechtsprechung nämlich als Richtschnur bei der Definition der Gesundheitsbelange herangezogen, soweit diese das Kindeswohl mitbestimmen. Mit anderen Worten spiegelt die jeweilige Empfehlung der STIKO die Interessen des Kindes und damit auch maßgeblich das Kindeswohl wider.

3.1. Covid-19-Impfungen

3.1.1. Erst- bzw. Zweitimpfungen

Wenn sich die beiden Eltern nicht über das Durchführen einer Covid-19 Erst- oder Zweitimpfung einigen können, steht daher grundsätzlich der Weg zu dem zuständigen Familiengericht offen. Dort wird dann die alleinige Entscheidungsbefugnis in dieser Frage der Durchführung der Covid-19 Erst- oder Zweitimpfung auf einen Elternteil übertragen.

Dabei wird das Gericht demjenigen Elternteil die Entscheidungsbefugnis übertragen, dessen Impfeinstellung am besten dem Wohl des Kindes entspricht. Nach der einschlägigen Rechtsprechung hierzu wird die Meinung desjenigen Elternteils, der sich an die Empfehlungen der STIKO hält in den allermeisten Fällen dem Kindeswohl am ehesten entsprechen.

Das Gericht wird also in aller Regel die alleinige Entscheidungsmacht über die Impfdurchführung demjenigen Elternteil übertragen, der den STIKO-Empfehlungen folgt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels empfiehlt die STIKO eine Erst- oder Zweitimpfung gegen Covid-19 erst ab dem zwölften Lebensjahr (siehe Details hierzu unten).

Aktuell wird ein Elternteil, der entgegen der Empfehlung der STIKO eine Covid-19 Erst- bzw. Zweitimpfung ablehnt oder befürwortet, vor Gericht die Alleinentscheidungsbefugnis nicht erhalten, so dass er in der Regel die Schutzimpfung weder verhindern noch andernfalls erzwingen kann.

Hat das Gericht einem Elternteil dann die alleinige Entscheidungsbefugnis zugesprochen, entscheidet allein dieser Elternteil über die Durchführung oder eben Nichtdurchführung der Covid-19 Erst- bzw. Zweitimpfung.

3.1.2. Auffrischungs- oder Folgeimpfungen

Im Rahmen von Auffrischungs- oder Folgeimpfungen, die über die Zweitimpfung hinausgehen, gelten dieselben Grundsätze wie bei der Covid-19 Erst- bzw. Zweitimpfung. Allerdings sind hier zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels die Empfehlungen der STIKO andere.

Auch hier hat derjenige Elternteil die besseren Karten, seine Meinung durchzusetzen, der den Empfehlungen der STIKO folgt.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels hat die STIKO erst jüngst ihre Empfehlung hinsichtlich Auffrischungsimpfungen (die sogenannte Booster-Impfung) für Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr geändert. Seit dem 13.01.2022 empfiehlt die STIKO die Auffrischimpfung auch ausdrücklich für 12- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche; auch ohne entsprechendes Immundefizit.

Das Gericht wird also in aller Regel demjenigen Elternteil die alleinige Entscheidungsbefugnis zusprechen, der eine sogenannten Booster-Impfung für unter 18-jährige befürwortet.

3.2. Andere Schutzimpfungen

Exakt dieselben Grundsätze wie für die Covid-19-Impfung gelten für sämtliche Schutzimpfungen (z.B. Masern, Mumps, Röteln).

Auch hier ist demjenigen Elternteil die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Durchführung der jeweiligen Schutzimpfung zu übertragen, dessen Entscheidung dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Dies wird in aller Regel der Elternteil sein, der den Empfehlungen der STIKO folgt.

Derjenige Elternteil, der von diesen Empfehlungen abweichen möchte und entgegen den Empfehlungen der STIKO eine Schutzimpfung durchführen oder eben nicht durchführen möchte, muss detailliert vor Gericht darlegen, weshalb seine Meinung dem Kindeswohl besser entspricht. Es müssen also gewichtige Gründe, die im Kindeswohl begründet sind, für eine Abweichung der STIKO-Empfehlungen vorgetragen werden. Besonders hervorzuheben ist dabei allerdings, dass etwa die Entscheidung des Oberlandesgericht München (Bes. v. 18.10.2021 – 26 UF 928/21) deutlich betont, dass es allein in der Verantwortung der jeweils impfenden Ärzte liegt, die konkreten Impfrisiken für das Kind in Anbetracht etwaiger Vorerkrankungen zu berücksichtigen und dementsprechend die Impfung durchzuführen oder nicht. Mit anderen Worten obliegt die medizinische Überprüfung von Impfrisiken allein dem jeweils impfenden Arzt.

4. Empfehlung der STIKO

4.1. Was ist die STIKO?

Die Ständige Impfkommission ist beim Robert-Koch-Institut eingerichtet. Sie hat als sachverständiges Gremium gemäß § 20 Abs. 2 S. 3 IFSG unter anderem die Aufgabe, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten zu geben. Zweck des Infektionsschutzes ist es, nach § 1 Abs. 1 IFSG, übertragbare Krankheiten beim Menschen vorzubeugen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Impfungen dienen demnach dem Wohl des Einzelnen im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung sowie hinsichtlich der Weiterverbreitung dem Gemeinwohl. Damit dienen Impfungen grundsätzlich auch dem Schutz des individuellen Kindeswohl, weil das Kind, wenn es etwa noch nicht im impffähigen Alter ist, von den Impfungen anderer Menschen, insbesondere aber auch anderer Kinder und damit letztlich der damit gesenkten Infektionsgefahr profitiert.

4.2. Wo sind deren Empfehlungen zu finden?

Zum Stand der Veröffentlichung dieses Artikels sind die aktuellen Empfehlungen der STIKO zu Schutzimpfungen gegen Covid-19 unter https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/ImpfungenAZ/COVID-19/Impfempfehlung-Zusfassung.html zusammengefasst sowie zu allgemeinen (anderen) Schutzimpfungen in dem sogenannten Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht, welches in der Regel einmal jährlich erscheint (zum Stand der Veröffentlichung dieses Artikels abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/02_22.pdf?__blob=publicationFile).

4.3. Was empfiehlt sie Kindern zur Covid-19-Impfung?

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels spricht die STIKO für 5 – 11-jährige Kinder ohne Vorerkrankungen keine generelle Impfempfehlung aus. Sie empfiehlt jedoch Kindern dieser Altersgruppe mit verschiedenen Vorerkrankungen aufgrund des erhöhten Risikos für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung eine Grundimmunisierung mit zwei Impfstoffdosen des mRNA-Impfstoffs Comirnaty (auch bekannt unter Biontech) im Abstand von drei bis sechs Wochen.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels hat die STIKO seit längerem für alle 12 – 17-Jährigen die COVID-19-Impfung mit zwei Dosen des mRNA-Impfstoffs Comirnaty (auch bekannt unter Biontech) im Abstand von drei bis sechs Wochen empfolen.

Eine generelle dritte Impfung (die sogenannte Booster-Impfung) empfiehlt die STIKO zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels – erstmals seit dem 13.01.2022 – auch für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren. Demnach ist nach der Empfehlung der STIKO zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels nicht mehr lediglich allen Personen ab 12 Jahren mit Immundefizit eine Auffrischimpfung anzubieten. Sondern die STIKO empfiehlt nunmehr auch die Auffrischimpfung für 12- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty (auch bekannt als Biontech). Die dritte Impfstoffdosis dabei soll in einem Mindestabstand von 3 Monaten zur vorangegangenen Grundimpfung verabreicht werden.

Bei schwer immundefizienten Personen ab dem Alter von 5 Jahren mit einer erwartbar stark verminderten Impfantwort kann nach der Empfehlung der STIKO ebenfalls eine dritte Impfstoffdosis bereits vier Wochen nach der zweiten Impfung verabreicht werden.

Die uneingeschränkte Empfehlung der STIKO zu einer sogenannten Booster-Impfung besteht daher zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels erst ab einem Alter von 12 Jahren.

Hinweis:

Änderungen in den Empfehlungen der STIKO, insbesondere im Hinblick auf den zu verwendenden Impfstoff, das Mindestalter der ersten, zweiten oder weiterer Impfungen, und auch hinsichtlich der Zeitspanne zwischen den jeweiligen Impfungen sind selbstverständlich möglich. Die STIKO passt ihre Empfehlungen laufend an den aktuellen Kenntnisstand der Medizin an. Daher erhebt dieser Artikel keinesfalls Anspruch auf Aktualität nach dessen Veröffentlichung. Vielmehr sind zum jeweiligen Zeitpunkt die aktuellen Empfehlungen der STIKO zu beachten. Diese fallen unter Umständen anders aus als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels.

5. Fazit

Nachdem die STIKO zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels eine Covid-19-Impfung für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 – 17 Jahren mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty (auch bekannt unter Biontech) empfiehlt, wird derjenige sorgeberechtigte Elternteil, der entgegen dieser Empfehlung sein Kind in diesem Alter nicht impfen lassen möchte, vor Gericht besonders erhebliche Gründe vorbringen müssen, um eine Impfung verhindern zu können. Bloße Bedenken gegen den Impfstoff als solchen auch im Hinblick auf die erst vor kurzem vorgenommene Zulassung des Impfstoffs zählen hierbei nicht. Auch medizinische Gründe, die eventuell gegen eine Impfung sprechen könnten, bleiben in der Regel bei der Entscheidung des Gerichts außen vor. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München (Bes. v. 18.10.2021 – 26 UF 928/21) zeigt, dass die Gerichte medizinische Erwägungen in aller Regel den jeweils impfenden Ärzten überlassen.

Andersherum hat derjenige Elternteil, der den Empfehlungen der STIKO folgend sein Kind impfen lassen möchte, die Möglichkeit, die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Durchführung der Schutzimpfung durch eine gerichtliche Entscheidung zu erhalten. Er hat also die Möglichkeit, nach einem entsprechenden Beschluss des Familiengerichts, allein über die Impfung zu entscheiden und somit sein Kind impfen zu lassen.

Hierbei sei jedoch explizit erwähnt, dass diese alleinige Entscheidungsbefugnis erst durch einen entsprechenden Beschluss des Familiengerichts besteht. Es ist also ausdrücklich davon abzuraten, voreilig eigene Entscheidungen zu treffen und diese in die Tat umzusetzen, ohne vorher einen gerichtlichen Beschluss herbeizuführen; auch dann nicht, wenn die eigene Entscheidung der Empfehlung der STIKO folgt und in einem anschließenden gerichtlichen Verfahren womöglich bestätigt werden würde!

Foto(s): https://pixabay.com/de/photos/impfung-covid-19-spritze-injizieren-5926664/; https://pixabay.com/de/photos/impfung-spritze-maske-covid-6576827/;; https://pixabay.com/de/illustrations/virus-mikroskop-infektion-1812092/

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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