Phantomlohn in der Sozialversicherung

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Wenn einem Mitarbeiter ein geringeres Arbeitsentgelt ausbezahlt wird als dasjenige, auf das er vertraglich Anspruch hätte, nennt man die Differenz „Phantomlohn“ (auch „Fiktivlohn“).

An diesem Konstrukt zeigt sich der wesentliche Unterschied zwischen Steuerrecht und Sozialrecht.

Im Steuerrecht gilt das Zuflussprinzip: Rechtlich relevant (steuerlich erfasst) wird nur der tatsächlich ausgezahlte Betrag; es gilt das Zuflussprinzip.

Anders im Sozialrecht: Hier gilt das Entstehungsprinzip, § 22 I S. 1 SGB IV. Sozialversicherungsbeiträge werden vom vertraglich vereinbarten Arbeitsentgelt berechnet. Dies gilt auch dann, wenn sich beide Vertragsparteien einig sind, dass z. B. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht gezahlt wird.

Häufige Fallgruppen:

(1) Auszahlung des Urlaubsentgelts

§ 11 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) bestimmt, Urlaubsentgelt „ist nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdiensts“ zu berechnen.

(2) Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

§ 4 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) regelt, dass die in den letzten 12 Monaten durchschnittlich geleistete Arbeitszeit und das daraus bezahlte Arbeitsentgelt zugrunde gelegt wird. In die Kalkulation berechnet man gleichzeitig Zuschläge für Sonntags-, Nacht- oder Wochenendarbeit, Prämienzahlungen und mögliche Sachbezüge mit ein.

Das SGB IV, das die gemeinsamen Vorschriften für alle Zweige der Sozialversicherung regelt, lässt diesbezüglich überhaupt keinen Spielraum: „Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden“, § 14 I SGB IV.

Liegt allerdings eine wirksame Lohnverzichtserklärung des Arbeitnehmers vor, werden keine Beiträge berechnet.

Die Kriterien hierfür haben die Spitzenverbände der Sozialversicherung festgelegt.

 (3) Arbeit auf Abruf und Minijob

§ 12 des Gesetzes zur Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) regelt unmissverständlich die sog. „Arbeit auf Abruf“. Die gesetzlichen Vorgaben haben sich zum 01.01.2019 grundlegend geändert. Grundlegend insoweit, als dass eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart gilt, wenn keine vertragliche Regelung getroffen wurde. Bis zum 31.12.2018 lag die fiktive Annahme bei 10 Stunden wöchentlich und wurde nun um 100 % angehoben.

Weitreichende Konsequenzen hat dieses nicht nur für Angestellte, die je nach Arbeitsanfall tätig werden, sondern auch und vor allem für sog. Minijobber. Minijobber unterliegen dem Mindestlohngesetz. 2020 steigt der Mindestlohn auf 9,35 pro Std. Zusätzlich gilt für sie auch das TzBfG (§ 2 II).

Ist also keine vertragliche Regelung getroffen, legt § 12 TzBfG automatisch fest, das 20 Stunden wöchentlich (also € 187,-) als Basis für eine Berechnung gelten. Monatlich hätte der vermeintliche Minijobber Anspruch auf rund € 748,-.

Da Minijobber zusätzlich Anspruch auf Jahresurlaub haben, steigt durch den nicht gewährten Jahresurlaub ihr Gehalt über die Geringverdienergrenze und fällt in den Bereich der sozialversicherungspflichtigen Midi Jobs. Hier liegt die Grenze bei € 1.300, - monatlich.

Weder der gesetzliche Mindesturlaub noch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kann arbeitsvertraglich abbedungen werden. Das gilt sowohl für kollektivvertragliche Regelungen (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung) als auch für einzelvertragliche Regelungen (Arbeitsvertrag). Eine Ausnahme gilt lediglich hinsichtlich der Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts, die abweichend von § 4 Abs. 1, 1a, 3 EFZG durch tarifvertragliche Regelungen zu Ungunsten des Arbeitnehmers festgelegt werden kann (vgl. § 4 Abs. 4 EFZG).

Risiken für Arbeitgeber:

a) Arbeitgeber haben bislang die Sozialversicherungsbeiträge vom real ausgezahlten Arbeitslohn berechnet. Die SVT legen ihrer Kalkulation nun den „fiktiv“ entstandenen Anspruch des Arbeitnehmers zugrunde. Für die Differenz wurden bisher keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Die SVT können aber gem. § 25 SGB IV Ansprüche vier Jahre rückwirkend geltend machen; bei Vorsatz sogar 30 Jahre.

Nach § 25 Abs 1 S 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind.

Vorsatz liegt schon dann vor, wenn der Arbeitgeber es unterlässt, sich bei der Krankenkasse als Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag über die Versicherungspflicht zu erkundigen, § 28 h II SGB IV.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer haften für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag. § 28 e SGB IV. § 28 g I S. 3 SGB gestattet es dem Arbeitgeber, einen unterbliebenen Abzug des Arbeitnehmeranteils nur von dessen drei letzten Lohnzahlungen vorzunehmen. Für den restlichen geschuldeten Betrag muss er allein aufkommen.

Darüber hinaus werden auch Säumniszuschläge fällig, die für jeden angefangenen Monat der Säumnis 1 % des rückständigen Beitrags betragen. Sie entfallen nur, wenn der Zahlungspflichtige unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (wovon nicht auszugehen ist, s. o.).

b) Zum anderen besteht hier das Risiko der Strafbarkeit gem. § 266 a StGB (Vorenthalten von Arbeitsentgelt). Das Unterlassen der Klärung der Beitragsentrichtung wird als Vorsatz angesehen (z. B. BGH 1 StR 331/17 – Urteil vom 24. Januar 2018).

Geschütztes Rechtsgut ist das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherung der Sozialversicherung. Demnach hängt die Strafbarkeit nicht davon ab, ob überhaupt Arbeitslohn gezahlt wurde. Auch ein Einverständnis des Arbeitnehmers, seine Anteile nicht an die Sozialversicherung weiterzuleiten, ändert an der Strafbarkeit nichts.

Bei Einmalzahlungen gilt der Grundsatz des Entstehungsprinzips nicht

Bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt gilt das Zuflussprinzip. Die Beitragsansprüche bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt entstehen also erst dann, wenn es tatsächlich ausgezahlt ist. Eine fiktive Verbeitragung von nicht gezahlten Sonderzuwendungen erfolgt daher nicht.

Grundsätzlich werden Einmalzahlungen dem Entgeltabrechnungszeitraum zugeordnet, in dem sie ausgezahlt werden. Es ist gleichgültig, wann sie fällig waren. D. h., bei Auszahlung zwischen dem 01.04. – 31.12.2020 gelten die Sozialversicherungsgrößen 2020.

Anders aber, wenn die Auszahlung zwischen dem 01.01. und dem 31.03. erfolgt, dann wird sie nämlich dem Vorjahr zugeordnet. Hier bestimmt § 23 IV SGB IV: „In der Zeit vom 01.01. – 31.03. gezahltes Arbeitsentgelt ist dem letzten Entgeltabrechnungszeitraum zuzuordnen, wenn es vom Arbeitgeber dieses Entgeltabrechnungszeitraums gezahlt wird und zusammen mit dem sonstigen für das laufende Kalenderjahr festgestellten beitragspflichtigen Arbeitsentgelt ... übersteigt.“ (sog. „Märzklausel“).

Bei pflichtversicherten Arbeitnehmern in der KV gelten immer beide Jahresbeitragsbemessungsgrenzen, bei freiwillig/privatversicherten Arbeitnehmern nur die Grenze der Renten- und Arbeitslosenversicherung, § 23 a V SGB IV. Es gilt kein Günstigkeitsprinzip.

Fazit: Die Wahl des Auszahlungszeitpunkts kann finanzielle Vorteile bringen. Dieses ist jedoch individuell vom Gehalt des jeweiligen AN abhängig. Eine Faustregel gibt es hier nicht.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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